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[h=2]ISLAMISCHE THEOLOGIE[/h][h=2]Scharia – Der missverstandene Gott[/h]Die „Theologie der Barmherzigkeit“ sei gegenüber muslimischen Andersdenkenden eher unbarmherzig. Diese Auffassung vertritt Engin Karahan, der das Buch „Scharia – der missverstanden Gott“ von Mouhanad Khorchide gelesen hat. Neue Bücher zur jungen islamischen Theologie seien zwar immer willkommen, können sich aber auch negativ auf deren Entwicklung auswirken.

 

 

Viele Bücher zur islamischen Theologie gibt es noch nicht auf dem deutschen Markt. Besonders an Büchern, die keine Übersetzungen sind und einen eigenen, aktuellen Zugang zu dem Thema gewähren, fehlt es. So ist grundsätzlich jedes neue Werk in dieser Lücke erfreulich. In einer immer intensiver geführten Debatte über die Frage, was denn nun islamische Theologie ist, ob es diese überhaupt gibt und wie sie im hier und heute aussehen kann, werden Publikationen sicherlich einer erweiterten Erwartungshaltung gerecht werden müssen: Sind die Inhalte sowohl für Muslime als auch Nichtmuslime zumindest nachvollziehbar und plausibel? Wie ist das Verhältnis zur islamischen Tradition in den Herkunftsländern, aber auch zu der in den letzten 50 Jahren in Deutschland und anderswo in Europa entstandenen, eigenen gelebten Tradition der Muslime? Welcher inhaltliche und wissenschaftliche Anspruch wird formuliert, und wird das Werk diesem Anspruch gerecht? Und nicht zuletzt, als wie authentisch wird das Werk von der breiten muslimischen Öffentlichkeit wahrgenommen und inwieweit findet sie ihre nicht immer einheitlichen Vorstellungen von einem islamischen Glauben und Leben dort wieder?

Sicherlich kann und muss nicht jede Publikation diesen Erwartungen gerecht werden. Die Vielfalt im Islam kann auch damit leben, wenn nur eine kleine Gruppe sich von einem Werk angesprochen fühlt, das mehrheitlich von der muslimischen Gemeinschaft abgelehnt wird. Nicht dieses wichtige Votum wird am Ende allein über die Qualität eines Buches entscheiden. Vielmehr wird dies gerade auch davon abhängen, ob das Werk dem eigenen, selbst gesetzten Anspruch gerecht wird. Einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Islams und der Muslime, aber auch auf die Etablierung einer islamischen Theologie, wird jedes dieser Werke haben.

[h=2]Diskussionen über das Buch fehlen[/h]Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, einen Blick auf das Buch „Scharia – der missverstandene Gott. Der Weg zu einer modernen muslimischen Ethik“ von Mouhanad Khorchide zu werfen. Das Buch hat medial einiges an Öffentlichkeit erfahren. Diese Aufmerksamkeit hat sich bisher jedoch weit mehr der Diskussion über den Autor gewidmet als tatsächlich dem Buch. Kaum wird auf den Inhalt eingegangen, noch weniger wird nach der Rezeption innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland gefragt. Es lohnt sich deshalb einen näheren Blick auf die Aussagen des Buches zu werfen.

Den Anspruch des Buches hängt der Autor sehr hoch. So soll es nicht einzelne Fatwas oder Antworten auf vereinzelte Fragen geben, „sondern eine Perspektive zeigen, wie man Scharia jenseits einer dogmatischen oder juristischen Auffassung verstehen kann, um der islamischen Botschaft möglichst gerecht zu werden.“ (S. 229) Diesem Anspruch wird das Buch jedoch aus vielerlei Gründen nicht gerecht. Eine Vielzahl von inhaltlichen Widersprüchen, nicht zu Ende gedachten Gedankengängen und methodisch mit Vorsicht zu genießende Auslegungen und Interpretationen stellen die Aussagen unter ein großes Fragezeichen. Insbesondere die immer wieder auftauchenden autobiographischen Verweise und die als autobiographisch anzusehenden Wertungen werfen die Frage auf, welche Rolle und welchen Einfluss stark subjektivierte Eigenerfahrungen bei der Formulierung einer allgemeinen islamischen Theologie oder wie hier „einer modernen muslimischen Ethik“ spielen dürfen.

[h=2]Unkritische Wiedergabe der Wissenschaftstradition[/h]Gepaart mit der Herangehensweise, eine neue Theologie zu formulieren, ohne die konkreten Thesen und Argumente und auch deren Konsequenzen ausreichend miteinbezogen zu haben, führt das zu dem Ergebnis, dass bei aller Kritik an der islamischen Wissenschaftstradition auf den ersten 100 Seiten, die zweite Hälfte des Buches fast nur noch aus der fast unkritischen Wiedergabe gerade dieser Tradition besteht. Es sieht so aus, als würde eine theologische Aussage getroffen, die als Ergebnis eines langen Schaffensprozesses hätte ausformuliert werden können, beginnend mit einer Vermutung oder Annahme, in Aufsätzen und Beiträgen diskutiert und der kritischen Debatte geöffnet. Jedoch wurde das Ergebnis hier offensichtlich ohne diese Schritte an den Anfang gestellt: Eine umfassende und im Rahmen des Buches absolut gestellte „Theologie der Barmherzigkeit“.

Der Absolutheitsanspruch wird im Buch nicht in ausdrücklicher Form benannt. Implizit wird dieser jedoch an zahlreichen Stellen formuliert, wenn das Buch abweichende Meinungen nicht nur als anders bewertet, sondern diese mit dem Vorwurf der Beigesellung zu Gott außerhalb des Islams stellt (vgl. S. 27 f., S. 33, S. 34, S. 35 f, S. 47, 5.59). So führen schon eine andere Art des Koranverständnisses (vgl. S. 33), Interpretationsunterschiede (vgl. S. 27 f.), Methodenunterschiede in der Koranexegese (vgl. S. 34) oder Gruppenvorstellungen im politischen Denken (vgl. S. 35f.) dazu, dass andersdenkende Muslime vom Autor als außerhalb des Islams stehend angesehen werden.1 Auffallend ist, wie häufig der Vorwurf des Beigesellens in dem Buch genutzt wird, was die grundsätzliche Toleranz in der islamischen Gelehrsamkeit anderen islamisch-theologischen Ansichten gegenüber vermissen lässt. Stattdessen tritt die „Theologie der Barmherzigkeit“ mit einer Radikalität auf, mit der sie Gefahr läuft, den Raum der Theologie zu verlassen, um in die Sphäre der Ideologie zu wechseln. Die von der reinen Wortbedeutung her einen positiven Klang entfaltende „Theologie der Barmherzigkeit“ zeigt sich gegenüber muslimischen Andersdenkenden als eher unbarmherzig.

 

 

[h=2]Göttliche Liebe und menschliche Freiheit[/h]Ein weiterer exemplarischer und nicht aufgelöster genereller Widerspruch des Buches öffnet sich im Kern der „Theologie der Barmherzigkeit“, nämlich bei der Dichotomie von göttlicher Liebe und menschlicher Freiheit. Gott will in dieser Theologie des Autors weder verherrlicht werden, noch ist er darauf angewiesen angebetet zu werden. Dennoch will er, dass die Menschen zu ihm beten. Denn das Beten stelle eine Form der menschlichen Erwiderung der Liebe Gottes dar. Und Gott wartet und erwartet die Erwiderung seiner Liebe (vgl. S. 37). Worauf der Autor jedoch nicht eingeht ist, warum Gott diesen inneren Wunsch verspüren soll, geliebt zu werden. Es wird das Bild eines passiven Gottes gezeichnet, der wartet, „auf ein Wort, auf ein Zeichen, das auf ihn gerichtet ist, auf einen Schritt“ (S. 37). Eine Konsequenz für das vergebliche Warten scheint es nicht zu geben. Stattdessen macht Gott weiter immer neue Angebote: „Auch wenn der Mensch diese Angebote ablehnt, hört Gott auf keinen Fall auf, dem Menschen immer und immer wieder Angebote zu machen und die Situation neu zu kalkulieren, sodass Gott – egal wie oft der Mensch diese Angebote ablehnt – stets das nächstbeste mögliche Angebot greifbar macht.“ (S. 66). Der Gott der Barmherzigkeits-Theologie „produziert“ also – dem modernen marketinggeschulten Unternehmerbild entsprechend – für den „Abnehmer“, den Menschen, immer wieder neue Angebote.

Welche Folgen die permanente Ablehnung der Angebote Gottes haben könnte, scheint das Buch nur anzudeuten, wenn es an einer Stelle fast schon beiläufig davon spricht, dass „der Glaube an die Wiederauferstehung und an den Gerichtstag […] der Glaube an die Wiederherstellung von Gerechtigkeit ist“. (S. 67) Auf die zwingende Frage, auf welcher Grundlage denn an diesem Gerichtstag die Gerechtigkeit wiederhergestellt werden soll, woran sich der Mensch zu messen hat, geht der Autor nicht ein.

[h=2]Gottesverständnis macht abhängig vom Menschen[/h]Bei dem Versuch von einer vermeintlich patriarchalen Gottesvorstellung wegzukommen, kommt das Buch bei einer Gottesvorstellung an, „in dem Gott und Mensch als Kooperationspartner Seite an Seite stehen, um gemeinsam an der Verwirklichung von Gottes Intention nach Liebe und Barmherzigkeit zu arbeiten.“ (S. 21) Gott hat dabei nur noch die Funktion des immer und immer wieder in Liebe gebenden, der sehnsüchtig darauf wartet, dass sein Liebesangebot irgendwann einmal entgegnet wird. Wenn aber Mensch und Gott in dieser Vorstellung Kooperationspartner sind, wieso erwartet Gott dann vom Menschen, dass er seine „Intention nach Liebe und Barmherzigkeit“ übernimmt. Wieso soll der Mensch nicht eine eigene, völlig konträre Intention entwickeln können, die sich mit seiner nicht deckt?

Das Gottesverständnis der „Theologie der Barmherzigkeit“ – wie der Autor sie versteht – befreit zwar den Menschen von jeglicher Abhängigkeit gegenüber Gott, versetzt diesen jedoch in Abhängigkeit zum Menschen (vgl. S. 37). Aber, – und dieses „aber“ tritt immer wieder im Buch auf, – auch die Gegenmeinung zu dieser Meinung wird vom Autor vertreten. Sowohl Meinung als auch die diese Meinung ausschließende Gegenmeinung werden in dem Buch als eigene Meinung wiedergegeben, bisweilen sogar in ein und demselben Absatz. So werden in dem genannten Abschnitt auf S. 37 sowohl die Vollkommenheit Gottes und seine Unabhängigkeit gegenüber allem gepriesen, um ihn dann gleich wieder abhängig von Liebe und Anbetung seiner Geschöpfe zu erklären. Während einerseits ein passiver Gott dargestellt wird, greift er plötzlich an anderer Stelle nun doch wieder ein. Mal greift er nur „durch“ den Menschen ein (vgl. S. 66), dann, indem er Angebote macht (vgl. S. 66), um dann die Ereignisse doch wieder selbst zu lenken (vgl. S. 67). Der Widerspruch zwischen der in dem Buch dargestellten „fast“ absoluten Freiheit des Menschen, seinem Gott gegenüber konsequenzenlosem Handeln und den dennoch erfolgenden freiheitsbeschränkenden Eingriffen Gottes, löst das Buch im Ergebnis jedoch nicht auf.

[h=2]Überzeugung durch Abgrenzung[/h]Die „Theologie der Barmherzigkeit“ scheint sich ihrer Schwächen insofern schon bewusst zu sein. Statt aus sich heraus zu überzeugen, wird eher versucht, durch die Abgrenzung gegenüber dem negativen Anderen an Überzeugung zu gewinnen. Dieser Andere ist in dem Buch der „praktizierende Muslim“. Dieser wird in dem Buch fast ausschließlich negativ konnotiert. Der Autor kritisiert zwar selbst an einer Stelle: „Sehr viele Muslime maßen sich an, Aussagen über die Religiosität anderer Menschen zutreffen.“ (S .45) Den Nachweis für diese Anmaßung liefert der Autor interessanterweise gleich selbst: „Die Praxis sehr vieler sogenannter praktizierender Muslime, die sich lediglich an Äußerlichkeiten halten, sieht leider so aus: Fast jeder geht davon aus, dass ihm die ewige Glückseligkeit längst garantiert ist.“ (S. 45)

Es bleibt aber nicht bei diesem Urteil über den praktizierenden Muslim. Vielmehr wird diesem noch weiter vorgeworfen, Gelehrte an die Stelle Gottes zu setzen (vgl. S. 14), Dritte blind zu befolgen (vgl. S. 29) oder den Islam nur juristisch wahrzunehmen, frei von jeglicher Moralität und Spiritualität (vgl. S. 15).

[h=2]Autobiographie bestimmt die Meinung[/h]Diese Radikalität in der Aussage wird nachvollziehbar, wenn die autobiographischen Einwebungen des Autors berücksichtigt werden. Seine offensichtlich negativen, persönlichen Erfahrungen scheinen immer wieder durch, wenn der Autor zum Beispiel anführt, Gelehrten und Juristen würden zu Göttern gemacht (vgl. S. 16), die Reinheit der Zunge spiele in der religiösen Erziehung kaum eine Rolle (vgl. S. 45), die soziale Pflichtabgabe gehöre zu den am wenigsten praktizierten Säulen des Islams (vgl. S.49) oder muslimische Gelehrte würden „sich deutlich mehr Gedanken über die Ableitung juristischer Normen [machen] als über die Prozesse der Läuterung des Herzens“ (S. 86). Die Aussagen sind generalisierend, bleiben jedoch nur auf die persönlichen Erfahrungen des Autors selbst beschränkt. Empirische Daten zur Überprüfung der Behauptungen fehlen. Dem Autor scheint es (möglicherweise unbewusst) eher um eine Abrechnung mit der eigenen religiösen Sozialisation und Erfahrung zu gehen, die jedoch ein Ausblenden der Vielfalt der muslimischen Geisteswelt, insbesondere ihrer spirituellen Interpretationen mit sich bringt.

Das einfließende Autobiographische als Ausgangspunkt und die übereilte Formulierung noch unausgereifter Ideen im öffentlichen Raum bringen zwangsläufig Abstriche bei der nicht stringenten Methodik mit sich, mit der der Autor zu seiner persönlichen Interpretation der „Theologie der Barmherzigkeit“ gelangt. Er kritisiert berechtigt die unter modernen Salafisten vorherrschende Lesart des Korans: „Ein wortwörtliches Verständnis einiger Aussagen läuft Gefahr, dem koranischen Geist entgegenzuwirken. Im Namen einer frommen Haltung wird der Koran so konterkariert.“ (S. 32 f.) und „Bei der Auslegung des Textes muss von den allgemeinen Zwecken der islamischen Lehre (Maqasid) ausgegangen werden, eine wörtliche Auslegung läuft Gefahr, die Zwecke des Textes zu verfehlen.“ (S. 141) Während der Autor die Problematik der wortwörtlichen Auslegung zwar in seiner Kritik am „modernen“ Salafismus erkennt, wendet er dennoch selbst diese Methode in der Herleitung seiner „Theologie der Barmherzigkeit“ an. Dies soll an zwei zentralen Aussagen nachgezeichnet werden, die im vorliegenden Werk das theologische Fundament der „Theologie der Barmherzigkeit“ bilden. Dabei geht es um die Auslegung der Verse 5:54 und 22:40.

[h=2]Unstimmigkeiten in der Argumentationsbasis[/h]Den Vers 5:54 bringt der Autor auf S. 38 ein, um seine Aussagen zu Gottes Liebe zu stützen: „Gott will seine Liebe nicht für sich selbst behalten, er wollte diese immer teilen. Daher sucht er nach Mitliebenden. Den ersten Schritt hat er getan, indem er uns aus seiner bedingungslosen Liebe und Barmherzigkeit erschaffen hat: >>Wenn ihr euch abwendet, dann wird Gott Menschen bringen, die er liebt und die ihn lieben.

O ihr, die ihr glaubt! Wenn jemand seine Religion verlassen will, dann wird Gott Menschen bringen, die er liebt und die ihn lieben, demütig gegen die Gläubigen, streng gegen die Ungläubigen, die kämpfen werden auf dem Wege Gottes und sich nicht vor dem Tadel eines Tadlers fürchten. Das ist die Gnade Gottes, die er verleiht, an wen er will; Gott ist umfassend, wissend.“2

Der weitere Blick auf den Verkündigungszusammenhang bestätigt diese Auslegung. Es geht an dieser Stelle um die Heuchler in Medina, die den Propheten und die Gläubigen in einer Notsituation alleine lassen. Es geht hier also nicht um den Schöpfungsakt von liebenden und geliebten Menschen, sondern eher um eine Beschreibung der Gläubigen, die durch ihren Glauben und ihr Handeln ihre Liebe zu Allah bewiesen haben, die deswegen auch von ihm geliebt werden und deren Unterschiede zu den Heuchlern.3 Selbst bei einer sehr weiten Auslegung der entsprechenden Textstellen gelangt man nicht zu der Liebesrhetorik der „Theologie der Barmherzigkeit“, solange der Geist hinter der Aussage nicht verdrängt und nur einen Teil des Verses wörtlich verstanden und dadurch instrumentalisiert wird.

[h=2]Sinnentstellende selektive Verwendung von Versfragmenten[/h]Bei der zweiten Textstelle handelt es sich um den Versuch der Übertragung der „Theologie der Barmherzigkeit“ auf die Lebenswirklichkeit. Dort heißt es auf S. 138 mit Verweis auf Vers 22:40: „Denn menschliche Interessen variieren und so würden die Normen entsprechend variieren. Es ist nachvollziehbar, dass menschliche Interessen variieren und es sogar zu Interessenskonflikten kommen könnte. Allerdings liegt gerade in diesen Aushandlungsprozessen der Garant dafür, dass Beliebigkeit ausgeschlossen bleibt. Der Koran drückt dies auf eindrucksvolle Weise aus: »Und wenn Gott nicht die einen Menschen durch die anderen abwehrt, zerstört wären Mönchsklausen, Kirchen, Gebetsstätten und Niederwerfungsstätten, in denen des Namens Gottes viel gedacht wird. Und Gott wird dem helfen, der Ihm hilft.« Die ständige Aushandlung von Interessen zwischen den Menschen und den Gesellschaften wird im Koran als Schutz beschrieben, und zwar nicht für den Islam allein, sondern für die Vielfalt und somit als Schutz für die Interessen aller.“

Der Autor führt hier wieder nur ein Fragment eines Verses an, um seine These der „Aushandlung“ auf Lebenssachverhalte zu übertragen. Auch hier zeigt er keine glückliche Hand bei der Auswahl der Begründungsgrundlage. Das aus seinem Zusammenhang gerissene Fragment stammt nämlich aus einem Abschnitt, der den Muslimen in Medina das erste Mal den bewaffneten Kampf erlaubt. Entsprechend hart sind dann auch die Formulierungen.4

Es dürfte beim Diskurspartner sicherlich nicht für Erleichterung sorgen, wenn die muslimische Diskurstheorie mit dieser Koranstelle begründet wird. Dabei äußert sich diese Stelle gerade nicht zu einem irgendwie gearteten, innergesellschaftlichen Aushandlungsprozess, sondern vielmehr zu der Ausnahme- und Notsituation des Angegriffen-Werdens und der Gefahr für Leib und Leben. Nicht das den gesellschaftlichen Diskurs an sich Ansprechende ist hier das Kritikwürdige. Die Kritik gebührt der sinnentstellenden, selektiven Verwendung von Versfragmenten, ohne jegliche Berücksichtigung ihres historischen Hintergrundes. Hier wurde darauf verzichtet, diese Aussage – so zentral sie für seine Theologie auch ist – anderweitig zu stützen.

