Gast galama Geschrieben 20. September 2012 Teilen Geschrieben 20. September 2012 http://www.cicero.de/weltbuehne/mohammed-video-abdel-samad-das-problem-ist-nicht-die-provokation-sondern-die-befindlichkeit-der-provozierten/51919?seite=2 Die arabische Welt erlebt eine Welle der Gewalt. Doch das Problem ist nicht die Provokation durch das Mohammed-Video, sondern die Befindlichkeit der Provozierten. Die ewige Suche nach einem Sündenbock hat weite Teile der islamischen Welt Jahrhunderte lang gelähmt Am Rande der Dreharbeiten für die Sendereihe „Deutschlandsafari“, in der ich zusammen mit Henryk M. Broder zurzeit in Polen unterwegs bin, treffe ich in Krakau zwei alte Freunde aus Ägypten. Beide leben mittlerweile nicht mehr dort, weil sie die "religiösen Gefühle" der Muslime verletzt haben. Die 21-jährige Aliaa Magda Elmahdy musste ihr Land verlassen und floh ins schwedische Exil, nachdem sie viele Morddrohungen erhalten hatte. Ihr Verbrechen war, dass sie, als Protest gegen die zunehmende Islamisierung Ägyptens, Nacktfotos von sich ins Internet stellte. In Krakau besucht sie zurzeit ihren Freund Kareem Amer (28), der ebenfalls durch ein Asylprogramm für bedrohte Schriftsteller nach Polen kam, nachdem er vier Jahre in einem Gefängnis in Ägypten verbracht hatte. Kareem wurde damals vom Gericht beschuldigt, den Propheten Mohammed und Präsidenten Mubarak beleidigt zu haben. Der Struktur und der Dynamik nach, gleicht Kareems Geschichte der Geschichte des Mohammed-Schmäh-Videos aus Amerika. Im Jahre 2005 führten christliche Kopten in Kareems Heimatsstadt Alexandria ein Theaterstück in einer Kirche auf, in dem sie dem Islam Intoleranz und Terrorismus vorwarfen. Als Reaktion darauf wüteten aufgebrachte Muslime durch das Christenviertel, plünderten Geschäfte und schlugen auf die Menschen ein. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Kareem, der damals an der religiösen Universität Al-Azhar studierte, schrieb auf seinem Blog, der Prophet Mohammed sei das Vorbild der Muslime bei diesen Gewaltexzessen, denn genauso sei er mit seinen Gegnern umgegangen. Kareem gefällt das Mohammed-Video aus Amerika nicht, die Reaktionen darauf seien allerdings symptomatisch für die „muslimische Krankheit“. Er würde heute keine Beispiele aus dem Leben des Propheten suchen, um Argumente gegen den Islam zu finden, denn Mohammed und sein Verhalten können nicht mit den Maßstäben von heute beurteilt werden. Aliaa widerspricht: „Aber Mohammed und seine Maßstäbe beurteilen mich heute.“ Aliaa, früher rebellisch und dynamisch, wirkt heute schüchtern und introvertiert. Der Nervenkrieg in den vergangenen Monaten hat bei ihr Spuren hinterlassen. Ich frage sie, ob sie ihre Internet-Aktion bewusst durchführte, um Muslime zu provozieren. Sie wird unruhig und sagt: „Ich wollte niemanden provozieren. Ich wollte nur sagen, dass mein Körper mir alleine gehört. Aber viele Muslime fühlen sich sowieso provoziert, egal ob ich mit freiem Haar herumlaufe oder während des Ramadan vor ihnen ein Sandwich esse.“ Sie fragt zu Recht: „Und warum interessiert sich keiner dafür, dass ich mich provoziert fühlte, als sie mich als Nutte beschimpften und mir mit dem Tode drohten, und dass ich nun mein Land verlassen müsste, nur weil ich von meinem Recht auf individuelle Freiheit Gebrauch machte?“ Die Geschichte von Kareem und Aliaa zeigt, dass das Problem nicht in der Art der Provokation liegt, sondern in der Befindlichkeit der Provozierten. Nakoula Basseley Nakoula war ein betrügerischer Drogendealer. Seinen billigen Mohammed-Film wollte in Amerika niemand sehen. Als er ihn in einem Mietkino in Hollywood vorführte, war nicht einmal ein Dutzend Menschen im Saal. Die besten Promoter des Films waren Muslime, die sich provoziert fühlten. Ihre wütenden Reaktionen verliehen Nakoula und seinem Film Weltruhm. Die muslimischen Wellen des Protests, der Empörung und auch der Gewalt, kommen und gehen in regelmäßigen Abständen. Erinnern wir uns an die Mohammed-Karikaturen, die Papstrede in Regensburg, an die nicht durchgeführte Koranverbrennungsaktion durch den amerikanischen Pastor Terry Jones. Und natürlich sind es nicht „die“ Muslime, die jedes Mal auf die Straße gehen. Es ist eine kleine Minderheit, die es aber immer wieder schafft, die Bilder zu produzieren, die das Bild des Islam in der Welt prägen. Von solchen Ereignissen profitieren am Ende die Hardliner im Westen und in der muslimischen Welt: Die Rechten im Westen sehen sich in ihren fremdenfeindlichen Annahmen bestätigt und versuchen die Gewaltbilder für ihre Propaganda zu missbrauchen. Und die Islamisten in der arabischen Welt versuchen, mit ihrer antiwestlichen Rhetorik die Massen auf ihre Seite zu ziehen. Al-Qaida, die in der Gunst der Massen gefallen ist, ruft zu weiteren Mordaktionen gegen amerikanische Diplomaten auf. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, der in den vergangenen Monaten in der arabischen Welt wegen seiner Nähe zum Al-Assad-Regime in Syrien an Ansehen verloren hatte, nutzt die Empörung unter Muslimen, um sich erneut als Kämpfer für die islamische Sache zu präsentieren. Ihm folgten bei seiner Kundgebung im Libanon Hunderttausende auf die Straße. In Ägypten haben die Muslimbrüder die Wahlen zwar gewonnen und die Salafisten an den politischen Rand gedrängt. Diese versuchen nun aber die Wut und Empörung zu nutzen, um sich wieder in Szene zu setzen und als die besseren Muslime zu profilieren. Das gleiche gilt für die Islamisten in Libyen, die die Wahlen verloren haben, und nun versuchen, durch den Sturm auf die amerikanische Botschaft in Bengasi und weiteren Aktionen wieder Boden zu gewinnen. Denn die streng religiösen Islamisten können nur mit Empörung und Ablehnung bei den frustrierten Menschen punkten, nicht mit konstruktiver Politik. Der Film, der schon seit Wochen im Internet zu sehen ist, wurde nicht etwa durch westliche Medien, sondern ganz gezielt durch islamische Sender verbreitet. Der einzige Fernsehsender, der längere Teile des Films gezeigt hat, war der salafistische Satellitenkanal Al-Nas, den in der arabischen Welt Millionen Menschen sehen. Es wäre naiv zu erwarten, dass 60 Jahre Diktatur in der arabischen Welt in nur zwei Jahren überwunden werden können und eine intakte Demokratie entsteht. Viele kulturelle Konflikte, die während der Diktaturen nicht aufbrechen konnten, werden nun offen und auch gewaltätig ausgetragen. Wir erleben ein Kräftemessen zwischen archaischen und modernen gesellschaftlichen Strömungen. Der Ausgang dieses Kulturkampfes wird zeigen, ob Länder wie Ägypten, Libyen und Jemen sich in Richtung Demokratie entwickeln oder politisch verwahrlosen. Die arabische Revolution des vergangenen Jahres hat die Sonnenseite des Internets gezeigt und der Mohammed-Film steht nun für dessen Schattenseite. Wenn Islamisten die Schattenseite stört, sollten sie versuchen, ein islamisches Facebook, ein islamisches Google und ein islamisches Youtube zu erfinden, die nur noch leuchten und die Sonnenseite repräsentieren. Vielleicht liegt hier eigentlich einer der Gründe für den Hass gegen den Westen. Ein Minderwertigkeitskomplex, der durch eine Art moralischer Überlegenheit kompensiert werden soll. Steht die arabische Welt vor dem Umbruch oder dem Zusammenbruch? Wenn sich die arabischen Gesellschaften in Richtung Demokratie und Toleranz entwickeln sollten, dann muss die kollektive Erziehung, die Hass lehrt, enden. Die Selbstverherrlichung und die Verdammung des Anderen und die ewige Suche nach einem Sündenbock haben weite Teile der islamischen Welt Jahrhunderte lang gelähmt und müssen nun beseitigt werden. Wenn die arabische Welt den Weg ins 21. Jahrhundert schaffen will, dann muss sie anfangen, gesund mit dem Rest der Welt zu kommunizieren. Sie muss endlich aufhören, die Welt in Gläubige und Ungläubige, und damit in Gut und Böse zu unterteilen. Sie muss endlich aufhören, junge, rebellische Geister wie Aliaa und Kareen zu verstoßen! Auch der Westen sollte angesichts der dramatischen Ereignissen nicht der Versuchung erliegen, die Welt in Zivilisierte und Barbaren zu teilen, denn der Kampf der Kulturen findet intern sowohl in der islamischen Welt als auch im Westen statt! Auch hier gibt es viele Fanatiker, die andere nur deswegen hassen, weil sie anders sind. Auch hier wird eine latente Erziehung des Hasses betrieben. http://www.cicero.de/weltbuehne/mohammed-video-abdel-samad-das-problem-ist-nicht-die-provokation-sondern-die-befindlichkeit-der-provozierten/51919?seite=2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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