Am Ende geht dieses Vorgehen auf Kosten der Glaubwürdigkeit der islamischen Theologie in Deutschland. Und letztlich muss sich diese Art des Umgangs mit dem Koran dem gleichen Vorwurf aussetzen, den der Autor zu Recht den Salafisten gegenüber formuliert: „In Wirklichkeit selektieren sie […] eine bestimmte Lesart dieser Epoche, mit der sie ihre Ideologie zu legitimieren versuchen. Historische Fakten werden hingebogen, um bestimmte Positionen als islamisch zu deklarieren.“ (S. 156)


  • „»Beigesellung» (Schirk) kann also im Kopf eines Menschen stattfinden, indem er die ihm von Gott verliehene Vernunft, mit der er den Geist des Korans verstehen kann, zugunsten des Scheinbaren, also des gelesenen statt des verstandenen Wortes ausschaltet. “ {Khorchide 2013, S. 33};
    „Abgesehen davon, dass solche Aussagen, die dem Propheten Muhammad zugeschrieben werden, offensichtlich im Sinne späterer politischer Mächte erfunden sind, auch wenn sie in vom sunnitischen Islam als kanonisch geltenden Sammlungen vorkommen, wird bei dem wortwörtlichen Verständnis nicht nach dem Geist des Korans gefragt, also nach den Aussagen hinter den Buchstaben, sondern werden die Buchstaben und Worte als heilig angesehen und sie an Gottes Stelle angebetet, was zwangsläufig zur Beigesellung führt.“ {Khorchide 2013, S. 34}
    „Dies bringt die Gefahr mit sich, dass nicht islamische Maximen wie Gerechtigkeit für alle sowie soziale und politische Befreiung angestrebt werden, sondern lediglich die Interessen der eigenen Gruppierung. Das Volk wird in Anhänger und Gegner gespalten. Die eigenen Anhänger werden als Anhänger des Islams identifiziert, was impliziert, dass die politische Opposition nicht nur als solche gesehen wird, sondern auch als unislamisch. Solche Art der Hingabe einer Gruppierung schränkt die eigene freie Sicht ein und verblendet den Menschen. Daher ist sie auch eine Form der Beigesellung, von der sich der Muslim befreien soll.“ {Khorchide 2013, S. 35–36}
    []

  • Bobzin, Hartmut: Der Koran, Neu übertragen von Hartmut Bobzin, C.H. Beck, München 2010, S. 100. []
  • Übersetzung der Verse 5:52,53 und 55, aus Bobzin, Hartmut: Der Koran, Neu übertragen von Hartmut Bobzin, C.H. Beck, München 2010, S. 100:
    52: Du siehst diejenigen, in deren Herzen Krankheit ist, zu ihnen rennen und sagen: «Wir fürchten, dass uns ein Missgeschick ereilt.» Doch vielleicht kommt Gott mit der Entscheidung oder einem Befehl von sich. Dann werden sie bereuen, was sie in ihrem Inneren geheimgehalten hatten.
    53: Die glauben, werden sagen: «Sind das die, die bei Gott heilige Eide geschworen haben. Dass sie auf eurer Seite sind?» Zuschanden werden ihre Werke, und Verlierer werden sie sein.
    55: Siehe, euer Freund ist Gott, sein Gesandter und die Gläubigen die das Gebet verrichten, die Armensteuer geben und sich beugen.
    []
     
  • Übersetzung der Verse 22:38-41 aus Bobzin, Hartmut: Der Koran, Neu übertragen von Hartmut Bobzin, C.H. Beck, München 2010, S. 291:
    38 Siehe, Gott verteidigt diejenigen, die glauben. Siehe, Gott liebt keinen, der Verräter ist und undankbar.
    39 Denen, die bekämpft werden, wurde es erlaubt, weil man ihnen Unrecht tat – siehe, Gott hat die Macht, ihnen beizustehen -,
    40 die ohne Recht aus ihrer Wohnstatt vertrieben wurden, nur weil sie sprachen: «Unser Herr ist der eine Gott.» Und hätte Gott nicht die Menschen, die einen durch die anderen, zurückgehalten, zerstört worden wären dann Klausen, Kirchen, Bethäuser und Anbetungsstätten, in denen man des Namens Gottes oft gedenkt. Gott wird fürwahr dem helfen, der ihm hilft. Siehe, Gott ist stark und mächtig.
    41 Die, wenn wir ihnen Macht im Land gegeben haben, das Gebet verrichten, die Armensteuer entrichten, gebieten, was recht ist, und verbieten, was schlecht ist – bei Gott liegt dann der Dinge Ausgang.
    []

 

 

 

[h=3]Engin Karahan, Islamiq, 05.11.2013[/h]

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REPLIK

 

Scharia – der missverstandene Gott

 

Die Rezension von Engin Karahan zum Buch „Scharia – Der missverstandene Gott“ wird derzeit im Netz stark diskutiert. Karahan wirft darin dem Autor Mouhanad Khorchide vor unbarmherzig gegenüber Andersdenkenden zu sein. Dina El Omari antwortet in einer Replik auf die Vorwürfe von Karahan.

 

 

In seiner Rezension „Scharia – der missverstandene Gott“ fährt der Verfasser, Engin Karahan, gleich zu Beginn harte Geschütze auf, umso mehr lohnt es sich einmal genauer hinzuschauen und zu eruieren, ob er seinen eigenen Anforderungen, die er an seine Rezension stellt, gerecht wird, denn schließlich lässt er verlauten, Khorchides Buch würde „Eine Vielzahl von inhaltlichen Widersprüchen, nicht zu Ende gedachten Gedankengängen und methodisch mit Vorsicht zu genießende Auslegungen und Interpretationen“ beinhalten. Vorab sei schon einmal so viel gesagt: Die Argumentation von Herrn Karahan kann dabei leider nicht überzeugen, denn dem Rezensenten fehlt zum einen eine theologische Expertise, was, wie weiter unten ersichtlich, anhand zahlreicher Stellen seiner Rezension deutlich wird, zum anderen hat er ganz offensichtlich keine neutrale Perspektive bei seiner Lektüre eingenommen, sondern geht mit einer vorurteilsbeladenen Einstellung an den Text, wie immer wieder ersichtlich ist. So tut er genau das, was er Khorchide vorwirft: Er selektiert, indem er nämlich eine selektierende Leseperspektive einnimmt, die zwangsläufig dazu führt, dass er in seiner Argumentation ebenso selektiv einige Textstellen aus dem „Scharia“-Buch für seine Intentionen nutzt.

Diese selektierende Leseperspektive, die von einer negativen Grundhaltung dem Buch gegenüber zeugt, wird bereits in dem einleitenden Teil der Rezension deutlich. So spricht er von einem Werk „das mehrheitlich von der muslimischen Gemeinschaft abgelehnt wird“. Der Bezug zu Khorchides Buch, so implizit er auch sein mag, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, denn schließlich leitet der Autor ja seine Rezension zu dem Buch Khorchides mit diesen Worten ein. Ebenso wenig lässt sich der verallgemeinernde Charakter dieser Aussage negieren, der von einer gewissen Überschätzung der eigenen Kompetenz des Rezensenten zeugt, denn er maßt sich in der Tat an, über vier Millionen Muslime in Deutschland zu urteilen. Es ist sicherlich nicht die Aufgabe eines Rezensenten zu beurteilen ob ein Werk, egal welches, eine breite Zustimmung findet oder nicht. Das liegt auch gar nicht in seiner Kompetenz, denn dies ist eine Wissenschaft für sich und würde intensive empirische Studien erfordern. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass der Rezensent diese im Vorfeld unternommen hat, daher wäre es durchaus empfehlenswert, er würde sich mit solch vereinnahmenden Aussagen zurückhalten, denn die verraten wie gesagt mehr über seine Gesinnung, als der Rezensent sicher kundtun wollte. Interessant ist hierbei, dass er dem Autor des Scharia-Buches eben dies vorwirft: „Die Aussagen sind generalisierend, bleiben jedoch nur auf die persönlichen Erfahrungen des Autors selbst beschränkt. Empirische Daten zur Überprüfung der Behauptungen fehlen.“.

Ähnliche selektive Wiedergabe

 

Seine Gesinnung entlarvt der Rezensent dann auch im Folgenden, wenn er ähnlich selektiv bei der Wiedergabe der Zielsetzung des Werkes vorgeht, denn diese reduziert er auf einen Satz, den er wohl gemerkt den letzten Seiten des Buches entnommen hat, dort schreibt Khorchide: „Ich wollte mit diesem Buch keine Fatwas (Rechtsgutachten) formulieren, auch keine konkreten Antworten auf vereinzelte Fragen geben, sondern eine Perspektive zeigen, wie man Scharia jenseits einer dogmatischen oder juristischen Auffassung verstehen kann, um der islamischen Botschaft möglichst gerecht zu werden.“Warum der Rezensent die Zielsetzung auf diesen Satz beschränkt, der dadurch, dass er aus seinem Kontext gerissen wurde, nur einen Teil von Khorchides Zielsetzung wiedergibt, und nicht die genauere Definition aus der Einleitung wählt, ist fragwürdig, denn dort (S.18) heißt es: „Im vorliegenden Buch möchte ich ein neues Verständnis von Scharia darlegen: Scharia nicht als Schema, das die Gott-Mensch-Beziehung über juristische Kategorien definiert, sondern als Beschreibung eines Weges zu Gott, als ein Weg des Herzens, der nah an der koranischen Vorstellung ist. Das Praktizieren des Islams beginnt mit dem Praktizieren des Herzens.“ Es geht Khorchide also nicht bloß darum, den Scharia-Begriff jenseits einer dogmatischen und juristischen Perspektive zu entwerfen, sondern vor allem darum, das bei einem Praktizieren des Islams stärker das Herz einbezogen wird, d. h. bei der Ausübung der Rituale muss auch immer das Herz dabei sein, sodass der Mensch sich durch einen ständigen Prozess der Läuterung vervollkommnen kann. Für das Lesen der weiteren Rezension ist das gezielte Ausblenden dieser sehr wichtigen Intention, die sich durch das gesamte Buch wie ein roter Faden zieht, von elementarer Bedeutung, denn der Rezensent blendet diese konsequent innerhalb seiner gesamten Rezension aus und kann auf diese Weise nur zu falschen Auswertungen kommen. Gleichzeitig offenbart er uns erneut mit dieser selektiven Haltung, dass er mit gewissen Vorurteilen an den Text tritt.

Nachdem nun der Rezensent seine doch sehr harsche Kritik an Khorchides Buch in den Raum gestellt hat, nimmt er sich vor, diese auch zu belegen. Dies versucht er zunächst einmal unter der Überschrift „Unkritische Wiedergabe der Wissenschaftstradition“. Die Betonung liegt auf „versucht“, denn leider gelingt es dem Rezensenten nicht einmal, seiner Überschrift gerecht zu werden. Erhofft sich der Leser aufgrund des Titels genauere Informationen über die „Unkritische Wiedergabe“, so wird er lediglich mit einer schwammigen Aussage abgespeist: „bei aller Kritik an der islamischen Wissenschaftstradition auf den ersten 100 Seiten“ bestünde „die zweite Hälfte des Buches fast nur noch aus der fast unkritischen Wiedergabe gerade dieser Tradition“. Die Oberflächlichkeit dieser Aussage sei dem Rezensenten vielleicht noch nachzusehen, nicht aber ihre Falschheit. Schaut man sich Khorchides Buch bezüglich dieser Kritik genauer an, dann muss man nämlich zunächst feststellen, dass er ein Drittel des Buches (S. 72-155) der islamischen Normenlehre widmet (man achte auf die Seitenzahl). Welche Zielsetzung er dabei verfolgt, erklärt er direkt in der Einleitung: „Dabei geht es nicht darum, das traditionelle islamische Recht bzw. Teile davon zu dekonstruieren, weil das eine oder andere aus unserer heutigen Sicht anstößig wirkt, sondern darum, eine deskriptive Darstellung der Instrumente und Methoden, mit denen muslimische Gelehrte gearbeitet haben, zu liefern. Daran anschließend werden Überlegungen angestellt, wie diese Methoden und Instrumente weiterentwickelt werden können, um den Geist des Korans und der islamischen Botschaft auch für uns heute fruchtbar zu machen, indem die Lebenswirklichkeit der Menschen heute ihre Berücksichtigung findet.“ Weiter heißt es im Scharia-Buch: „Daher ist eine konstruktive Kritik notwendig, die nicht darauf abzielt, das islamische Recht zu disqualifizieren, sondern diesem einen Anstoß zu geben, sich weiterzuentwickeln.“.

Reflexion der Tradition

 

Dem Autor geht es also nicht darum, die komplette Tradition auf den Kopf zu stellen oder zu kritisieren, sondern sie kritisch zu reflektieren und das fruchtbar zu machen, was den Muslimen hier und heute in Deutschland hilft, ihre Religion lebensnah zu verwirklichen. Genau dies tut er nicht nur auf den insgesamt 83 Seiten über die islamische Normenlehre, innerhalb derer es zahlreiche Reflexionen gibt (als konkrete Beispiele seien da nur die Ausführungen zur Hadithliteratur, die Maqasid-Diskussion und die Notwendigkeit einer Reform des islamischen Denkens zu nennen), sondern durchwebt sein ganzes Werk. Das betrifft auch Quellen, die er selbst für seine Argumentation nutzt. So z. B. al-Ghazali, von dessen Ausführungen der Autor einiges für sein Werk fruchtbar macht, mit dessen Überzeugungen er aber auch nicht immer übereinstimmt, wie im Falle des Kapitels 4.5.3, in dem es um die Auflistung der Maqasid geht. Wenn man nun die Perspektive und Intention des Autors einfach ausblendet und dem Text seine eigene vorbelastete Sicht aufzwingt, kann es nicht verwundern, dass man zu solch einem falschen Schluss wie der Rezensent kommt, der Khorchide gleichermaßen zu Unrecht eine Kritik an der islamischen Wissenschaftstradition sowie der unkritischen Wiedergabe vorwirft.

Das selektive Leseverhalten des Rezensenten wird besonders in dem zweiten Abschnitt deutlich, innerhalb dessen er sich mit der Thematik der Beigesellung beschäftigt, die Khorchide in seinem Buch intensiv bespricht. Vorab sei Folgendes gesagt: In der islamischen Theologie gibt es die weitverbreitete Unterscheidung zwischen der großen Beigesellung (ash-Shirk al-Akbar) und der kleinen Beigesellung (ash-Schirk al-Asghar). Während erstere Form die direkte Anbetung eines anderen Gottes neben dem einen Gott bedeutet, sieht die zweite Form in jeder Form des unhinterfragten Folgens von Menschen oder Ideen, eine Form der Beigesellung, die anderes als die erste Form nicht den Austritt vom Glauben als Konsequenz hat. Es geht Khorchide also keineswegs darum „andersdenkende Muslime […] als außerhalb des Islams stehend“ zu bezeichnen, sondern darum, dass der Mensch sich von jeglicher Form der Bevormundung befreit, da diese seinen Geist einschränkt und den Menschen zu einem unmündigen Wesen macht. Khorchide spricht an keiner einzigen Stelle seines Buches jemandem den Islam ab. Dies wird ihm lediglich von Rezensenten in den Mund gelegt. Kann der Einsatz für die Mündigkeit eines Menschen wirklich negativ ausgelegt werden? Vielleicht in einem unterdrückenden Diktatorenstaat, der geprägt ist von patriarchalischen Strukturen, nicht aber in einer Gesellschaft, die vernunftsorientiert ihren Weg nach vorne gehen will.

Große und kleine Beigesellung

 

Hier sei zudem angemerkt, dass der große Gelehrte al-Ghazali in seinem Werk “Ihya ulum ad-din” innerhalb des Abschnittes über die “reine Absicht” ebenfalls von Beigesellung spricht, wenn der Mensch zwar in all seinen Handlungen die Intention verfolge, Gottes Nähe zu erlangen, aber dabei noch eine weitere Intention anstrebe, denn so verlasse er, laut Ghazali, die Grenze von Ikhlas (die reine Absicht zu Gott) und sei durch Schirk befallen. Khorchide zeigt in seinem Appell an Ikhlas, den angestrebten Idealzustand auf, auf dem Weg der Vervollkommnung des Menschen (siehe “Islam ist Barmherzigkeit” S. 78).

Dass dem Rezensenten nun die oben genannte durchaus bekannte Unterscheidung zwischen großer und kleiner Beigesellung nicht geläufig ist, führt auch zu einem völlig falschen Textverständnis von Khorchides Buch. Das zeigt sich deutlich an den von ihm angeführten Textbeispielen, die er völlig aus dem Zusammenhang, also selektiv, zu deuten sucht. So führt er folgenden Auszug von Seite 33 des Scharia-Buches mit dem oben genannten Vorwurf an, für Khorchide wäre „eine andere Art des Koranverständnisses“ mit dem Stehen außerhalb des Islams gleichzusetzen: „»Beigesellung» (Schirk) kann also im Kopf eines Menschen stattfinden, indem er die ihm von Gott verliehene Vernunft, mit der er den Geist des Korans verstehen kann, zugunsten des Scheinbaren, also des gelesenen statt des verstandenen Wortes ausschaltet.“ Bereits das Wort „also“ lässt darauf schließen, dass es sich bei dem Zitat um ein Fazit handelt und in der Tat: Schaut man in das Buch, stellt man schnell fest, dass es das Ergebnis aus einer langen Argumentation ist, die der Rezensent völlig ausgeblendet hat, denn es geht hier keinesfalls darum, eine „andere Art des Koranverständnisses“ als „unislamisch“ zu bezeichnen. Vielmehr zeigt Khorchide anhand einer Anekdote über den Vorschlag eines muslimischen Gelehrten, dass Frauen wie damals die Sklavinnen einen Eigentumsvertrag abschließen sollen, um so dem Kopftuchgebot zu entgehen, dass „ein wortwörtliches Verständnis einiger Aussagen“ Gefahr läuft, „dem koranischen Geist entgegenzuwirken“, denn es ist sicherlich nicht im Sinne des Korans, dass, wie die Moderatorin in der Anekdote bemerkt, Frauen barbusig durch die Straßen Deutschlands laufen. Da muss wohl auch der Rezensent zustimmen.

Verstand einsetzen

 

Das zweite Textbeispiel (S. 27f) führt der Rezensent dann mit dem Vorwurf an, dass Khorchide Interpretationsunterschiede ebenfalls als unislamisch bezeichnen würde, wobei völlig unklar ist, wie der Rezensent auf eine derartige Interpretation des Textauszuges kommt, denn innerhalb dieser Passage betont Khorchide auf der Grundlage des Korans (z. B. 9:31-32), dass die geistige Bevormundung in dem Sinne eine Form der Beigesellung ist, als dass sie das Wort der Gelehrten auf eine Stufe mit dem Wort Gottes stellt, denn die Aussagen vieler Gelehrter werden als unhinterfragte Wahrheiten übernommen. Der Mensch solle, so fordert Khorchide im Sinne des Korans, seinen Verstand einsetzen. Inwiefern Interpretationsunterschiede angeblich von Khorchide kritisiert worden sind, ist völlig unklar und nicht nachvollziehbar. Vielleicht schaut der Rezensent noch einmal genauer in den Text.

Seine zu einem völlig falschen Textverständnis führende vorbelastete Leseperspektive hält der Rezensent bis zuletzt aufrecht, wenn er Khorchide vorwirft, dass sich die “Theologie der Barmherzigkeit” “gegenüber muslimischen Andersdenkenden als eher unbarmherzig” zeige. Als „unbarmherzig“ muss wohl viel eher das Aufzwingen einer bestimmten Leseperspektive auf den Text gelten, der sämtliche Inhalte verdreht und dekontextualisiert, wodurch ein der eigenen Intention passendes Konstrukt entsteht. Eine Vorgehensweise, die man nicht nur in der islamischen Geschichte sehr häufig findet (man schaue sich nur einmal die politisierende Koranexegese an), sondern auch sehr gerne von Korankritikern angewandt wird, die einzelne Verse aus ihrem Kontext herausreißen, um sie so gegen den Islam zu verwenden. Interessanterweise wirft der Rezensent genau diese Art der Dekontextualisierung auch dem Autor des Scharia-Buches am Ende seiner Rezension vor, dazu aber später mehr.

Gott-Mensch-Beziehung

 

Ein weiterer großer Kritikpunkt des Rezensenten ist die von Khorchide vorgestellte Gott-Mensch-Beziehung, die von einem restriktiven Gottesbild weg, hin zu einem dialogischen Modell, in dem Mensch und Gott miteinander kooperieren, führen möchte. Nun fragt man sich, was mag hieran verwerflich sein? Nun laut dem Rezensenten einiges, denn dieser wirft Khorchide vor, er würde das „Bild eines passiven Gottes“ zeichnen, der nur „für den „Abnehmer“, den Menschen, immer wieder neue Angebote“ produziere. Auch würde Khorchide nicht darauf eingehen, welche Folgen eine Ablehnung der Angebote für den Menschen habe. Auch hier wird der aufmerksame Leser von Khorchides Buch sicherlich schnell merken, dass der Rezensent seinem fehlerhaften Verständnis des Textes unterliegt. Um die Gedanken Khorchides im Scharia-Buch noch einmal genau zu erklären: Gott und Mensch befinden sich in einem ständigen Dialog, der Mensch erhält Angebote von Gott, deren Realisierung nicht nur der Erlangung seiner eigenen Glückseligkeit, sondern auch dazu dient, Gottes Intention in der Welt zu verwirklichen. Es handelt sich also hierbei um ein gegenseitiges „Geben“ und „Nehmen“ (s. den Hadith: „Ich war krank …“), keineswegs um einen passiven Akt Gottes. Khorchide macht dabei deutlich, wenn Gott handelt, dann tut er das nicht direkt, sondern durch den Menschen: „Gott greift nicht direkt in die Welt ein, sondern durch den Menschen. Denn er würdigt die Freiheit des Menschen und zwingt den Menschen daher zu nichts, er macht ihm lediglich und immer wieder von Neuem Angebote. Auch wenn der Mensch diese Angebote ablehnt, hört Gott auf keinen Fall auf, dem Menschen immer und immer wieder Angebote zu machen und die Situation neu zu kalkulieren, sodass Gott – egal wie oft der Mensch diese Angebote ablehnt – stets das nächstbeste mögliche Angebot greifbar macht. Der Glaube an das göttliche Schicksal bedeutet daher den Glauben daran, dass Gott nicht einfach tatenlos zuschaut, sondern er begleitet die Menschen und lenkt die Ereignisse im Sinne der Menschen, jedoch ohne die Freiheit des Menschen in irgendeiner Weise einzuschränken, und daher greift er hauptsächlich durch den Menschen selbst ein, aber nur wenn sich dieser in Freiheit zur Kooperation mit Gott entscheidet. Gott greift aber nicht nur durch den Menschen, sondern ebenfalls durch die Naturgesetze in die Welt ein.“ (S. 69). Der Widerspruch, den der Rezensent zwischen dem „Lenken der Ereignisse“ und dem „Eingreifen Gottes durch den Menschen“ sieht, kann im Lichte dieses Textabschnittes nicht nachvollzogen werden, denn diese beziehen sich unmittelbar aufeinander, wie Khorchide in seinem Buch ganz deutlich formuliert: „er begleitet die Menschen und lenkt die Ereignisse im Sinne der Menschen, jedoch ohne die Freiheit des Menschen in irgendeiner Weise einzuschränken, und daher greift er hauptsächlich durch den Menschen selbst ein, aber nur wenn sich dieser in Freiheit zur Kooperation mit Gott entscheidet.“ Dabei ist Gott natürlich weiterhin allmächtig, denn er hat ja in seiner Allmacht die Schöpfung so konzipiert, dass sie nach diesem System funktioniert. Ein einfaches Beispiel dafür ist, die Mutter, die ihrem Säugling Trost spendet, denn hier greift Gott durch die Mutter in die Welt ein. Von einem Abhängigkeitsverhältnis Gottes kann also im eigentlichen Sinne überhaupt keine Rede sein, vielmehr hat Gott die Welt so geschaffen, dass er als oberste Instanz alle Fäden in der Hand hält, indem er ständig alle Faktoren neu berechnet und dementsprechend dem Menschen immer wieder neue Angebote macht und somit indirekt in die Welt eingreift.

Natürlich steht es dem Menschen bei all den Angeboten frei auch nein zu sagen, das eruiert Khorchide sehr genau in seinem ersten Werk „Islam ist Barmherzigkeit“ an, welches das Scharia-Buch anknüpft (siehe dazu „Islam ist Barmherzigkeit“ z. B. S. 83). Es wäre daher sicherlich empfehlenswert gewesen, der Rezensent hätte dieses Buch im Vorfeld seiner Rezension gelesen, dann hätten einige seiner Fragen nicht gestellt werden müssen. So führt diese Unkenntnis von Khorchides erstem Buch dann zwangsläufig zu der in diesem Kontext nicht schlüssigen Frage: „Wieso soll der Mensch nicht eine eigene, völlig konträre Intention entwickeln können, die sich mit seiner nicht deckt?“ Dies spricht Khorchide dem Menschen ja in keiner Weise ab, ganz im Gegenteil, er betont ja immer wieder, dass der Mensch die Freiheit hat, sich zu entscheiden, verweigert er Gott allerdings die Kooperation, dann wird Gott, wie Khorchide mehrfach betont „Menschen bringen, die er liebt und die ihn lieben“. Den angesichts seines eigenen selektiven Lese- und Argumentationsverhaltens doch etwas absurden Vorwurf, Khorchide würde diese Aussage aus ihrem Kontext reißen, werden wir zum Ende hin besprechen. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass eine schlüssige und in sich stimmige Argumentation geboten wird, anhand derer der Rezensent seine Fragen eigentlich hätte beantwortet sehen müssen.

Nicht verstanden?

 

Eine weitere eher irritierende Frage, die der Rezensent innerhalb seiner Rezension stellt, lautet: Woran habe sich denn der Mensch zu messen am Tage des Gerichts? Diese Frage wirft zwangsläufig eine andere Frage auf: Hat der Rezensent den Text, den er rezensiert, wirklich gelesen und verstanden? Denn um nichts anderes geht es ja auf den 230 Seiten! Khorchide zeigt auf, dass es die Pflicht eines jeden Menschen sei, sich selbst zu läutern und die Rituale, wie Beten, Fasten und Zakat, in diesem Sinne zu praktizieren. Denn »An dem Tag werden weder Geld noch Kinder helfen, erfolgreich sein wird der, der mit einem gesunden Herzen zu Gott kommt.« (Koran 26:88-89). Khorchide führt diesen Vers wiederholt an, um aus seinem Verständnis der koranischen Botschaft, aufzuzeigen, worauf es am Tage des Gerichts ankommt. Nur wer ständig über sich selbst reflektiere, der werde seine Schwächen und Fehler erkennen und könne so zu einem vollkommenen Menschen werden, um mit reinem Herzen zu Gott zurückkehren zu können. Eine rein mechanische Ausübung von Ritualen könne diese Läuterung nicht erzielen, denn der Mensch beziehe so das Herz nicht mit ein, dieses aber ist laut Koran und Sunna der Ort, an dem der Glaube zum Glauben wird. Der besonders in den Kapiteln über die Säulen und Grundsätze des Islams, aber auch im Rest des Buches angeführte Gedankengang Khorchides ist sicherlich selbst für den Laien selbsterklärend. Jeder Mensch kann Worte von sich geben, auf essen und trinken verzichten oder eine Geldabgabe leisten, eine Bereicherung kann aber nur dann stattfinden, wenn der Mensch sich durch ihre Verrichtung weiterentwickelt und innerlich bereichert wird, indem er eben über sich und sein Handeln reflektiert. Und genau hier sieht Khorchide eines von vielen Angeboten Gottes: Der Mensch kann durch die Rituale zu seiner Glückseligkeit finden. „Praktizierende Muslime“ sind also in dem Buch von Khorchide keineswegs negativ konnotiert, so wie es der Rezensent in dem Abschnitt unter der Überschrift „Überzeugung durch Abgrenzung“ verlauten lässt. Wie kann es negativ sein, dass Rituale der Vervollkommnung des Menschen dienen? Das der Mensch durch sie zu einem besseren Menschen wird? Diese Kernaussage des Buches wird vom Rezensenten nicht nur nicht verstanden, er ignoriert sie auch völlig. Seine selektive Argumentation zeigt sich auch anhand des von ihm zitierten Textauszuges, auf dessen Grundlage der Rezensent behauptet, Khorchide habe ein Problem mit „Praktizierenden Muslimen“: „Die Praxis sehr vieler sogenannter praktizierender Muslime, die sich lediglich an Äußerlichkeiten halten, sieht leider so aus: Fast jeder geht davon aus, dass ihm die ewige Glückseligkeit längst garantiert ist.“ (S. 45). Nicht nur, dass der Begriff „sogenannt“ darauf hindeutet, dass hier nicht die Rede von praktizierenden Muslimen generell ist, sondern von denen, die sich für praktizierend halten, es aber nicht sind, definiert Khorchide zudem deutlich in dem nachfolgenden Satz, den der Rezensent dem Leser vorenthalten möchte, wen genau er damit meint: „Er sucht nicht mehr die Auseinandersetzung mit sich selbst, sondern setzt sich mit anderen Menschen auseinander und sucht nach Verfehlungen bei ihnen, nicht bei sich selbst. Jeder will die Verfehlungen anderer verbessern, dabei geraten die eigenen aus dem Blick. Und so verstummt das Herz, während man glaubt, sich für das Gute einzusetzen.“ (S. 45f). Von einer allgemeinen „Verteufelung“ praktizierender Muslime kann also in gar keinen Fall die Rede sein. Das gilt auch für die vom Rezensenten nachfolgend genannten Textstellen der Seiten 14 und 15, in denen Khorchide nicht praktizierende Muslime verurteilt, sondern das Problem aufzeigt, welches entsteht, wenn ein Muslim eine religiöse Autorität so aufwertet, dass er als für Gott stellvertretend sprechend angesehen wird: „Zusätzlich zu der selbstverantworteten emotionalen Unterdrückung kommt nun eine selbst auferlegte Bevormundung. Und genau diese beiden Aspekte verhindern die Entwicklung einer selbstverantwortlichen und aufrichtigen persönlichen Beziehung zu Gott. Denn wenn man seine Beziehung zu Gott über juristische Kategorien definiert, braucht man zwangsläufig einen Juristen, der einen über die Urteile Gottes aufklärt. Dann ist es aber vorbei mit einer direkten persönlichen Beziehung zu Gott. Nun ist der Jurist dazwischen. Er spricht für und anstelle von Gott. Gott spricht nicht mehr. Der Muslim setzt sich nicht mehr mit Gott auseinander, sondern mit dem Juristen bzw. mit seinen Aussagen und Urteilen.“ (S. 15). Nach dem Verständnis des Rezensenten, der diese Aussagen als einen Angriff auf praktizierende Muslime ansieht, würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass der Rezensent einen praktizierenden Muslim daran ausmacht, dass er religiösen Autoritäten seine Verantwortung überträgt, indem er deren Antworten als unreflektierte Wahrheiten übernimmt, sich seines eigenen Verstandes also nicht bedient, sondern einfach Instruktionen folgt, die eben diese Gelehrten festgelegt haben und keineswegs eine persönliche Beziehung zu Gott anstrebt. Eine Idee, die eine stark patriarchalisch geprägte Haltung zeigt und im völligen Widerspruch zum Geist des Korans steht, der an zahlreichen Stellen den Menschen dazu auffordert seinen Verstand zu benutzen: „Und wenn man zu ihnen sagt, sie sollen dem folgen, was Allah herabgesandt hat, sagen sie: ‚Nein, wir folgen dem, was wir als Glauben und Brauch unserer Väter überkommen haben.‘ Wenn nun aber ihre Väter nichts verstanden haben und nicht recht geleitet waren?“ (Koran 2:170).

Moral wird anders verstanden

 

Der Rezensent bleibt bis zum Ende des Absatzes seiner Linie treu und verdreht die Aussage Khorchides in solch einem Maße, dass er zu dem Schluss kommt, dieser würde den praktizierenden Muslimen vorwerfen „den Islam juristisch wahrzunehmen, frei von jeglicher Moralität und Spiritualität“. Dem aufmerksamen Leser des Scharia-Buches wird sicherlich gleich auffallen, dass diese Auswertung keineswegs richtig ist, denn in dem Zusammenhang mit dem oben zitierten Textauszug des Scharia-Buches erklärt Khorchide weiter: „Eine noch fatalere Folge wäre, dass auch die Juristen bestimmen, was moralisch vertretbar ist und was nicht. Moral wird von außen aufgesetzt. Moralisches Handeln ist demnach nichts anderes als die Befolgung von Instruktionen, die die Juristen ausarbeiten und bestimmen.“ (S. 15). Der Autor greift seinen vorherigen Gedanken auf und entwickelt ein mögliches, die Betonung liegt auf „mögliches“, Szenario, dass eine unhinterfragte Befolgung von Instruktionen ebenfalls zur Folge haben könnte: Wenn moralisches Handeln auf der Grundlage von vorgegebenen Instruktionen, die der Mensch unhinterfragt akzeptiert, basiert, dann führt er dieses nur mechanisch und nicht aus einer inneren Überzeugung heraus aus. Es fehlt ihm also die Fähigkeit über sein Handeln zu reflektieren und demnach wird ihm die Möglichkeit entzogen, sich weiterzuentwickeln. Khorchide geht es also in keiner Weise darum praktizierenden Muslimen ihre Moral abzusprechen, sondern um die große Chance, sich im Laufe seines Lebens durch Selbstreflexion weiterzuentwickeln, die er aber dann in Gefahr sieht, wenn der Mensch in eine „selbstverantwortete emotionale Unterdrückung“ und „Selbst auferlegte Bevormundung“ begibt (S.15).

Hat der Rezensent eigentlich schon lange seine Kompetenz verloren, das Buch Khorchides zu beurteilen, so wird man spätestens am Ende dieses Absatzes nicht darum herumkommen ihm diese endgültig abzusprechen, denn dort heißt es: „die jedoch ein Ausblenden der Vielfalt der muslimischen Geisteswelt, insbesondere ihrer spirituellen Interpretationen mit sich bringt.“ Der aufmerksame und unvoreingenommene Leser kann hier nur heftigst mit dem Kopf schütteln, denn hier beweist der Rezensent mit seinen eigenen Worten: Er hat das Buch nur selektiv gelesen. Denn wie bereits oben angeführt, der Gedanke der Spiritualität, der Bereicherung des Herzens und der Läuterung des Menschen, ist mitunter eines der zentralen Themen in dem Werk Khorchides und wird von ihm immer wieder aufgegriffen. In diesem Zusammenhang definiert er ja gerade den Begriff „Scharia“ als den Weg des Herzens zu Gott und zitiert mehrfach der große Mystiker und Gelehrte Al-Ghazali. Wenn nun das Herz eine so wichtige Rolle in der Argumentation Khorchides spielt, dann fragt man sich zwangsläufig, wieso der Rezensent dieses mit keiner Silbe in seiner Rezension erwähnt? Das Wort „Herz“ kommt tatsächlich kein einziges Mal in der Rezension vor (!!) Und wie ist es möglich, dass der Rezensent davon spricht, Khorchide würde die Vielfalt der muslimischen Geisteswelt ausblenden, wo dieser doch eine lange Liste an Quellen der islamischen Tradition aus den unterschiedlichsten Lagern zitiert?

Wortwörtliche Auslegung

 

Abschließend soll nun noch der letzte große Vorwurf des Rezensenten an Khorchide durchleuchtet werden: Khorchide, so der Rezensent, würde dem Salafismus vorwerfen, dass dieser den Koran wörtlich auslegen würde, dies aber selbst tut. Dafür bringt der Rezensent zwei Beispiele, von denen eines in dieser gekürzten Replik besprochen werden soll. Bei dem ersten Beispiel handelt es sich um den sehr häufig von Khorchide zitierten Ausspruch Gottes (Koran 5:54): „Wenn ihr euch abwendet, dann wird Gott Menschen bringen, die er liebt und die ihn lieben.“ Der Rezensent interpretiert den Vers so, dass es sich hierbei um den Zorn Gottes gegenüber den Heuchlern handeln würde. Die muslimischen Exegeten waren sich keineswegs einig, wer mit diesem Vers gemeint ist. Die meisten favorisieren jedoch (vgl. Ibn Kathir, At-Tabari, Al-Baghawi usw.), dass damit diejenigen gemeint sein könnten, die nach dem Tod des Propheten zu Abu Bakrs Zeit, dem islamischen Staat ihre Loyalität gekündigt haben. Diese Exegeten führen jedoch zudem eine Menge anderer wahrscheinlich gemeinter Gruppen an. Genau weiß man also nicht, wer mit diesem Vers in seinem historischen Kontext gemeint ist. Khorchide, der zwischen theologischen und gesellschaftlichen koranischen Versen (s. „Islam ist Barmherzigkeit“ S. 135f) unterscheidet, liest in diesem Vers eine theologische Aussage über das Handeln Gottes. Der Offenbarungsanlass, über den wir kaum etwas wissen, ist nur, wie es das Wort selbst schon sagt, der Anlass der Offenbarung dieses Verses, was keineswegs heißen sollte, dass dieser Vers nur in seinem historischen Kontext etwas auszusagen hat, sondern auch darüber hinaus. Folgt man dem Rezensenten mit seiner impliziten Aufforderung, den Vers lediglich in seinem historischen Kontext als Aussage, die nur die Erstadressaten betrifft, zu verstehen, würde dies heißen, dass der Koran für die Nachfolgegenerationen, auch für uns heute, überflüssig geworden ist. Man kann aus diesem Vers jedoch eine Aussage über die Gott-Mensch-Beziehung ableiten. Und da bleibt Khorchide konsequent: Solche theologischen Aussagen im Koran, die etwas über Gott bzw. über die Gott-Mensch-Beziehung beschreiben, behalten ihre Bedeutung unabhängig vom historischen Kontext. Anders sieht es bei gesellschaftlichen koranischen Aussagen aus, die die zwischenmenschlichen Beziehungen regeln (z. B.: Körperstrafen), aus diesen müssen Prinzipien, wie Gerechtigkeit und Würde des Menschen, abgeleitet werden, die auch für uns heute religiös verbindlich bleiben, nicht jedoch die einzelnen juristischen Maßnahmen, die sich mit dem gesellschaftlichen Wandeln, auch selbst wandeln (s. „Islam ist Barmherzigkeit“ S. 162f).

Der anfängliche Vorwurf des Rezensenten, Khorchide würde an einer wörtlichen Interpretation festhalten, kann daher einer genaueren Prüfung nicht Stand halten. Dabei steht seine Interpretation in keinem Widerspruch zu dem Rest des Verses. Um das aufzuzeigen hier noch einmal der Vers in seiner Gesamtheit: „O die ihr glaubt! Wer von euch sich von seiner Religion abkehrt, so wird Gott Leute bringen, die Er liebt und die Ihn lieben, bescheiden gegenüber den Gläubigen, mächtig (auftretend) gegenüber den Leugnern, und die sich auf Allahs Weg abmühen und nicht den Tadel des Tadlers fürchten. Das ist Allahs Huld, die Er gewährt, wem Er will. Allah ist Allumfassend und Allwissend.“. Der Religion kann man sicherlich auf viele Weisen den Rücken zukehren und eine davon ist es eben, die Angebote Gottes nicht anzunehmen, „Nein“ zu Gott zu sagen. Entscheiden sich die Menschen für die Ablehnung, dann bringt Gott andere Menschen hervor, die er liebt und die ihn lieben. Diejenigen aber, die seine Angebote ablehnen, das sind die hier in der Nachfolge beschriebenen Leugner (Khorchide definiert diese in seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ detailliert auf S. 89f). Womit man bei der vom Rezensenten aufgeworfenen Frage angekommen wäre, was denn mit denen passiert, die Gottes Angebote ablehnen.

Auf Kosten der Glaubwürdigkeit

 

Während nun Khorchides Interpretation auf soliden Füßen steht, kann man das von der des Rezensenten nur schwerlich behaupten, denn schaut man sich den arabischen Originaltext an, so steht dort in der Tat wörtlich, dass „Gott Menschen hervorbringen wird“, arabisch „ya’ti“, dieses wichtige Wort ignoriert der Rezensent aber völlig, geht also abermals selektiv vor (tut also genau das, was er Khorchide vorwirft) und spricht davon, dass es hier „um eine Beschreibung der Gläubigen, die durch ihren Glauben und ihr Handeln ihre Liebe zu Allah bewiesen haben, die deswegen auch von ihm geliebt werden“. Das Ausblenden dieses wichtigen Wortes kann so nur zu einer fehlerhaften Interpretation führen, erst recht, wenn der Autor den Inhalt des Textes dann auch noch zusätzlich verbiegt, denn Gott stellt sich hier als aktiver Gott vor, der nicht nur „hervorbringt“, sondern als Erster den Schritt auf den Menschen mit seiner Liebe zugeht: „die er liebt“ und erst dann folgt „die ihn lieben“, es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Menschen zuerst durch ihr Handeln ihre Liebe beweisen und erst dadurch von Gott geliebt werden. Das gibt der Vers so nicht her. Wenn der Rezensent Exegese betreiben möchte, dann sollte er dabei die Richtlinien der Koranauslegung beherrschen, unter denen eine linguistische und rhetorische Kompetenz der arabischen Sprache fundamental sind.

Fazit: Man kann es nur mit ähnlichen Worten wie der Rezensent selbst sagen: Am Ende geht das selektive Vorgehen des Rezensenten auf Kosten der Glaubwürdigkeit, allerdings nicht der der islamischen Theologie in Deutschland, sondern seiner eigenen.

 

Dina El Omari, Islamiq, 13.11.2013

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Beim Barte des Professors

 

Am Zentrum für Islamische Theologie der Uni Münster sollen die Lehrer von morgen für den Islamunterricht in NRW vorbereitet werden. Doch das Institut steht wegen einiger Personalien in der Kritik. Von Johannes Nitschmann

Es ist zwar nur ein Termin von vielen, aber einer, der es in sich hat. In knapp zwei Wochen, am 28. November macht Bundespräsident Joachim Gauck dem Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Uni Münster seine Aufwartung. Gauck geht es um den interreligiösen Dialog und die Akzeptanz des Islam in Deutschland. Doch es ist ausgerechnet dieses ZIT, um das unter verschiedenen muslimischen Gruppierungen ein heftiger Streit tobt. Dieser Termin des Bundespräsidenten Gauck scheint von vornherein dazu verdammt, eine Mission impossible zu werden.

 

 

Seit Wochen steht Mouhanad Khorchide, der Leiter des ZIT, unter Beschuss. An seinem Institut werden derzeit über 400 Lehrer für den islamischen Religionsunterricht an NRW-Schulen ausgebildet. Doch führende Vertreter muslimischer Verbände werfen dem Münsteraner Islamwissenschaftler vor, Irrlehren zu verbreiten. "In Münster werden Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der Religionsgemeinschaften hinweg", so empört sich etwa Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime.

 

Hintergrund der Auseinandersetzungen ist ein tiefgreifender theologischer Konflikt. Repräsentanten der eher konservativen Muslime werfen Khorchide vor, er bringe seinen Studenten einen "Kuschel-Islam" bei. Der 42-jährige Theologe versteht den Koran als ein Buch aus dem 7. Jahrhundert, dessen einzelne Gebote nicht mehr wörtlich in die heutige Zeit übertragen werden könnten.

 

Professor vertritt aufgeklärten Islam

 

In seinen aktuellen Veröffentlichungen tritt der Professor für eine liberale Neuinterpretation des Islam ein, ohne dabei die Kernbotschaften des Propheten Mohammed zu leugnen. Khorchide bekennt sich zu einem "modernen und aufgeklärten Islam", der von "Gottesliebe, Barmherzigkeit und Freiheit" geprägt ist. Die Scharia sei "nur ein menschliches Konstrukt", schreibt Khorchide. Er verstehe den Islam als "Einladung", eine "freundschaftliche Beziehung" zu Gott aufzubauen.

 

Korantreue Muslime fühlen sich durch einen solchen "Islam light" in ihrem Glauben verletzt. In Kürze will der Koordinationsrat der Muslime (KRM) ein wissenschaftliches Gutachten veröffentlichen, in dem Khorchides Theologie "Punkt für Punkt" widerlegt werde. Die Mitglieder des Koordinationsrats hätten Bedenken, ob Khorchide den Lehrstuhl für islamische Theologie überhaupt "konfessionsgebunden leiten" könne, erklärt deren Sprecher Bekir Alboga. Zudem bestünden massive Zweifel "an Khorchides Fähigkeit, wissenschaftliche Arbeit zu leisten".

 

Ein wenig erinnert der Glaubensstreit an die Auseinandersetzungen um die katholischen Theologieprofessoren Eugen Drewermann und Hans Küng, denen der Vatikan nach langen Auseinandersetzungen schließlich die Lehrerlaubnis entzog. Der Unterschied zum Islam besteht aber darin, dass der Islam kein Kirchenoberhaupt hat, das eine solche Entscheidung ex cathedra verkünden könnte.

 

Unfähiger Beirat ist keine Hilfe

 

Da Religionsunterricht in Deutschland laut Grundgesetz "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt wird, hat die NRW-Landesregierung beim Islam zu einem Hilfskonstrukt gegriffen: Ein achtköpfiger Beirat soll seine Zustimmung zur Berufung von Professoren für islamische Theologie an der Uni Münster erteilen und über die theologischen Lehrinhalte bestimmen.

 

Dieser Beirat setzt sich aus vier KRM-Mitgliedern sowie vier muslimischen Einzelpersönlichkeiten zusammen. Mit dieser Konstruktion lehnt sich die Hochschule an das im Kirchenkonkordat verankerte Berufungsverfahren für katholische und evangelische Theologieprofessoren an und folgt damit zugleich einer Empfehlung des Wissenschaftsrates.

 

 

Doch bis heute hat der Beirat für den Studiengang islamische Theologie an der Uni Münster noch nie getagt. Er ist seit fast zwei Jahren funktionsunfähig. Zwei vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) benannte Mitglieder seien nacheinander von der Leitung der Münsteraner Hochschule wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt worden, bestätigt KRM-Sprecher Alboga, der gleichzeitig stellvertretender Generalsekretär der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) ist.

 

Kandidat steht unter Beobachtung

 

Einer der abgelehnten Kandidaten ist der Generalsekretär des Islamrats, Burhan Kesici. Ein Mitgliedsverband des Islamrats ist die islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die vom Verfassungsschutz wegen verfassungsfeindlicher und antisemitischer Bestrebungen beobachtet wird.

 

Nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zeigt Milli Görüs ein "antidemokratisches Staatsverständnis" und "antisemitische Charakterzüge". Deshalb hatte das Bundesbildungsministerium gegen die Berufung von Kesici in den achtköpfigen Beirat des ZIT Einspruch erhoben und mit einer Sperrung der Bundesmittel in Höhe von 3,3 Millionen Euro für den Studiengang gedroht.

 

Zugleich aber sitzt Kesici weiterhin in dem von der Landesregierung berufenen Beirat für den islamischen Religionsunterricht an NRW-Schulen. Auch dieser Beirat bestimmt über Lehrinhalte bei der Ausbildung islamischer Religionslehrer an der Uni Münster mit.

 

NRW hat keine Bedenken

 

Im Gegensatz zur Bundesregierung sieht Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bei Kesici, der auch als stellvertretender Vorsitzender der zu Milli Görus gehörenden Islamischen Föderation Berlin fungiert, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. "Herr Kesici ist Politikwissenschaftler und unterrichtet an Berliner Schulen das Fach Islam", teilt eine Sprecherin des Schulministeriums auf Anfrage mit. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen seine Person bestünden beim NRW-Schulministerium nicht.

 

Es ist also nicht nur der Religionsstreit, der das ZIT lähmt. Auch Zweifel an der Verfassungstreue führender muslimischer Repräsentanten verhindern ein gedeihliches Arbeiten. Ordnungsgemäß können dort gegenwärtig keine Professoren für islamische Theologie berufen und keine theologischen Curricula verabschiedet werden.

 

Seit zwei Jahren schon behilft sich die Uni mit Übergangslösungen. Der Koordinationsrat habe sich jetzt darauf verständigt, "zum letzten Mal" einen weiteren Beiratskandidaten vorzuschlagen, erklärt KRM-Sprecher Alboga ultimativ. Zugleich weist er Vorwürfe zurück, die Funktionsfähigkeit des Beirats für das Islamzentrum werde von den muslimischen Verbänden boykottiert, um so den unliebsamen Islamprofessor loszuwerden.

 

"Auch ich bete und faste"

 

 

Khorchide wiederum zeigt sich versöhnlich: "Wir strecken beide Arme aus und hoffen auf konstruktive Zusammenarbeit", sagt er. An den Grundregeln des Islam wolle er ebenso wenig rütteln wie an den religiösen Ritualen, versichert er. "Auch ich bete und faste."

 

Seine Kritiker besänftigt dies nicht. Immer häufiger erreichten den Islamrat Klagen von Studenten und Mitarbeitern des ZIT, berichtet Engin Karahan, Referent des Islamrats für religionsverfassungsrechtliche Fragen. Dabei gehe es "um den massiven Ausfall von Veranstaltungen, die wissenschaftliche Qualität mancher Dozenten, die offensichtlich schon an den Basics scheitern, und um den menschlichen Umgang innerhalb der Institution".

 

Das NRW-Wissenschaftsministerium sieht jedoch keine Dienstpflichtverletzungen. "Die Vorwürfe sind in toto zu verneinen", erklärt ein Sprecher. Es bestehe keinerlei Anlass für rechtsaufsichtliche Konsequenzen.

 

Absolventen fehlt es an Akzeptanz

 

Inzwischen hat der Autor Eren Güvercin, der sich als "verbandsunabhängiger, gläubiger Muslim" bezeichnet, den ZIT-Beirat verlassen – aus Protest gegen angebliche Intrigen und Mobbing am Münsteraner Institut. Güvercin sorgt sich um die Berufsaussichten der dortigen Islamstudenten, weil sie in der muslimischen Community als Religionslehrer oder Imame kaum Akzeptanz fänden.

 

Dies liege vor allem an den umstrittenen Lehren von Khorchide. "Das ist keine Theologie für Otto-Normal-Muslime", klagt Güvercin. Er behauptet, die Uni-Leitung habe ihn abgemahnt und ihm einen Maulkorb verpasst, nachdem er die Auseinandersetzungen um Khorchide öffentlich gemacht habe.

 

Die Rektorin der Universität Münster, Ursula Nelles, bestreitet dies auf Anfrage mit einem klaren "Nein". Tatsächlich aber schrieb Nelles dem Beiratsmitglied Güvercin am 18. April dieses Jahres einen Brief, in dem sie ihm vorwirft, seine Loyalitätspflicht gegenüber der Hochschule "in schwerwiegender Weise verletzt" zu haben.

 

Rektorat ermahnt Beiratsmitglied

 

In dem Schreiben, das der "Welt am Sonntag" vorliegt, ermahnt die Rektorin den Khorchide-Kritiker, "es künftig zu unterlassen, Informationen, die Sie im Zusammenhang mit der Tätigkeit im Beirat für Islamische Theologie der Westfälischen Wilhelms-Universität erlangen, zu veröffentlichen oder in sonstiger Weise an Dritte weiterzugeben."

 

Vorwürfe aus der Studentenschaft, der umstrittene Professor komme seinen Lehrverpflichtungen nur unzureichend nach, weist die Uni-Leitung energisch zurück. Im vergangenen Semester habe Khorchide bei seinen Vorlesungen sogar ein Übersoll erfüllt. Der Zuspruch der Studierenden sei ungebrochen. Zum Wintersemester hätten sich über tausend Studenten auf 260 Studienplätze beworben.

 

 

Khorchide erhält von der Rektorin auch für seine für manche Muslime provokante Meinung Rückendeckung: "Er erfüllt somit seine Aufgabe, eine theologische Debatte zu führen." Khorchide sei "fraglos ein anerkannter Wissenschaftler". Nur wenige Professoren ihrer Uni seien "weltweit so nachgefragt" wie er.

 

Bekenntnis zur "engen Kooperation"

 

Bei der Ernennung von Khorchide im Jahr 2010 hatte die Uni Münster den KRM um Zustimmung gebeten – und diese auch erhalten. Zuvor hatte sich der Islamwissenschaftler in einer Verpflichtungserklärung gegenüber dem KRM zu einer "engen Kooperation" mit den muslimischen Verbänden und deren "institutioneller Einbindung" in Form eines Beirats bekannt. Dies sei notwendig um den Religionsunterricht in der Schule und in der Moschee "miteinander in Einklang zu bringen", heißt es in der "Absichtserklärung", die der Professor am 11. Februar 2010 unterzeichnete.

 

Darin verpflichtet sich Khorchide zur Ausbildung "hochqualifizierter Religionslehrer für den islamischen Religionsunterricht". Diese Lehrer müssten "über fundierte Kenntnisse in der islamischen Theologie" verfügen, aber "auch in ihren Einstellungen und Handlungen fromme, aufrichtige und vorbildliche Menschen und Bürger sein".

 

 

Die Welt, 16.11.2013

 

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[h=1]Wie viel Islam darf's denn sein?[/h]

Mouhanad Khorchide leitet das Islamzentrum an der Uni Münster. An seiner liberalen Haltung hat sich nun ein Streit entzündet, in den Muslimverbände, Uni-Leitung und Landesregierung verwickelt sind

 

Es ist zwar nur ein Termin von vielen, aber einer, der es in sich hat. In knapp zwei Wochen, am 28. November macht Bundespräsident Joachim Gauck dem Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Uni Münster seine Aufwartung. Gauck geht es um den interreligiösen Dialog und die Akzeptanz des Islam in Deutschland. Doch es ist ausgerechnet dieses ZIT, um das unter verschiedenen muslimischen Gruppierungen ein heftiger Streit tobt. Der Termin des Bundespräsidenten Gauck scheint von vornherein dazu verdammt, eine Mission impossible zu werden.

Seit Wochen steht Mouhanad Khorchide, der Leiter des ZIT, unter Beschuss. An seinem Institut werden derzeit über 400 Lehrer für den islamischen Religionsunterricht an NRW-Schulen ausgebildet. Doch führende Vertreter muslimischer Verbände werfen dem Münsteraner Islamwissenschaftler vor, Irrlehren zu verbreiten. "In Münster werden Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der Religionsgemeinschaften hinweg", so empört sich etwa Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime.

Hintergrund der Auseinandersetzungen ist ein tiefgreifender theologischer Konflikt. Repräsentanten der eher konservativen Muslime werfen Khorchide vor, er bringe seinen Studenten einen "Kuschel-Islam" bei. Der 42-jährige Theologe versteht den Koran als ein Buch aus dem 7. Jahrhundert, dessen einzelne Gebote nicht mehr wörtlich in die heutige Zeit übertragen werden könnten. In seinen aktuellen Veröffentlichungen tritt der Professor für eine liberale Neuinterpretation des Islam ein, ohne dabei die Kernbotschaften des Propheten Mohammed zu leugnen. Khorchide bekennt sich zu einem "modernen und aufgeklärten Islam", der von "Gottesliebe, Barmherzigkeit und Freiheit" geprägt ist. Die Scharia sei "nur ein menschliches Konstrukt", schreibt Khorchide. Er verstehe den Islam als "Einladung", eine "freundschaftliche Beziehung" zu Gott aufzubauen.

Korantreue Muslime fühlen sich durch einen solchen "Islam light" in ihrem Glauben verletzt. In Kürze will der Koordinationsrat der Muslime (KRM) ein wissenschaftliches Gutachten veröffentlichen, in dem Khorchides Theologie "Punkt für Punkt" widerlegt werde. Die Mitglieder des Koordinationsrats hätten Bedenken, ob Khorchide den Lehrstuhl für islamische Theologie überhaupt "konfessionsgebunden leiten" könne, erklärt deren Sprecher Bekir Alboga. Zudem bestünden massive Zweifel "an Khorchides Fähigkeit, wissenschaftliche Arbeit zu leisten".

Ein wenig erinnert der Glaubensstreit an die Auseinandersetzungen um die katholischen Theologieprofessoren Eugen Drewermann und Hans Küng, denen der Vatikan nach langen Auseinandersetzungen schließlich die Lehrerlaubnis entzog. Der Unterschied zum Islam besteht aber darin, dass der Islam kein Kirchenoberhaupt hat, das eine solche Entscheidung ex cathedra verkünden könnte.

Da Religionsunterricht in Deutschland laut Grundgesetz "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt wird, hat die NRW-Landesregierung beim Islam zu einem Hilfskonstrukt gegriffen: Ein achtköpfiger Beirat soll seine Zustimmung zur Berufung von Professoren für islamische Theologie an der Uni Münster erteilen und über die theologischen Lehrinhalte bestimmen. Dieser Beirat setzt sich aus vier KRM-Mitgliedern sowie vier muslimischen Einzelpersönlichkeiten zusammen. Mit dieser Konstruktion lehnt sich die Hochschule an das im Kirchenkonkordat verankerte Berufungsverfahren für katholische und evangelische Theologieprofessoren an und folgt damit zugleich einer Empfehlung des Wissenschaftsrates.

Doch bis heute hat der Beirat für den Studiengang islamische Theologie an der Uni Münster noch nie getagt. Er ist seit fast zwei Jahren funktionsunfähig. Zwei vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) benannte Mitglieder seien nacheinander von der Leitung der Münsteraner Hochschule wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt worden, bestätigt KRM-Sprecher Alboga, der gleichzeitig stellvertretender Generalsekretär der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) ist. Einer der abgelehnten Kandidaten ist der Generalsekretär des Islamrats, Burhan Kesici. Ein Mitgliedsverband des Islamrats ist die islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die vom Verfassungsschutz wegen verfassungsfeindlicher und antisemitischer Bestrebungen beobachtet wird.

Nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zeigt Milli Görüs ein "antidemokratisches Staatsverständnis" und "antisemitische Charakterzüge". Deshalb hatte das Bundesbildungsministerium gegen die Berufung von Kesici in den achtköpfigen Beirat des ZIT Einspruch erhoben und mit einer Sperrung der Bundesmittel in Höhe von 3,3 Millionen Euro für den Studiengang gedroht. Zugleich aber sitzt Kesici weiterhin in dem von der Landesregierung berufenen Beirat für den islamischen Religionsunterricht an NRW-Schulen. Auch dieser Beirat bestimmt über Lehrinhalte bei der Ausbildung islamischer Religionslehrer an der Uni Münster mit. Im Gegensatz zur Bundesregierung sieht Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bei Kesici, der auch als stellvertretender Vorsitzender der zu Milli Görus gehörenden Islamischen Föderation Berlin fungiert, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. "Herr Kesici ist Politikwissenschaftler und unterrichtet an Berliner Schulen das Fach Islam", teilt eine Sprecherin des Schulministeriums auf Anfrage mit. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen seine Person bestünden beim NRW-Schulministerium nicht.

Es ist also nicht nur der Religionsstreit, der das ZIT lähmt. Auch Zweifel an der Verfassungstreue führender muslimischer Repräsentanten verhindern ein gedeihliches Arbeiten. Ordnungsgemäß können dort gegenwärtig keine Professoren für islamische Theologie berufen und keine theologischen Curricula verabschiedet werden. Seit zwei Jahren schon behilft sich die Uni mit Übergangslösungen. Der Koordinationsrat habe sich jetzt darauf verständigt, "zum letzten Mal" einen weiteren Beiratskandidaten vorzuschlagen, erklärt KRM-Sprecher Alboga ultimativ. Zugleich weist er Vorwürfe zurück, die Funktionsfähigkeit des Beirats für das Islamzentrum werde von den muslimischen Verbänden boykottiert, um so den unliebsamen Islamprofessor loszuwerden.

Khorchide wiederum zeigt sich versöhnlich: "Wir strecken beide Arme aus und hoffen auf konstruktive Zusammenarbeit", sagt er. An den Grundregeln des Islam wolle er ebenso wenig rütteln wie an den religiösen Ritualen, versichert er. "Auch ich bete und faste."

Seine Kritiker besänftigt dies nicht. Immer häufiger erreichten den Islamrat Klagen von Studenten und Mitarbeitern des ZIT, berichtet Engin Karahan, Referent des Islamrats für religionsverfassungsrechtliche Fragen. Dabei gehe es "um den massiven Ausfall von Veranstaltungen, die wissenschaftliche Qualität mancher Dozenten, die offensichtlich schon an den Basics scheitern, und um dnn menschlichen Umgang innerhalb der Institution". Das NRW-Wissenschaftsministerium sieht jedoch keine Dienstpflichtverletzungen. "Die Vorwürfe sind in toto zu verneinen", erklärt ein Sprecher. Es bestehe keinerlei Anlass für rechtsaufsichtliche Konsequenzen.

Inzwischen hat der Autor Eren Güvercin, der sich als "verbandsunabhängiger, gläubiger Muslim" bezeichnet, den ZIT-Beirat verlassen – aus Protest gegen angebliche Intrigen und Mobbing am Münsteraner Institut. Güvercin sorgt sich um die Berufsaussichten der dortigen Islamstudenten, weil sie in der muslimischen Community als Religionslehrer oder Imame kaum Akzeptanz fänden. Dies liege vor allem an den umstrittenen Lehren von Khorchide. "Das ist keine Theologie für Otto-Normal-Muslime", klagt Güvercin. Er behauptet, die Uni-Leitung habe ihn abgemahnt und ihm einen Maulkorb verpasst, nachdem er die Auseinandersetzungen um Khorchide öffentlich gemacht habe.

Die Rektorin der Universität Münster, Ursula Nelles, bestreitet dies auf Anfrage mit einem klaren "Nein". Tatsächlich aber schrieb Nelles dem Beiratsmitglied Güvercin am 18. April dieses Jahres einen Brief, in dem sie ihm vorwirft, seine Loyalitätspflicht gegenüber der Hochschule "in schwerwiegender Weise verletzt" zu haben. In dem Schreiben, das der "Welt am Sonntag" vorliegt, ermahnt die Rektorin den Khorchide-Kritiker, "es künftig zu unterlassen, Informationen, die Sie im Zusammenhang mit der Tätigkeit im Beirat für Islamische Theologie der Westfälischen Wilhelms-Universität erlangen, zu veröffentlichen oder in sonstiger Weise an Dritte weiterzugeben."

Vorwürfe aus der Studentenschaft, der umstrittene Professor komme seinen Lehrverpflichtungen nur unzureichend nach, weist die Uni-Leitung energisch zurück. Im vergangenen Semester habe Khorchide bei seinen Vorlesungen sogar ein Übersoll erfüllt. Der Zuspruch der Studierenden sei ungebrochen. Zum Wintersemester hätten sich über tausend Studenten auf 260 Studienplätze beworben. Khorchide erhält von der Rektorin auch für seine für manche Muslime provokante Meinung Rückendeckung: "Er erfüllt somit seine Aufgabe, eine theologische Debatte zu führen." Khorchide sei "fraglos ein anerkannter Wissenschaftler". Nur wenige Professoren ihrer Uni seien "weltweit so nachgefragt" wie er.

Bei der Ernennung von Khorchide im Jahr 2010 hatte die Uni Münster den KRM um Zustimmung gebeten – und diese auch erhalten. Zuvor hatte sich der Islamwissenschaftler in einer Verpflichtungserklärung gegenüber dem KRM zu einer "engen Kooperation" mit den muslimischen Verbänden und deren "institutioneller Einbindung" in Form eines Beirats bekannt. Dies sei notwendig um den Religionsunterricht in der Schule und in der Moschee "miteinander in Einklang zu bringen", heißt es in der "Absichtserklärung", die der Professor am 11. Februar 2010 unterzeichnete. Darin verpflichtet sich Khorchide zur Ausbildung "hochqualifizierter Religionslehrer für den islamischen Religionsunterricht". Diese Lehrer müssten "über fundierte Kenntnisse in der islamischen Theologie" verfügen, aber "auch in ihren Einstellungen und Handlungen fromme, aufrichtige und vorbildliche Menschen und Bürger sein".

 

 

Die Welt, 17.11.2013

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(iz). Das Projekt „Islamische Theologie in Deutschland“ steht seit ihrem Bestehen im Mittelpunkt innerdeutschen Debatten. Partei dieser Debatte ist vor allem auch der Lehrstuhlinhaber im Zentrum für Islamische Theologie in Münster, Prof. Dr. Mouhannad Khorchide, der aufgrund seiner Publikationen derzeit auch viel Kritik erfährt.

 

Auf der anderen Seite befinden sich die muslimischen Verbände, die nunmehr in ihm eine Veränderung der islamische Theologie sehen; dahingehend, dass er mit angeblich islamwissenschaftlichen Methoden Theologie betreibe, worin ein Zweifel an seiner Bindung an die islamische Lehre impliziert wurde. Dieser Artikel soll die Grundthese von Prof. Dr. Khorchide und die an ihm geäußerte Kritik analysieren. Die Auswahl an Beispielen soll nur exemplarisch einen Blick in die Methodik und verbunden damit auch die Wissenschaftlichkeit und Bekenntnisgebundenheit seiner Thesen aufgreifen.

 

Maßstab der Betrachtung sind in erheblichem Maße die Fundamente der islamischen Theologie mit Rücksicht auf das breite Spektrum der Muslime im Hinblick auf das plurale Erscheinungsbild des Islams in der Welt und in Deutschland. Letztendlich folgt jedoch aus Khorchides Annahmen auch, dass die breite Masse der Mehrheitmuslime, die mit etwa 75 Prozent Bevölkerungsanteil unter den Muslimen in Deutschland eine entsprechende Gewichtung erhält, als Fundamentalisten kategorisiert werden, womit eine Grundsatzdiskussion angerissen wird.

 

Dieser Artikel geht zunächst gerade auf diese elementare Annahme ein und versucht, den ideellen Hintergrund zu beleuchten.

 

„Klassische Theologie als wissenschaftliche Theologie“

Dr. Jens Bakker spricht von der klassischen Theologie des sunnitischen Islams als wissenschaftliche Theologie, weshalb sie sich seiner Meinung nach mit der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie der Philosophie messen lasse, die seit dem 7./13.Jahrhundert weitgehend etabliert und im 12./18. Jahrhundert vorherrschende und historisch einflussreichste Theologie der islamischen Geistesgeschichte gewesen sei. Diese schuf eine größtenteils ganzheitliche Betrachtung des Wissens, des Seins und des Islams, die sowohl die diskursiv-rational-analytische Ebene (durch den ‘Ilm al-Kalâm/ ‘Ilm al-Aqaid), die praktisch-körperlich-materielle Ebene (durch ‘Ilm al-Fiqh) und die intuitiv-seelisch-moralische Ebene (durch ‘Ilm at-Tasawwuf/ ‘Ilm al-Achlaq) des laut islamischer Daseinsbetrachtung „verantwortlichen Menschen“ (Mukallaf) ansprach.

 

Diese Wissenschaften gehörten umfassend und unzertrennbar zusammen und versuchten in jeder Zeit normative Ansprüche und Lösungen für die Lebenswelt der Menschen darzulegen, wobei deskriptiver agierende Wissenschaften wie die Koranwissenschaft (‘Ilm al-Qurân) und die Hadithwissenschaft (‘Ilm al-Hadith) zur Rekonstruktion beziehungsweise Erhaltung der primären Bedeutungen der Quellen und dann vor allem der „Usûl al-Fiqh“ in diesem Zusammenhang als umfassende Quellen-, Verständnis- und Ableitungsmethodik diente.

 

„Dogmatisches Verständnis der Fundamentalisten“

Prof. Dr. Mouhanad Khorchide relativiert und erachtet jene – seit Abu Hanifa (gest. 150/767) bis zum Ende des osmanischen Reichs geglaubten, kodifizierten und weltweit gelehrten beziehungsweise in den Aqida- und Kalâmwerken der Aschariyya/Maturidiyya – systematisierten Glaubensaspekte als gleichgültig und behauptet, dass dieses „dogmatische Verständnis“ nur die „Fundamentalisten“ kümmere.

 

Hier muss dezidiert betont werden, dass in den Kreis, der hier als Fundamentalisten bezeichneten, insbesondere die größte islamische Wissenschaftstradition der Sunniten einbezogen ist, die neben den sechs Glaubensgrundlagen die dazu gehörigen schon früh kollektiv tradierten Glaubensaspekte für wichtig erachtet haben, die der Autor hiermit relativiert.

 

Auch heute als Rationalisten betrachtete Gelehrte der Mu'tazila wie Kâdi 'Abdulcabbâr (gest. 415/1025), al-Kâ'bî (gest. 319/931), Az-Zamachscharī (gest. 538/1143), Abû Ali al-Cubbâî (gest. 303/916) und sein Sohn Abû Hâschim al-Cubbâî (gest.321/933) bekannten sich zum Beispiel zu dem Glauben bezüglich des Grabes (‘Azabu‘l-Qabr). Hieraus ist zu schließen, dass Prof. Dr. Khorchide entweder aufgrund mangelnder Kenntnisse im Bereich der Primärquellen sich nicht dessen bewusst ist, dass er fast über 1400 Jahre bestehende Glaubensgrundlagen eines erheblichen Großteils der Muslime als fundamentalistisch kategorisiert.

 

Gehört nun der große Systematiker und Kalâmgelehrte der Mu'tazila Kâdi ‘Abdulcabbâr, der Aspekte wie den Glauben an die Befragung im Grab, der Waage am Tage des Gerichts (Mizân) oder an die Brücke (Sirât) in seinen Werken bekennend und für wichtig erachtend erwähnt auch zu den Fundamentalisten von denen Khorchide hier spricht? Von sich zu diesen Glaubensgrundlagen gleichfalls bekennenden Gelehrten wie Muhyî‘d-Dîn Ibn ʿArabî (gest. 638/1240) und Ibn Taymiyya (gest.728/1328), die nach gängiger Auffassung inhaltlich widersprüchlicher nicht sein können, ist bezüglich jenen Themen die kongruente Sensibilität zu erkennen.

 

Authentisch tradierte Aspekte der Glaubenswelt sind essenziell und konstitutiv für die Religion, werden hier jedoch von Mouhanad Khorchide auf Basis seines Paradigmas relativiert, womit eindeutig ein struktureller Bruch von der islamischen Kultur und Wissenschaftstradition zustande kommt. Wem das nur als „unwichtiges Detail“ vorkommt, schlucke diese vAussage: „Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass bis auf ein paar Äußerlichkeiten von dem Islam Mohammeds heute kaum etwas geblieben ist.“ (Islam ist Barmherzigkeit, S.212)

 

Dogmatisches Verständnis der klassischen Tradition?

Es geht hier nicht darum, etwas blind aus der Vergangenheit zu übernehmen und alle anderen Traditionen zu negieren. Im Gegenteil ist in der islamischen Geschichte weitgehend ein dynamisch-innovativer Prozess des Austausches und der intellektuellen Auseinandersetzung zu erkennen.

 

Beispielsweise waren die mu‘tazilitischen Gelehrten mit die Begründer der Kalâmwissenschaft und die sunnitischen Gelehrten haben dies zumindest methodisch übernommen und versucht mittels dieser Wissenschaft die ihnen eigenen Inhalte zu verteidigen. Laut Prof. Dr. Cornelia Schöck schaffte es die, sich mehrheitlich etablierte sunnitische Kalâmtradition, innerhalb intellektueller Auseinandersetzungen, mu‘tazilitische Sichtweisen rein argumentativ-rational ad absurdum zu führen. Dies zeigt, dass die hier erwähnte Tradition keine Dämonisierung anderer Wissenschaftstraditionen heißt.

 

Interessanterweise erfolgte mittels der sunnitischen Kalâmtradition eine systematisch-methodische, als auch substanziell-thematische Erweiterung seitens Gelehrten wie Abu Bakr al-Baqillânî (gest. 403/1013), Abu Hâmid Muhammad al-Ghazzalî (gest. 505/1111) und alsdann vor allem durch Imam Fahruddin ar-Razî (gest. 606/1210) und seinen Nachfolgern wie Sayfuddin al-Âmidî (gest. 631/1233), Kâdi Baydavî (gest. 685/1286), Adududdin al-Îcî (gest. 756/1355), Taftâzânî (gest. 792/1390) und Sayyid Scharif al-Curcânî (gest. 816/1413).

 

Der ‘Ilm al-Kalâm war in seiner veredelt-erweiterten Form keine reine Apologetik der sunnitischen Glaubenssätze gegenüber den als Erneuerer betrachteten Gruppen (Alu‘l-Bid‘a), sondern beinhaltete als grundlegende und umfassende Wissenschaft eine ganzheitliche Seinsbetrachtung, die unter anderem Themen der Philosophie wie Metaphysik/Ontologie, Naturphilosophie/Physik, Mathematik, Dialektik, Logik, Sprachphilosophie, Rhetoriktheorie, Ethik, Psychologie und Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie beinhaltete.

 

Oder nehmen wir das Faktum, dass mu‘tazilitische Gelehrte wie Abû al-Husain al-Basri (gest. 436/1044) der hanafîtischen und Kâdi ‘Abdulcabbâr der schafiîtischen Rechtsschule anhingen, wobei sie Usûl al-Fiqhwerke nach der Methode der sogenannten „Mutakallimûn“ schrieben.

 

Diese Methode der „Mutakallimûn“ im Usûl al-Fiqh wird interessanterweise in der Literatur gleichbedeutend als „schafiîtische“ Methode des Usûl al-Fiqh bezeichnet, da gerade Gelehrte der schafiîtisch-ascharîtischen Schule wie Imam al-Haramayn al-Cuwaynî (gest. 478/1085) (al-Burhan), Abu Hâmid Muhammad al-Ghazzalî (al-Mustasfa), Fahruddin ar-Razî (al-Mahsul) und Sayfuddin al-Âmidî (al-Ihkam), Standardwerke auf Basis jener Methodik verfassten.

 

Um ein letztes Beispiel zu geben verweise ich darauf, dass der Korankommentar „al-Kashshaaf ‘an Haqa'iq at-Tanzil“ des mu'tazilitischen Gelehrten Az-Zamachscharī, eine Koryphäe auf den Gebieten der Koranexegese und Sprachwissenschaften, jahrhundertelang in den Madaris des osmanischen Reichs gelehrt und dazu noch unzählige Zusammenfassungen und analytisch-kritische Kommentare verfasst wurden.

 

Theologie der Barmherzigkeit oder der Willkür?

Die „Theologie der Barmherzigkeit“ ist ein von Mouhanad Khorchide für die islamischen primär Quellen und die islamische Geschichte entworfener Rahmen, der aus mannigfaltigen persönlichen Meinungen besteht und keinen theologischen Nachweis als Grundlage heranführen kann, was im weiteren Verlauf exemplarisch verdeutlichen werden wird. Es wird geglaubt, dass in einem vor 1.400 Jahren offenbarten Buch das Gottesbild eines bedingungslos liebenden und barmherzigen Gottes vorhanden sei, das jedoch direkt nach dem Tode des Verkünders komplett von der islamischen Lebenswelt missachtet und verlassen worden ist, ja sogar konträr in eine „Theologie des Gehorsams und der Angst“ überginge.

 

Dieses Gottesbild wurde nun im Jahre 2012 von einer einzigen Person entdeckt und wird in aufklärungsfundamentalistischer Art den rückständigen Muslimen der Zeit aufoktroyiert, wobei jede andere Vorstellungen in Kategorien wie unzeitgemäß, unbarmherzig und menschenfeindlich verfrachtet werden. Diese Betrachtung stellt ein Paradebeispiel einer ideologischen Betrachtungsweise von Religionen dar. Verdeutlichen wir dieses Korsett hier zunächst nur anhand einiger vom Autor verwendeten beziehungsweise nicht-verwendeten Koranversen und fügen dem einige Randnotizen hinzu.

 

Verwendete Koranverse

1. Der Koranvers der Sure 3 Vers 191 wird in folgender Übersetzung wiedergegeben: „In der Erschaffung der Himmel und der Erde und in der Wende von Nacht und Tag sind Zeichen für die Einsichtigen, das Gedenken Gottes im Stehen und im Sitzen und liegend auf ihren Seiten und das Nachdenken über die Erschaffung der Himmel und der Erde: >Unser Herr, Du hast das nicht umsonst erschaffen. Preis Dir!

 

Hier fragt man sich natürlich, warum bei der fast kompletten Wiedergabe der Übersetzung des Koranverses eigenartigerweise insbesondere auf die letzten drei Worte verzichtet wurde und so der Anschein eines Endes des Textes erweckt wird, wo doch die unterstrichenen Worte سُبْحَانَكَ فَقِنَا عَذَابَ النَّارِ folgen sollten. Somit müsste der Vers (nach Rudi Paret) folgendermaßen Enden: „Gepriesen seist du! Bewahre uns vor der Strafe des Höllenfeuers!“

 

2. Der Koranvers der Sure 7 Vers 154 wird in folgender Übersetzung wiedergegeben10: „Und als sich Moses Zorn gelegt hatte, nahm er die Tafeln. In Ihnen ist Rechtleitung und Barmherzigkeit enthalten.“ Wieder wird ein ganzer Satzteil, der essenzielle Folgen für die Bedeutung hat, weggelassen. Im Folgenden soll wieder der Satzteil, auf den verzichtet wurde, unterstrichen und die Übersetzung Rudi Parets angegeben werden. نُسْخَتِهَا هُدًى وَرَحْمَةٌ لِلَّذٖينَ هُمْ لِرَبِّهِمْ يَرْهَبُونَ „Und als sich Moses Zorn gelegt hatte, nahm er die Tafeln (wieder auf). In ihrem Text (nuskha) ist Rechtleitung und Barmherzigkeit enthalten für diejenigen, die vor ihrem Herrn Angst haben.“

 

3. Der Koranvers der Sure 7 Vers 156 wird folgendermaßen wiedergegeben: „Meine Strafe trifft, wen ich möchte, und meine Barmherzigkeit umfasst alles.“ عَذَابٖى اُصٖيبُ بِهٖ مَنْ اَشَاءُ وَرَحْمَتٖى وَسِعَتْ كُلَّ شَیْءٍ فَسَاَكْتُبُهَا لِلَّذٖينَ يَتَّقُونَ وَيُؤْتُونَ الزَّكٰوةَ وَالَّذٖينَ هُمْ بِاٰيَاتِنَا يُؤْمِنُونَ

Wird die trotz mehrmaliger Erwähnung des Verses folgende und nicht-übersetzte Passage betrachtet, ergibt sich folgende Bedeutung: „Mit meiner Strafe treffe ich, wen ich will. Aber meine Barmherzigkeit umfasst alles. Und ich werde sie (die Rahma) denen zukommen lassen, die gottesfürchtig sind und die Almosensteuer (zakaat) geben, und die an unsere Zeichen glauben“

 

Auch Koranverse wie in der Sure 33 Vers 43 und der Sure 9 Vers 117, die von einer speziellen/besonderen Barmherzigkeit in Bezug auf die „Gläubigen“ sprechen, finden keine Erwähnung.

 

4. Der Koranvers der Sure 7 Vers 56 wird folgendermaßen wiedergegeben: „Die Barmherzigkeit Gottes, er ist nah.“

 

Wie selektiv hier wieder gearbeitet wird, ist durch die Betrachtung des ganzen Verses sichtbar:

 

 

وَلَا تُفْسِدُوا فِى الْاَرْضِ بَعْدَ اِصْلَاحِهَا وَادْعُوهُ خَوْفًا وَطَمَعًا اِنَّ رَحْمَتَ اللّٰهِ قَرٖيبٌ مِنَ الْمُحْسِنٖينَ

 

 

„Richtet nicht Unheil auf der Erde an, nachdem sie in Ordnung gebracht worden ist! Und betet zu ihm in Furcht (vor seiner Strafe) und in Verlangen (nach seiner Barmherzigkeit)! Die Barmherzigkeit Allahs ist den Rechtschaffenen nahe.“ (Rudi Paret)

 

Nicht-verwendete Koranverse

Hier sollen nur einige Verse erwähnt werden, die bei Personen, die die Thesen Khorchides gelesen haben, einige Fragezeichen erwecken sollten.

 

1. Der Koranvers der Sure 3 Vers 31:

„Sag: Wenn ihr Allah liebt (تُحِبُّونَ اللّٰهَ) , dann folgt mir (فَاتَّبِعُونٖى), damit (auch) Allah euch liebt (يُحْبِبْكُمُ اللّٰهُ) und euch eure Schuld vergibt! Allah ist barmherzig und bereit zu vergeben.“

 

Dieser und ähnliche Koranverse, die von einem zentralen Grund der Liebe Gottes an seine Geschöpfe, nämlich des „Ittiba’“, sprich der Gefolgschaft des Propheten Mohammed (der Frieden und Segen Gottes sei auf Ihm) reden, die seine gesamte Lebensweise in Bezug auf religiöse Angelegenheiten mit einschließen und somit auch Gebote/Verbote, Prinzipien, Weisheiten und Regeln, außer den 5 Säulen des Islams umfassen, die in den Fiqhwerken aller islamischen Denkschulen zu finden sind und dementsprechend ausgelegt wurden, finden keine zentrale Beachtung.

 

2. Der Koranvers der Sure 16 Vers 50:

„Sie fürchten ihren Herrn (den sie) über sich (haben) und tun, was ihnen befohlen wird.“ (Rudi Paret) يَخَافُونَ رَبَّهُمْ مِنْ فَوْقِهِمْ وَيَفْعَلُونَ مَا يُؤْمَرُونَ

 

 

3. Der Koranvers der Sure 2 Vers 196:

„Ist etwa einer, der (Allah) demütig ergeben ist, indem er zu (gewissen) Zeiten der Nacht sich niederwirft oder (andächtig im Gebet) steht und sich dabei vor dem Jenseits ängstigt, aber (doch auch) auf die Barmherzigkeit seines Herrn hofft (gleich einem, der nur auf das diesseitige Leben eingestellt ist)? Sag: Sind (etwa) die Wissenden den Nichtwissenden gleich (zusetzen)? (Doch) nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen.“ (Rudi Paret)

اَمَّنْ هُوَ قَانِتٌ اٰنَاءَ الَّيْلِ سَاجِدًا وَقَائِمًا يَحْذَرُ الْاٰخِرَةَ وَيَرْجُوا رَحْمَةَ رَبِّهٖ قُلْ هَلْ يَسْتَوِى الَّذٖينَ يَعْلَمُونَ وَالَّذٖينَ لَا يَعْلَمُونَ اِنَّمَا يَتَذَكَّرُ اُولُوا الْاَلْبَابِ

 

sowie Sure 70 Vers 27-28: „(Und die) sich vor der Strafe ihres Herrn ängstigen - vor der Strafe ihres Herrn darf sich (in der Tat) niemand sicher fühlen, -“

اِنَّ عَذَابَ رَبِّهِمْ غَيْرُ مَاْمُونٍ - وَالَّذٖينَ هُمْ مِنْ عَذَابِ رَبِّهِمْ مُشْفِقُونَ

 

Hier wird das Verb يَحْذَرُ und die Bezeichnung مُشْفِقُونَ verwendet. Im Koran werden mehrere Begriffe benutzt, die in ihrem Bedeutungsrahmen Aspekte wie Angst, Furcht, Sorge, Ehrfurcht, Kümmernis und Achtsamkeit direkt oder indirekt beinhalten, wozu zum Beispiel Hawf, Haschya, Taqwa-Ittiqa, Hazar, Ischfaq, Faza, Ru’b und Inzar gezählt werden können. Die Bezeichnungen in diesem Bedeutungsrahmen finden laut Zählungen über 600 malige Erwähnung im Koran.

 

4. Der Koranvers der Sure 13 Vers 21:

„ Und es sind jene, welche verbinden, was Allah zu verbinden geboten hat, und die ihren Herrn fürchten und sich auf einen schlechten Ausgang der Abrechnung gefaßt machen.“

 

 

وَالَّذٖينَ يَصِلُونَ مَا اَمَرَ اللّٰهُ بِهٖ اَنْ يُوصَلَ وَيَخْشَوْنَ رَبَّهُمْ وَيَخَافُونَ سُوءَ الْحِسَابِ

 

5. Der Koranvers der Sure 36 Vers 11:

„Du kannst (mit deiner Botschaft) nur jemand warnen, der der Mahnung folgt und den Barmherzigen im verborgenen fürchtet. Dem aber verkünde (dass er dereinst) Vergebung und vortrefflichen Lohn (zu erwarten hat)!“ (Rudi Paret)

 

 

اِنَّمَا تُنْذِرُ مَنِ اتَّبَعَ الذِّكْرَ وَخَشِىَ الرَّحْمٰنَ بِالْغَيْبِ فَبَشِّرْهُ بِمَغْفِرَةٍ وَاَجْرٍ كَرٖيمٍ

 

In diesem Zusammenhang wären auch die Koranverse der Sure 19 Verse 45-46 interessant, da sie die sensiblen und feinfühligen Worte des edlen Propheten Abraham (der Friede Gottes sei auf Ihm), einem Vorbild aller Gläubigen, Gottesfreunde und Gottesliebhaber folgendermaßen wiedergeben: „Oh mein Vater! Diene nicht dem Satan! Der Satan ist gegen den Barmherzigen widerspenstig. Oh mein Vater! Ich fürchte, dass du vom Barmherzigen eine Strafe erleiden und daraufhin ein Freund des Satans werden wirst.“

يَا اَبَتِ لَا تَعْبُدِ الشَّيْطَانَ اِنَّ الشَّيْطَانَ كَانَ لِلرَّحْمٰنِ عَصِيًّا يَا اَبَتِ اِنّٖى اَخَافُ اَنْ يَمَسَّكَ عَذَابٌ مِنَ الرَّحْمٰنِ فَتَكُونَ لِلشَّيْطَانِ وَلِيًّا

 

Anhand der oben wiedergegebenen Beispiele (von verwendeten und nicht-verwendeten Koranversen) kann festgehalten werden, dass nicht der Mindestanforderung der Wissenschaftlichkeit nachgekommen wird. Wenn selbst schon bei einer Primärquelle jeder „islamischen Theologie“ ein solch selektiver Umgang vonstatten kommt, der die eigenen Projektionen und Vorstellungen in die Quellen zu lesen versucht, sollte ein gleichermaßen selektiver Umgang mit den übrigen Quellen, sowie Aussagen und Ansichten von klassischen Gelehrten nicht verwundern.

 

Auffällig ist, dass vor allem Verse, die konstitutiv und selbstverständlich in Bezug auf die Gläubigen von Konzepten, wie Dienerschaft (Ubudiyya), Gottesfurcht (Takwa), Gehorsam (Ta’a) gegenüber Gott und dem Propheten, Befehl/Gebot/Weisung (Amr), Ermahnung (Inzar), Furcht (Hawf), Ehrfurcht (Haschya) und Furcht/Sorge vor einer schlechten Abrechnung, der Strafe Gottes und sogar vor Gott (dem Erhabenen) selbst völlig ausgelassen oder missgedeutet werden.

 

Trotz jenem koranischen Bedeutungsparadigmas beharrt der Autor darauf, jene Vorstellungen als Produkte klassisch islamischer (sunnitischer) Theologie und Gelehrten zu diffamieren und als Bilder und Projektionen von Stammesgesellschaften und archaischer Strukturen zu präsentieren, anstatt seine Projektionen anhand des vielfältigen Begriffs- und Bedeutungsparadigmas kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Dies zeigt deutlich, dass der Autor seine Meinungen durch die islamischen Quellen zu verifizieren versucht und jede – seine „a priori“ von Gott, dem Menschen, wie seinen Bedürfnissen und dem Islam angenommenen Vorstellungen – falsifizierende Quelle und Ansicht von ihm „verdrängt“ wird.

 

Allein die oben wiedergegebenen Koranverse ermöglichen uns eine Einsicht darin, dass wir es im islamischen Gottesverständnis weder mit der reduktionistischen Gottesvorstellung eines der bedingungslosen Liebe und Barmherzigkeit unterworfenen Gottes, wie der Auffassung Khorchides nach, noch der – und das muss dezidiert betont werden – eines diktatorisch und willkürlich herrschenden Richtergottes und seinen Untertanen zu tun haben, die der Autor in der klassischen islamischen Theologie und Lebenswelt zu finden glaubt.

 

Von heute dermaßen auf die ganze islamische Geschichte zu schauen und die Gottesbeziehungen der Menschen wie deren Leidenschaften, Ängste, Hoffnungen und Praktiken mit einem Strich zu negieren, kann nur mit Nichtbeachtung einer jahrhundertelangen islamischen Geschichte und Literatur erklärt werden.

 

Die Barmherzigkeit und die Liebe Allahs, des Gepriesenen und Erhabenen, war immer und immer wieder im Sinne einer „ewigen Wiederkehr“ gegenwärtig in dem Leben der muslimischen Gemeinschaften und Individuen. Ihre Beziehungen zu Gott, der Natur, den Mitmenschen, zu sich selbst, dem ganzen Sein und dem Kosmos, sowie in den Anstrengungen und Aufopferungen auf den Wegen der Wahrheit, der Güte, des Wissens, der Spiritualität und den Kämpfen gegen die Ungerechtigkeiten und der frommen Lebensart der unzähligen Gottesfreunde und Gelehrte bis heute basierte auf diese innige Nähe zu Gott.

 

Genau so manifestierte sie sich in der „islamischen Kultur und Zivilisation“, der Gründung großer Lehr- und Bildungsstätten, sowie in den großen Orden, den Stiftungen, den Wissenschaften, der Ästhetik, der Kunst, der Architektur, der Musik, der Poesie, der Literatur, den alltäglichen Praktiken und Gewohnheiten der Menschen über Jahrhunderte in verschiedensten Orten und auf mannigfaltigsten Weisen. In diesem Zusammenhang sei auch gesagt, dass noch gar nicht behandelt wurde, auf welcher Weise klassische Gelehrte Themen wie „Liebe/Barmherzigkeit und Dienerschaft/Gehorsam“, „Aufrichtigkeit und Handlung“, „Furcht und Hoffnung“, „Ermahnung und Verkündung froher Botschaft“ oder „Vergebung/Reue und Bestrafung“ diskutiert und ineinander in Beziehung gesetzt haben.

 

Selbst ein Blick in das 33. Kapitel („Buch der Hoffnung und der Furcht“) und 36. Kapitel („Buch der Gottesliebe, der Sehnsucht nach Gott, der Vertrautheit und der Zufriedenheit“ ) des Hauptwerkes „Ihyâ 'Ulûm ad-Dîn“ – des vom Autor oft zitierten – Abu Hâmid Muhammad al-Ghazzalî hätte dem Autor diesbezüglich genügend Auskunft gegeben.

 

Genau so hätte eine tiefere Auseinandersetzung und Beschäftigung mit schon vor Imam al-Ghazzalî lebenden Gelehrten des Tasawwuf („der islamischen Mystik“), die oft zugleich ganzheitlich-harmonisierend Aqida/Kalâm-, Fiqh-, Tafsir- und Hadithgelehrte gewesen sind, wie Hâris al-Muhâsibî (gest. 243/857) (ar-Riaya li Hukukillah), Abu Nasr Sarrac at-Tusi (gest. 378/988) (al-Luma fi‘t Tasawwuf), Abu Bakr Muhammad al- Kalabadî (gest. 380/990) (et- Ta'arruf li Mezhebi Ahli Tasawwuf), Abu Tâlib al-Makkî (gest. 437/1045) (Kutu’l Kulub), ‘Abdulkarim al-Kuschayrî (gest. 456/1072) (ar-Risala) oder späteren wie Abdulkadir Gaylanî (gest. 561/1166) (Futuh al-Gayb), die in ihren Werken Themen wie die Läuterung und Reinigung des Herzens, der tugendhaften Charaktereigenschaften, Gotteserkenntnis, -liebe, -sehnsucht, -nähe, -vertrauen, -furcht, -gedenken, der Barmherzigkeit/Güte, der Reue/Vergebung, der Ergebenheit, der Hoffnung, des Gehorsams gegenüber Gott und des Propheten, der Zufriedenheit, der Dankbarkeit, der Enthaltsamkeit und der Standhaftigkeit behandelt haben, dem Autor einen weitaus tieferen und differenzierteren Einblick in die islamische Kultur und Wissenschaftstradition ermöglicht.

 

Einige Anekdoten und Aussagen der Gelehrten wie al-Ghazzalî zur Legitimation der eigenen Sicht zu zitieren und dabei grundlegende und zentrale Aspekte, Verständnisse und Themen des Tasawwuf im Allgemeinen und dieser Gelehrten im Speziellen auszublenden, spricht ebenfalls für die willkürlich-selektive Haltung des Autors.

 

Wo er doch hätte sehen müssen, dass selbst die von der grenzenlosen Liebe und Barmherzigkeit Gottes sprechenden Sufis, wie Muhyî d-Dîn Ibn ʿArabî den Tasawwuf als den „Ittiba‘“ (die Gefolgschaft) des Propheten Mohammed (der Frieden und Segen Gottes sei auf Ihm) verstanden und den Propheten sowohl in Form, als auch in Norm, in Ästhetik als auch Ethik nachzuahmen versuchten und keinesfalls Aspekte wie die Dienerschaft, Verherrlichung oder Lobpreisung Gottes, sowie die Ergebenheit und des Gehorsams seinem Willen und Bestimmungen gegenüber vernachlässigten. Die unbegrenzte Liebe zu Gott schaffte bei solchen Persönlichkeiten wie Rabi‘a al-‘Adawiyya (gest. 185/801) kein simplifizieren islamischer Normen als Äußerlichkeiten, Formalitäten oder rein juristischen Aspekten, sondern im Gegenteil eine höhere und intensiver gelebte, ja sogar als Ehre empfundene Dienerschaft und Einhaltung von Geboten/Verboten.

 

Diese Sensibilität – die Enthaltung von jeglichen zweifelhaften Dingen beinhaltete – entsprang gerade jener Liebe, strebte rein nach dem Wohlgefallen Gottes und sah Aspekte wie authentisch überlieferten Glauben, grenzenlose Liebe und Ergebenheit/Gehorsam nicht in einem Konflikt, wie es das vom Autor präsentierte „Angebot“ tut.

 

Gerade aus den oben erwähnten Gründen war der „Tasawwuf“ als Wissenschaft der Läuterung und Reinigung der Seele einer der Grunddisziplinen des klassischen (sunnitischen) Wissenschaftsparadigmas und der Gelehrsamkeit und das nicht (nur) vor Abu Hamid al-Ghazzalî, sondern mindestens seit al-Ghazzalî also dem 6./12, der sie in seinem „al-Mustasfa“ als Wissenschaft vom Herzen und seiner Läuterung von schlechten Charaktereigenschaften (‘ilmu l-qalbi wa-tathirihi ‘Ani l-‘ahlaqi d-damimati) bezeichnet.

 

Doch die Tragödie jedweder „Reformtheologie“ ist, dass sie kaum etwas wissen (will) über die Zeiten und Jahrhunderte von 1200 bis 1900, die sie als Jahrhunderte bezeichnen, in denen ein restriktiver Geist und kein Gebrauch der Vernunft und Hinterfragung geherrscht habe.

 

Prof. Dr. Khorchide scheint anzunehmen, dass dieser angeblich vorhandene „restriktive Geist“ in der islamischen Welt schon seit dem 9. Jahrhundert herrscht. Hier sind wir an einem zentralen Punkt angelangt, da deutlich ersichtlich wird, dass solch zentrale Dogmen (!) und „klassische Narrative“ (George Saliba) in Bezug auf die Betrachtung der islamischen Welt und Ideengeschichte von M. Khorchide von seinen geistigen „Vätern“ und Lehrern wie Muhammad Abid al-Cabiri, Nasr Hamid Abu Zayd und Hasan Hanafi übernommen und importiert werden.

 

Diese, die in ihren Ansichten – in Bezug auf die theologisch-intellektuell-geistigen Traditionen nach al-Ghazzalî, wie im Osmanischen Reich und anderen Gebieten der islamischen Welt – immer noch den Narrativen der Orientalistik des 19. Jahrhundert verpflichtet zu sein scheinen, „beherrschen“ leider meist die Diskurse und Paradigmen heutiger entstehenden Reformtheologien, wie es auch an der „Theologie der Barmherzigkeit“ transparent wird.

 

Wenn sie sich schon nicht näher mit „einigen“ der ungefähr 10 Millionen Handschriften in der islamischen Welt (von denen ung. 6 Million in arabischer und 4 Millionen in Sprachen wie persisch und türkisch verfasst wurden) beschäftigen, hätte doch erwartet werden können, dass zumindest der aktuelle Wissensstand der Orientalistik/Islamwissenschaft und von Forschern aus verschiedensten Bereichen wie Max Horten (gest. 1945), Dimitri Gutas, Peter Adamson, Sabine Schmidtke, Fuat Sezgin, Thomas Bauer, Jens Bakker, Henry Corbin (gest. 1978), Sayyid Husain Nasr, William Chittick, Ihsan Fazlioglu, Ekmeleddin Ihsanoglu, Marshall Hudgson, Tahsin Görgün, George Saliba oder Roshdi Rashed einbezogen beziehungsweise beachtet werden, um nur einige zu nennen.

 

Um in diesem Rahmen dem Autor zum Abschluss noch einen letzten Hinweis dahingehend zu geben, dass ohne die Kenntnis jener historischen Fakten und Entwicklungen keinerlei Urteil über die islamische Lebenswelt und deren Ideengeschichte (einschließlich ihrer Gottesvorstellung) gefällt werden kann, ist der Einfluss von Gelehrten wie Muhyî d-Dîn Ibn ʿArabî, seinen Schülern und Nachfolgern wie Sadruddin al-Konawî (gest. 673/1274) und Dawud al-Kaysarî (gest. 751/1350) zu erwähnen, mittels denen der Tasawwuf einen umfassend metaphysischen Charakter bekam, indem auf die (unaufhebbare) existentielle Verbindung zwischen dem Sein, dem Kosmos, dem Menschen (also der Schöpfung) und der Manifestationen der göttlichen Namen und Attribute (des Schöpfers) aufmerksam gemacht wurde.

 

Dem resultierten fruchtbar-feinsinnige Einflüsse auf den „Makro- und Mikrokosmos islamischer Lebenswelt“ wie der Menschen-, Natur- und Gesellschaftsvorstellung, der Dienerschaft, der Gelehrsamkeit, der Moral, der Kultur, der Bildung, der Literatur, der Ästhetik, der Architektur, der Poesie und der Kunst.

 

Diese Lehre verbreitete sich schon wenige Jahrzehnte nach dem Tode des „großen Meisters“ (Schayh al-Akbar) fast in der gesamten islamischen Welt und wurde in unterschiedlichsten Formen rezipiert und behandelt, was ihr später eine fundamentale Bedeutung in Gebieten wie dem Osmanischen Reich und im Mogulreich gewährt. Bemerkenswert ist, dass diese Lehren nicht den ganzheitlichen und wissenschaftlichen Charakter des klassischen Wissenschaftsparadigmas der Theologie unterbunden haben, sondern – wie Dr. Jens Bakker pointiert erläutert, sie „vielmehr in einem umfassenden Sinn als bestimmend für die Formen der Religiösität, Weltsicht, Kultur und Ethik zu verstehen“ sind.

 

Ohne all diese Aspekte zu betrachten und zu erkennen, was für Gottes-, Welt-, Kultur- und Wissenserfahrungen die Muslime gemacht und was für eine Gefühls- und Lebenswelt sie durchlebt und entwickelt haben, ist es bedenklich von den „Grundzügen einer modernen Religion“ zu sprechen, die an den Fundamenten eines traditionellen Verständnisses des Islam, sowohl sunnitischer, mu‘tazilîtischer als auch schiîtischer Prägungen zu rütteln beansprucht, aber zentrale Meinungen in der islamischen Kultur und jahrhundertelange Ideengeschichte nicht tiefgründig behandelt.

 

Selbst der, interessanterweise die „guten Absichten“ Khorchides teilende Islamwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Thomas Tillschneider wundert sich hier und sagt folgendes: „Außerdem wurde – und auch das ist symptomatisch – Khorchides Werk gerade für etwas, wofür es tatsächlich hätte kritisiert werden müssen, nicht kritisiert. Ungeachtet seiner guten Absichten ist dieses Werk in seinen intellektuellen Ansprüchen derart bescheiden, dass man sich wundert, seinen Autor auf einem theologischen Lehrstuhl zu sehen. (…) Khorchide leistet überhaupt keine echte Denkarbeit, sondern definiert den Islam einfach nach seinem Geschmack um. Informationen über die islamische Theologiegeschichte werden gelegentlich herbeizitiert und spenden etwas Kolorit, mehr nicht.“

 

Unbelegte Pauschalisierungen

Besondere Erwähnung verdient auch der Aspekt, dass der Autor eine Unzahl an generalisierenden Aussagen in Bezug auf das Verständnis und der Praxis heutiger Muslime verwendet, wobei doch von einem Soziologen und Religionspädagogen eine Sensibilität im Hinblick auf empirisch belegte Aussagen zu erwarten sein muss. Exemplarisch seien hier einige Aussagen aus dem neuen Buch des Autors genannt: „Viele Muslime (…)“ (S. 43), „im Bewusstsein vieler heutiger Muslime (…)“ (S. 45), „Sehr viele Muslime maßen sich an (…)“ (S. 45), „Fast jeder geht davon aus(...)“ (S. 45), „Heute hört und ließt man immer wieder (…)“ (S. 54), „Der durchschnittliche Muslim (…)“ (S. 56), „Viele Muslime fordern (…)“ (S. 72), „viele Muslime (…)“ (S.124), „dennoch haben sehr viele Muslime (…)“ (S.144), „hat sich deren Geist längst auch in den Köpfen von Nichtwahabiten und Nichtsalafisten eingenistet. Wenn ein Muslim heute (…), dann fragt er meist nicht (…)“ (S. 182). Allein diese Vorgehensweise lässt große Zweifel an der Methode und Wissenschaftlichkeit der Arbeiten von Prof. Khorchide entstehen. Man sollte fragen, wieso ein Soziologe gänzlich ohne statistisch belegte Feststellungen wissenschaftliche Schlüsse zieht.

 

Dekadenz der Theologie in der Moderne?

Die Realität ist, dass eine grundlegende „Dekadenz und Krise im islamischen Denken“ wohl eher erst mit der Moderne eingetroffen ist.

 

Obwohl es eine der Hauptaufgaben der „islamischen Theologie“ sein sollte, die klassische-ganzheitliche Daseinsbetrachtung der islamischen Kultur und Wissenschaftstradition wiederzubeleben und selbstverständlich erweiternd (!) fortzusetzen, nehmen Reformtheologien oft leider die Funktion einer „politischen Theologie“ (Carl Schmitt) ein, mittels der „Verblendungszusammenhänge“ des Zeitgeistes legitimiert, gerechtfertigt und erhärtet werden.

 

Wie oben schon nur anhand einiger Aspekte sichtbar geworden ist, ist das intellektuelle Niveau und der wissenschaftliche Ansatz der klassischen Theologie heutzutage kaum zu sehen. Die Gelehrten der klassischen Zeit stellten sich den höchsten intellektuell-philosophischen und kulturellen Herausforderungen ihrer Zeit und profitierten dementsprechend von den verschiedenen Kulturen, Wissenschaften und Traditionen der Vergangenheit und ihrer Gegenwart. Selbstverständlich kam es zur Bildung und Entwicklung eines fachspezifischen Sprach- und Wissenschaftsjargons, der jedoch nicht in heute üblicher Tragik eine Verschlingung durch den Zeitgeist und dessen ideell-kulturellen Prinzipien verursachte, sondern im Gegenteil bezweckte, mittels einer veränderlich-dynamischen Erkenntnis-, Sprach- und Begriffswelt (Wasâil ve Mabadi) auf Basis unveränderlich-konstanter Prinzipien der islamischen Überzeugungsgrundlagen und Weltanschauung (Masâil ve Maqâsid) den Zeitgeist zu bestimmen.

 

Es ist ein großes Fragezeichen, ob der aus der Situation heraus zur Theologie gekommene Autor eine, in ihren Ansätzen ähnliche Zielsetzung, Systematik und Methodologie der klassischen islamischen Wissenschaften (al-‘Ulûm al-Islâmiyya) darlegen kann, die intellektuell einen solch konsequent-kohärenten Grad einnimmt und solche weitgefächerten Wissenschaftsbereiche umfasst. Aus diesem Grund ist es sicherlich nicht verwunderlich, dass der Islamwissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider die mangelnde Tiefe und Defizite der „Theologie der Barmherzigkeit“ wie folgt erkennt: „‘Islam ist Barmherzigkeit’ besteht aus biographischen Anekdoten, etwas Proseminarwissen zur islamischen Theologie und Geschichte, Versatzstücken aus der Tradition des Reformislam, einem guten Schuss Esoterik und einem bunten Strauß Allerweltsansichten über Gott und die Religion. Spuren eines profilierten theologischen Denkens sind nicht erkennbar. Das Ganze ist eine Laienpredigt auf gut zweihundert nicht sehr dicht bedruckten Seiten.“

 

Der Vorwurf einer dogmatisch-unkritischen Herangehensweise der klassischen islamischen Kultur und Wissenschaftstradition seitens „Reformtheologen“ wie Mouhanad Korchide fällt faktisch wohl eher auf ihre (pauschalisierende, monokausale und falsche Kausalzusammenhänge herstellende) Betrachtung – der islamischen Geschichte im Allgemeinen und der sunnitischen Theologie im Speziellen – schlagartig auf sie selbst zurück.

 

Diskursive Gewalt des Zeitgeistes

In dem folgenden Abschnitt soll nun auf den (unbewusst) geschaffenen „Verblendungszusammenhang“ solcher Diskurse und Rahmen konkreter Machtverhältnisse aufmerksam gemacht werden.

 

Bevor Ideen und Ansätze partikular betrachtet werden, muss eine Genealogie und der soziopsychologisch-ideologische Hintergrund – wie oben angedeutet – dieser modernen Islamverständnisse dechiffriert werden. Wie Martin Heidegger sagen würde, darf der Hammer nicht unabhängig von der Holzhütte beziehungsweise das teilhaftig-partielle unabhängig vom Ganzen betrachtet werden.

 

Michel Foucault machte uns in seiner Analyse der Macht in der Moderne auf etwas sehr wichtiges aufmerksam. In der prämodernen Zeit wurde Macht durch Zwang zum Gehorsam offen ausgeübt. Die Moderne jedoch, in Form eines Gefängnisses der Disziplinargesellschaft, übt Macht geschlossen aus, indem Disziplin- und Normenanpassung durch die die Individuen zur Selbstkontrolle/Selbstbeherrschung zwingende Schaffung von Standards, Rahmen und Diskursen in allen Bereichen des Lebens und den Wissenschaften seitens „Experten“ erzwungen wird.

 

Das sich (unbewusst) ständig selbst-abrechnend unter Beobachtung und Kontrolle der herrschenden Standards in verschiedenen Lebensbereichen fühlende Individuum, wird nach äußerer Anpassung auch zur Verinnerlichung der Standards, Diskurse und Rahmenverhältnisse gebracht.

 

Um es auf unsere Thematik hin zu konkretisieren, wird (indirekt) auf Basis gewisser Machtverhältnisse, wie zum Beispiel den Massenmedien geformt und geprägt, was denn der gute-böse, orthodoxe-liberale, mittelalterliche-aufklärerische, radikale-normale, extremistische-gemäßigte, unmenschliche-menschliche und unbarmherzige-barmherzige Islam sei. Das heißt, dass Kategorien und Diskursrahmen geschaffen werden, die wenn sie partikular-teilhaftig betrachtet werden, einen in denen ihnen entspringende Kategorien und Denkmuster drängen.

 

Konkreter gesprochen wird zum Beispiel der Kritiker der „Theologie der Barmherzigkeit“ zu einem Vertreter eines unbarmherzig-repressiven Islams innerhalb jenes Diskurses degradiert, da laut Mouhanad Khorchide die ganze islamische Welt seit der „Diktatur Muawiyas“ von einer diktatorisch-willkürherrscherlichen Gottesvorstellung beherrscht wird, die vor allem durch die ascharîtische (sunnitische) Theologie im Allgemeinen und dem Gelehrten Abu Hâmid Muhammad al-Ghazzalî im Speziellen unter den Gelehrten etabliert wurde.

 

Spektakulärerweise erwähnt Prof. Dr. Khorchide den Gelehrten al-Ghazzalî in seiner kürzlich erschienen Monographie „Scharia – der missverstandene Gott“ positiv an über zehn Stellen zur Untermauerung und Bekräftigung seiner grundlegenden Ansichten, wo er doch in seinem ersten Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ (von dem das zweite ja eine Fortsetzung beziehungsweise Ausweitung sein sollte) Imam al-Ghazzalî als den Indikator für die Etablierung des kritisierten Gottesbildes präsentiert hat. Dabei handelt es sich um methodisches Paradoxon.

 

Solche Schemata und Thesen kreieren unter den Laien, Volksmassen, Schülern, Studenten und (islamwissenschaftlich nicht gebildeten) Intellektuellen ein falsches Bewusstsein, welches deren (ideellen) Alltag und Sorgen „verrückt“, falls keine konkrete Bindung zur islamischen Kultur und Wissenschaftstradition erfolgt. Denn die Lebenswelt jener Menschen ist eine gänzlich andere und wird nicht einfach besser, indem die ganze islamische Kultur und Wissenschaftstradition mit ihrer theoretisch-praktisch und gesellschaftlich-sozialen Manifestationen, Strukturen, Bildungsstätten und Stiftungen, wie dessen ästhetische Dimensionen in einem Zuge negiert beziehungsweise außer Acht gelassen wird.

 

Der populärwissenschaftliche Titel ist also „das Angebot“ einer modernen Religion, wie er es selber nennt, das einen barmherzig-humanistisch-modernen Islam anbieten soll, welcher die Interessen der Mehrheitsgesellschaft stillt, doch nicht in der Mehrheit der muslimischen Basis und Gemeinden, sondern im Staat, den Medien, einigen Wohlgesinnten und stark „liberal“ gesinnten Muslimen seine größten Verkäufer finden sollte. Und da es vor allem an den Fakultäten der islamischen Theologie um eine bekenntnisorientierte Ausbildung geht, müsste man sich angesichts diesen von der islamischen Kultur und Wissenschaftstradition entfremdeten Thesen die Frage stellen, ob sie dem Anspruch der bekenntnisorientierten Ausbildung gerecht werden.

 

Hier werden gewiss manche aufschreien und sich auf Meinungsfreiheit, Pluralität, (theologischen) Vielfalt (oder der Mode entsprechend „Ambiguität“), als sowohl natürlich-universelles (aber wohl eher zeitgeistbedingtes?!) Menschenrecht als auch islamische Verpflichtung (!) beziehen.

 

Dem ist natürlich rhetorisch schwer auszuweichen, doch kann dazu kurz nur folgendes angemerkt werden. Es geht hier definitiv nicht um die Unterbindung beziehungsweise Verneinung von Vielfalt und Meinungsverschiedenheit in den Bereichen der islamischen Wissenschaften (al-‘Ulûm al-Islâmiyya). Im Gegenteil wurde auch oben dezidiert betont, dass dies essenziell schon immer in der islamischen und im Speziellen sunnitischen Geistesgeschichte als Barmherzigkeit für die muslimische Gemeinde aufgefasst vorhanden war und sogar islamwissenschaftlich vor allem in Detailbereichen beziehungsweise neu auftauchenden Themen des Fiqh, als auch die in den primären Quellen nicht eindeutig behandelten Aqida- und Kalâmfragen natürlich-unausweichlich und historisch selbstverständlich gewesen ist.

 

Doch hieß dies keineswegs eine Relativierung oder banale Akzeptanz mehrerer Wahrheiten in von seit der ersten Generation kollektiv kontinuierlich tradierten Glaubensgrundlagen (Aqaid) und gelebten islamischen Normen und Praktiken, wie dies heute mit Leichtsinn getätigt wird.

 

Hier geht also nicht um eine Kampagne gegen bestimmte Personen oder einzelnen Überlegungen. Im Gegenteil sogar würden ernsthaft islamwissenschaftlich konsequent durchgeführte Analysen und Ansätze, die gebunden an den schon über Jahrhunderte vorhandenen selbstkritisch-dynamischen Traditionen und Diskursen begrüßt und intellektuell-islamwissenschaftlich analysiert werden, doch wird man – wie klar ersichtlich – stattdessen nur der „Sklaverei des Zufälligen“ (Martin Heidegger) unterworfen.

 

Die Geburt der „Orientalischen Despotie“ aus dem Geist der „Theologie“

Fassen wir also einen der Grundpfeiler des Islamverständnisses von Mouhanad Khorchides zusammen: Kurze Zeit nach dem Tode des Propheten bis in die Gegenwart hinein wurde jenes „eigentlich-ursprünglich vom Koran bezweckte“ kaum beachtet, weshalb es zu einer Dekadenz beziehungsweise einer Stagnation der islamischen Welt gekommen sei. Dies sei ein zentraler Grund, weshalb die Muslime und die islamische Welt in dieser „unaufgeklärt, rückschrittlich-archaischen Lage“ seien und seit Jahrhunderten von einem „restriktiven Geist“ beherrscht werden würden.

 

Im Falle des Autors entsprang jenen angeblichen dekadent-archaischen Gesellschaften, sodann die Gottesvorstellung eines Diktators und Willkürherrschers, die in eine überall bis heute in der islamischen Welt verbreitete „Theologie des Gehorsams und der Angst“ überging.

 

Was lange Zeit als Bild nichtmuslimischer Forscher von der islamischen Welt galt, dass nämlich der Islam als eine unbarmherzige Gesetzesreligion dem Christentum als Gnadenreligion gegenüber minderwertig eingestuft wurde und im wissenschaftlichen Diskurs schon lange als Rudiment kolonialistischer Zeiten betrachtet wird, wie der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Lohlker betont, wird hier auf subtile Weise reproduziert, indem jenes Bild auf über 1.000-jährige Theorie und Praxis der islamischen Welt essenzialisierend übertragen wird.

 

Dass solche schwarz-weiß Konstruktionen nirgendwo außer in den Köpfen der Konstrukteure selbst, die ihre Erfahrungen, Vorstellungen und ihr (Un)wissen auf die gesamte islamische Welt und Geschichte „projizieren“, zu finden sind, darauf mussten schon unzählige westliche Denker, Intellektuelle und Orientalisten, wie der bekannte Philosoph und Autor des berühmten „De l‘Esprit des loix“ (Vom Geist der Gesetze) Montesquieu aufmerksam gemacht werden, die dem Wahn eines rassistisch-kolonialistischen Mythos der „orientalischen Despotie“ verfallen waren.

 

Jahrhundertelange Kolonialisierung und Imperialismus sowie herrschende Denkmuster basierten unter anderem auf solchen Bildern und Vorstellungen von der islamischen Welt. Erst mit den postkolonialen Bewegungen und Diskursen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, sowie der „Orientalismus“-Vorwurf Edward Saids an das akademische Fach der Orientalistik und den daraus resultierenden Diskursen und Kontroversen ist jener Blick auf die islamische Welt beziehungsweise auf den Orient zumindest in der Akademie – wie oben angedeutet – in dem Maße nicht mehr zu finden.

 

Bedenklich jedoch ist, dass hier ein Professor für islamische Religionspädagogik dieses in der westlichen Akademie schon lange veraltete und überholte Bild von der islamischen Welt (in viel karikierterer Weise) zu Gunsten und Profilierung seines „Angebotes“ und auf Kosten der 1.400 jährigen islamischen Kultur und Wissenschaftstradition mit all ihren Manifestationen, Methoden und Inhalten, rekonstruiert.

 

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Theodor Adorno)

 

Anmerkung zum Autor:

Halil Siracoglu ist Student der islamischen Theologie.

 

 

Islamische Zeitung, 16.11.2013

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[h=2]Moderater Leiter wird unter Druck gesetzt

Von Jan Kuhlmann[/h]Die großen Islamverbände kritisieren den Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster seit Wochen. Ihr Vorwurf: Er sei mehr Orientalist als Theologe. Jetzt scheint Mouhanad Khorchide bereit zu sein, die Leitung abzugeben.

Mouhanad Khorchide polarisiert. Im Internet hetzen salafistische Prediger gegen seine moderate Lesart des Islam. Auch die großen Islamverbände in Deutschland haben sich auf den Leiter des Münsteraner Zentrums für Islamische Theologie eingeschossen. Sie zweifeln seine Qualifikation als Wissenschaftler an, so wie Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Mazyek wollte sich in dieser Woche nicht mehr vor dem Mikrofon äußern. Vor Kurzem hatte er sich jedoch in einem Interview mit der Nachrichtenagentur KNA heftig über Münster und Khorchide beklagt.

"Die vier im Koordinationsrat KRM zusammengeschlossenen muslimischen Religionsgemeinschaften sind sehr besorgt über das, was da in Münster passiert. Wir bekommen täglich Briefe von unseren Gemeindemitgliedern, die sich beschweren. Khorchide redet, schreibt und handelt wie ein Orientalist und nicht wie ein Islamlehrer. Und das ist die Krux aller Probleme."

Der Münsteraner Professor hat innerhalb von einem Jahr zwei Bücher veröffentlicht, in denen er zentrale Thesen der islamischen Orthodoxie in Frage stellt. So ist die Scharia, das islamische Recht, für Khorchide nichts anderes als ein menschliches Konstrukt. Er versteht sie nicht als juristisches System, sondern reduziert sie auf eine islamische Normenlehre. Für den Theologen reicht es auch nicht aus, fünf Mal am Tag zu beten und zu fasten, um ein guter Muslim zu sein – die religiösen Pflichten müssten mit reinem Herzen erfüllt werden, sagt er. Die Kritik an seiner Theologie weist Khorchide zurück – vor allem den Vorwurf, Orientalist und kein Theologe zu sein.

"Es steht jedem frei, ein Urteil abzugeben. Und da lade ich auch jeden, ob Herrn Mazyek oder jeden vom KRM (ein), zu uns in die Lehrveranstaltungen sich hinzusetzen – bis jetzt habe ich niemanden gesehen, der in einer Lehrveranstaltung war – und sich genauer anzugucken: Was machen wir konkret? Wenn ich jetzt in jedem Buch mit über 400 koranischen Versen argumentiere, das ist keineswegs die Vorangehensweise eines Orientalisten oder eines Islamwissenschaftlers, sondern eines Theologen, der aus einer Innenperspektive das Ganze sieht. Und deshalb sehe ich meine Arbeit genuin als eine islamisch-theologische Arbeit."

Die Kritik an Khorchide ist auch deshalb brisant, weil unterschwellig der Vorwurf im Raum steht, der Religionsgelehrte sei vom Islam abgefallen. Nach der Veröffentlichung seines ersten Buches hatten ihn muslimische Theologen öffentlich zur Reue aufgerufen.

[h=3]Der Vorwurf lautet "Abfall vom Islam"[/h]Abfall vom Islam – genau dieser Vorwurf brachte auch Khorchides Vorgänger in Münster zu Fall. Sven Kalisch musste 2010 nicht zuletzt auf Druck islamischer Verbände seinen Platz räumen. Er hatte die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt. Die vier großen Islamverbände arbeiten jetzt an einem Gutachten über Khorchides Theologie. Anfang Dezember soll es vorliegen und mit Fachleuten diskutiert werden – auch Khorchide selbst soll dazu eingeladen werden.

Doch in Münster geht es längst auch um die Frage: Wie viel Einfluss haben die Islamverbände auf die Islamische Theologie an den Universitäten? In Münster hat sich dieser politische Streit am Beirat von Khorchides Institut entzündet. Obwohl rechtlich vorgeschrieben, hat sich das Gremium bis heute nicht konstituiert.

Der Grund: Der Islamrat als einer der großen Verbände hatte ein Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs für den Beirat nominiert. Doch weil Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet wird, legte das Bundesinnenministerium sein Veto gegen den Kandidaten ein – und zwar über das Bundesbildungsministerium, den Hauptgeldgeber in Münster. Für Engin Karahan von Milli Görüs ist dieses Veto eine inakzeptable Einmischung des Staates in die Belange der Religion, wie er dem Deutschlandfunk im Mai sagte.

"In Münster geht sie derzeit so weit, dass staatliche Stellen meinen, bestimmen zu können, wer an diesem Bekenntnis mitwirkt oder nicht mitwirkt. Das ist eine Einmischung, die verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, die auch verfassungsrechtlich nicht geboten ist, sondern im Gegenteil massiv gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt."

Für die Islamverbände geht es damit nicht nur um den Beirat in Münster – sondern darum, vom Staat endlich als Religionsgemeinschaften anerkannt zu werden. Der Konflikt zwischen Staat einerseits und den Islamverbänden andererseits wird so letztlich auf dem Rücken der Islamischen Theologie in Münster ausgetragen.

Für Münster stellt das Fehlen des Beirats ein großes Problem dar. Stellen können ohne das Gremium nicht besetzt werden – eigentlich berufene Professoren müssen sich deshalb mit Kurzzeitverträgen selbst vertreten. Das Zentrum arbeitet trotzdem weiter. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime hat Khorchide vorgeworfen, er stelle sich damit gegen die Verfassung, auch weil er das Beiratsmodell in einem Interview generell abgelehnt habe. Doch Khorchide weist den Vorwurf zurück.

"Das habe ich auch nie so gesagt, auch nie so geschrieben. Was ich geäußert habe, ist nicht die Frage, ob Beirat, sondern wie gearbeitet wird. Das ist das Grundrecht der Muslime, dass sie an den Universitäten genauso wie, was den Religionsunterricht an den Schulen betrifft, dass sie hier ein Mitspracherecht haben und Ansprechpartner für den Staat sind. Die Frage ist nur nach dem Wie. Und das habe ich nur thematisiert."

[h=3]Islamische Theologie zwischen den Stühlen[/h]Gewinner gibt es in diesem Konflikt bislang keine, Verlierer ist die Islamische Theologie, die sich im Griff der Politik nur schwer frei entfalten kann. Diese Erfahrung hat auch der muslimische Publizist Eren Güvercin gemacht. Er war Mitglied im Münsteraner Beirat, legte das Amt jedoch im Streit mit der Universität nieder. Zugleich kritisiert er aber auch die Islamverbände. Er wolle sich nicht von einer Seite vereinnahmen lassen, sagt Güvercin. Der Publizist warnt davor, den Streit schwarz-weiß zu betrachten. Es gehe hier nicht um einen Konflikt zwischen einem liberalen und konservativen Islam.

"Es gibt sehr viele Muslime, die die Debatte wirklich sehr differenziert verfolgen, gerade unter den jungen Muslimen, und die sowohl bei Professor Khorchide interessante Aussagen finden, die sie unterstützen würden. Aber genauso gut können sie auch bestimmte Bedenken, die es in der muslimischen Community und bei den muslimischen Verbänden gibt, auch nachvollziehen."

Immerhin: Eine Lösung des Beiratstreits ist nun in Sicht. Die vier großen Islamverbände haben sich auf eine neue Kandidatin für das Gremium geeinigt, die Berliner Islamlehrerin Rukiye Kurtbecer. Sie arbeitet im Auftrag der Islamischen Föderation Berlin, die recht eng mit Milli Görüs verbunden ist. Der neue Name solle in den kommenden Tagen der Uni Münster übermittelt werden, sagte Bekir Alboga vom Islamverband Dititb. Aus dem Koordinationsratder Muslime heißt es zudem, das Bundesinnenministerium habe bereits grünes Licht für den Vorschlag gegeben. Auch Mouhanad Khorchide kommt seinen Kritikern entgegen. Er räumt ein, Fehler im Umgang mit den Verbänden gemacht zu haben.

"Wenn (ich) es geschafft hätte im letzten Jahr, mich etwas intensiver auszutauschen mit den Vertretern, sodass wir öfters an einem Tisch sitzen oder gesessen hätten, hätte man einiges an Missverständnissen aus der Welt geschaffen. Vieles von dem, was ich da und dort höre – so stimmt es nicht. Das sind sehr viele Missverständnisse. Und ich habe mir auch vorgenommen, in Zukunft etwas mehr Zeit für die offene Kommunikation, auch mit den Vertretern im KRM, um einiges zu vermeiden. Das sind auf jeden Fall Fehler, die man gemacht hat."

Aus Münster ist zudem zu hören, dass Khorchide bereit sei, auf die Leitung des Zentrums für Islamische Theologie zu verzichten. Ein entsprechendes Angebot solle den Islamverbänden unterbreitet werden, heißt es. Damit wolle Khorchide zeigen, dass es ihm nicht um seine Person gehe, sondern um die Islamische Theologie.

 

Deutschlandfunk, 21.11.2013

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[h=1]Erbitterter Kampf um die reine Lehre des Korans[/h]An der Uni Münster ist ein Streit über die Ausbildung islamischer Religionslehrer entbrannt. Muslimische Verbände sehen das Bekenntnis bedroht. Jetzt kommt Gauck Von Matthias Kamann

 

Im Bundespräsidialamt hielt man den Termin zunächst für einfach: Joachim Gauck fährt nach Münster, um sich über die Ausbildung von Lehrern für islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen zu informieren. Doch wenn der Bundespräsident am Donnerstag das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster besucht, gerät er in einen brisanten Konflikt. Seit Wochen gärt in Münster ein Grundsatzstreit über drei Fragen. Erstens: Was dürfen muslimische Verbände an einer deutschen Universität bestimmen? Zweitens: Was darf der Staat den Verbänden vorschreiben? Drittens: Wie viel Freiheit brauchen Wissenschaftler wie die Münsteraner Theologen Mouhanad Khorchide und Ahmad Milad Karimi?

 

Die beiden bilden am 2011 geschaffenen ZIT islamische Religionslehrer aus, weil immer mehr Bundesländer wollen, dass muslimische Kinder an den Schulen glaubensgemäß unterrichtet werden. Aber die Ausbildung jener Islamlehrer – am ZIT gibt es insgesamt rund 400 Studierende – unterscheidet sich vom Studium christlicher Religionspädagogik in einem Punkt grundlegend: Es gibt im Islam keine repräsentativen Organisationen, die als Körperschaften analog zu den Kirchen an der bekenntnisorientierten Lehrerausbildung beteiligt werden könnten. Das führt zu einer kaum lösbaren Frage: Wer legt fest, was dem Islam entspricht? Wer sagt, was Khorchide und Karimi lehren sollen?

Als Notbehelf wurde am ZIT ein achtköpfiger Beirat entworfen, dessen Mitglieder je zur Hälfte von der Uni und vom Koordinationsrat der Muslime (KRM) berufen werden sollen. Dabei aber gab es Ärger. Denn der Islamrat, einer der vier Verbände im KRM, benannte für den Beirat den Islamrat-Generalsekretär Burhan Kesici. Aber die Bundesregierung, die das ZIT mitfinanziert, zweifelt an der Verfassungstreue von Kesici und blockierte Kesicis Berufung. Doch längst sitzt Kesici in Nordrhein-Westfalen in einem anderen Beirat. Der befindet in NRW über schulische Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht. Da darf Kesici mittun. Nicht am ZIT. Das Verhältnis des Staates zum Islam ist widersprüchlich. Eine Person wird mal akzeptiert, mal nicht. Zwar wurde jetzt ein Ersatz für Kesici gefunden, die Berliner Islamlehrerin Rukyie Kurtbecer. Gegen sie hat die Bundesregierung keine Einwände, wie die "Welt" im Innenministerium erfuhr. Aber für Münster bringt das noch keine Lösung.

Weil nämlich Kesici nicht berufen werden durfte und Kurtbecer erst nur nominiert ist, konnte sich der ZIT-Beirat bislang nicht konstituieren. Folglich ist alles in Münster nur vorläufig. Doch ausgerechnet in diesem Schwebezustand begannen die muslimischen Verbände zu provozieren. Aiman Mazyeck, Vorsitzender des im KRM vertretenen Zentralrats der Muslime, warf kürzlich dem ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide vor, nicht wie ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion zu argumentieren, sondern wie ein weltlicher Orientalist. Khorchide, so Mazyeck, rede "nicht wie ein Islamlehrer". Khorchide wolle in Münster die Mitsprache der muslimischen Verbände "kappen". Khorchide stelle sich damit "gegen die Verfassung". Mazyeck kündigte ein KRM-Gutachten an, in dem man Khorchides "sogenannte Theologie genauer unter die Lupe nehmen" wolle. So etwas wagen christliche Kirchen trotz ihrer sichereren Rechtsverhältnisse bei ihren Theologie-Professoren nur in Ausnahmefällen. Sind Professoren erst einmal akzeptiert (was bei Khorchide der Fall ist), müssen sie vom Bekenntnis oder von zentralen Dogmen abfallen, ehe die Kirchen gegen sie vorgehen.

Ein Abfall von islamischen Grundlehren aber lässt sich bei Khorchide, 1971 in Beirut geboren und über Wien nach Münster gekommen, nicht feststellen. Schon deshalb, weil es im Islam nicht jene festen Bekenntnisse gibt, auf die sich christliche Konfessionen gründen. Zudem wirbt Khorchide in seinen Büchern gerade für die Theologie des Islam, für einen nach seinem Verständnis menschenfreundlichen Glauben, den man nicht mit zeitgebundenen Gesetzen des ersten Jahrtausends verwechseln dürfe.

Im Gespräch mit der "Welt" wehrt sich Khorchide gegen den Eindruck, er seit so etwas wie ein Liberalisierer, der Theologie ignoriere. "Ehrlich gesagt", so Khorchide, "weiß ich nicht, was mir der Zentralrat der Muslime vorwirft. Herr Mazyek sagt nicht, dass ich zu liberal wäre. Vielmehr erklärt er nur, ich würde nicht bekenntnisorientiert arbeiten, um dann aber zu sagen, dass meine Bücher und meine Lehre nichts beinhalten, was es nicht in der Tradition islamischer Theologie gäbe. Letzteres stimmt ja auch: Nichts von dem, was ich sage und schreibe, steht im Widerspruch zu den klaren Grundsätzen des Islam." Für Khorchide steht es "im Einklang mit der Tradition unseres Glaubens, wenn ich den Islam nicht restriktiv auffasse, sondern ihn in einem dialogischen Verhältnis zwischen Gott und den Menschen gründen sehe". Darüber wolle er persönlich mit Mazyek sprechen, aber der habe "bislang leider nicht auf mein Gesprächsangebot geantwortet". Von einem Rückzug aus Münster will Khorchide nichts wissen. "Ich mache mir keine Sorgen, dass sich die Missverständnisse nicht ausräumen lassen, und sehe keinen Grund, an meiner Position in Münster zu zweifeln." Die Uni steht hinter ihm.

Dennoch ist Khorchides Position schwierig. Auf der einen Seite gibt es an der Uni eine islamkritische Gruppe junger Frauen, die Khorchide vorwerfen, bei seiner Kritik an muslimischen Rechtsverständnissen viel zu zögerlich zu sein. Auf der anderen Seite machen islamistische Salafisten gegen Khorchide mobil und wollen am Donnerstag während des Gauck-Besuches gegen den angeblich zu liberalen Professor demonstrieren.

Khorchide bemüht sich um einen ausgleichenden Ton: "Es verunsichert viele Muslime, dass wir Theologen gemäß unserem klaren Auftrag den Glauben rational zu erschließen versuchen. Das ist für viele Muslime erst einmal befremdlich: dass sich Religion nicht von selbst versteht und dass man ihr nicht einfach anhängt, weil es schon immer so war. Sondern dass man darüber nachdenkt, warum man glaubt, und darüber auch kontrovers zu diskutieren vermag." Hinzu komme die "unklare Lage des Beirats". Doch betont Khorchide, dass er die Kooperation im Beiratsmodell gutheißt. "Wir Theologen wollen diese Zusammenarbeit und wünschen es ausdrücklich, dass sich der Beirat und mithin die muslimischen Verbände an unserer Arbeit beteiligen. Das Ziel, um das es geht, muss dabei Theologie sein."

Dass aber die Verbände ein eigenartiges Verständnis von akademischer Lehre haben, zeigt sich daran, dass sie in auffälliger Hierarchiefixierung nur den Leiter des ZIT angreifen, Khorchide, nicht aber den, der dort für Theologie zuständig ist, Ahmad Milad Karimi. Während Khorchide als Religionspädagoge vor allem mit praktischer Vermittlung befasst ist, lehrt Karimi am ZIT die Grundlagen, also Systematische Theologie (Kalam), islamische Philosophie und Mystik. Wobei auch Karimi, 1979 in Kabul geboren und 1992 mit den Eltern vor der Mudschahedin-Herrschaft geflohen, für die Abkehr von äußerlichen Gesetzesvorstellungen plädiert. "Das Verständnis des Islam", sagt Karimi im Gespräch mit dieser Zeitung, "verändert sich, wenn seine Theologie an einer deutschen Universität gelehrt wird." Dort werde "besonders deutlich, was sich ohnehin von selbst versteht, dass nämlich unser Verständnis vom Islam nicht so bleiben kann, wie es im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel war". Muslime "benötigen ein neues Verständnis von Mohammed".

Muslime müssten "zum Beispiel lernen, dass der Islam nicht mit Stammesdenken oder Nationalismus, nicht mit Familienehre oder patriarchalischen Clan-Systemen identifiziert werden kann", sagt Karimi. "Gerade umgekehrt hat sich Mohammed gegen solche Strukturen gewandt, indem er von den Menschen statt von Stammesmitgliedern sprach." Zur Veranschaulichung erzähle er den Studierenden hin und wieder Mafia-Geschichten. "Dann lachen die zuerst, aber allmählich wird denen klar, dass Mafia letztlich nichts anderes ist als ein System von Familienehre, Clan-Denken und Patriarchat, also eine Zwangsgemeinschaft, und dass sich der Islam genau hiergegen richtet, obwohl so ein Denken leider in vielen muslimisch geprägten Ländern weitverbreitet ist."

Zugleich betont Karimi, dass es um Theologie zu gehen habe. "Ich muss der Politik klarmachen, das ich Theologe bin und nicht etwa ein Dienstleister des Verfassungspatriotismus und schon gar nicht eine Marionette der Integrationspolitik", sagt Karimi. "Zwar unterstütze ich die Verfassung voll und ganz und lasse das auch meine Studenten deutlich spüren, aber sie zu vermitteln ist nicht die primäre Aufgabe der Theologie." Die deutsche Universität müsse "lernen, dass es die islamische Theologie gibt und diese ein autonomes Recht hat".

Nötig seien daher nun Aushandlungen, "was Bekenntnis ist und was Wissenschaft". Für die Theologen, so Karimi, sei dabei "klar, "dass wir bei allem Pochen auf unserer Freiheit hier kein eigenes Süppchen ohne die Verbände kochen wollen, fernab von der Basis. Wir müssen und wollen mit ihnen zusammenarbeiten, denn sonst kann es keinen islamischen Religionsunterricht geben."

Theologisch zentral ist für Karimi Schönheit. "Die Art und Weise, auf die sich im Koran die Wahrheit ins Werk setzt, ist Schönheit. Nur wenn ich diese Schönheit empfinde, kann ich der Wahrheit gewahr werden, und das geschieht, wenn der Text laut gelesen und gehört wird." Das bedeute, dass sich "die Offenbarung immer wieder neu" ereigne. "Sie ist also nicht abgeschlossen, sondern unterliegt den Einflüssen der Lesekontexte, der lesenden und hörenden Subjekte, auch ihrem Geschlecht, sowie der jeweiligen sozialen Lage. Daraus ergeben sich Vielfalt und Subjektivität."

Dieses subjektive Element habe ihm, so erzählt Karimi, Wolfgang Schäuble (CDU) in dessen Zeit als Bundesinnenminister deutlich gemacht. Schäuble bat Karimi, die Schönheit des Korans vorzuführen, und er, Karimi, habe "dann mit aller Inbrunst laut gelesen". Doch hinterher habe Schäuble gesagt, ihm gefalle Verdis "La Traviata" besser. Karimi: "Damit muss ich leben. Gott ist eben nicht verfügbar. Ob er sich jemandem mitteilt oder nicht, hängt nicht von meiner Performance ab. Was für mich Wahrheit ist, muss nicht Wahrheit für andere sein. Es gibt allerdings einen entscheidenden

 

 

Welt, 27.11.2013

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Kritik an Direktor Khorchide[h=1]Vor Gauck-Besuch: Ärger um Islamlehre in Münster[/h]

Osnabrück. Seit Monaten gärt es am Zentrum für islamische Theologie (ZIT) in Münster. Der Beirat ist noch immer nicht zusammengetreten, zudem herrscht Unmut über Direktor Mouhanad Khorchide. Ausgerechnet in diese unruhige Zeit fällt nun der Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstag.

 

Im Oktober 2012 ist das ZIT in Münster eröffnet worden. Lehrer für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht werden hier ausgebildet – ein Fach, das Nordrhein-Westfalen vor etwa einem Jahr als erstes Bundesland eingeführt hat.

Weil der Islam in Deutschland nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, gibt es für die Inhalte des Studiums und Personalentscheidungen an den Universitäten nicht dieselben klaren Regelungen wie in der christlichen Theologie. Dort sind die Kompetenzen exakt zwischen Staat und Kirchen verteilt. Um das Defizit auszugleichen, sollte sich in Münster ein Beirat aus acht Mitgliedern konstituieren: vier von ihnen vom Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) benannt, vier von der Universität. Da der KRM aus dem Zentralrat der Muslime, der Ditib, dem Verband der islamischen Kulturzentren und dem Islamrat besteht, kommt dem Dachverband die Vierer-Regelung entgegen.

Dass der Beirat bisher nicht zusammengetreten ist, liegt an Unstimmigkeiten zwischen KMR und Universität über die entsandten Vertreter. So zweifelte der Bund als Förderer des ZIT beispielsweise die Verfassungstreue eines vom Islamrat nominierten Mitglieds an. Folge: Der Beirat hat seine Arbeit noch nicht aufgenommen. Trotzdem läuft der Lehrbetrieb; die Universität behilft sich damit, dass sie Lehrpläne nur semesterweise festlegt und Professoren befristet beschäftigt.

Gegen dieses Vorgehen regt sich Widerstand bei den Muslimen. Anfang Oktober kritisierte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, in einem Interview mit der „Zeit“, die Universität würde sich über die Verbände hinwegsetzen. Das Zentrum müsse seine Arbeit einstellen, bis der Beirat konstituiert sei.

[h=3]„Wie ein Orientalist“[/h]Hinzu kommen die Diskussionen um ZIT-Direktor Mouhanad Khorchide. In seinem aktuellen Buch „Scharia – der missverstandene Gott“ vertritt er eine spirituelle, liberale Form des Islams – zu liberal, finden einige. Khorchide argumentiere nicht wie ein bekenntnisorientierter Islamlehrer, sondern wie ein Orientalist, warf Mazyek ihm vor. Die Verbände kündigten ein Gutachten über den Professor an. Auch radikale Salafisten machen gegen ihn mobil und wollen beim Gauck-Besuch am Donnerstag demonstrieren. Unter anderem hat sich der Hass-Prediger Pierre Vogel angekündigt.

Mit Blick auf die Vorbehalte der Verbände gegenüber Khorchide weist Bülent Ucar, Direktor des Instituts für islamische Theologie in Osnabrück, darauf hin, dass bei vielen Muslimen an der Basis Skepsis gegenüber den Islamzentren herrsche. Sie befürchteten, dass der Islam vom Staat diktiert und verwässert werde, sagte er. „Deshalb müssen wir bei der Ausbildung künftiger Islamlehrer besonders behutsam vorgehen und für Verständnis werben.“ Das Institut in Osnabrück kooperiert zwar mit dem Münsteraner Zentrum, ist aber ein unabhängiger Standort mit einem eigenen Beirat, der vor zwei Jahren die Arbeit aufgenommen hat.

In Münster kochen die Konflikte im Vorfeld von Gaucks Besuch noch einmal besonders hoch. Die Gastgeber verstehen das Kommen des Bundespräsidenten als Zeichen der Anerkennung dafür, wie wichtig bekenntnisorientierter Islamunterricht an Schulen ist. Sie können jedoch nicht verhindern, dass die Querelen im Hintergrund dieses Bild trüben.

 

 

NOZ, 27.11.2013

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[h=1]28.11.2013 Aktuelles Thema Theologie: Debatte um den Standort Münster hat weitere Kreise gezogen. Von Ali Kocaman[/h][h=2]Der westfälische Unfriede[/h]„Es gibt sehr viele Muslime, welche die Debatte wirklich sehr differenziert verfolgen, gerade unter jungen Muslimen, und die bei Professor Khorchide interessante Aussagen finden, die sie unterstützen würden. Aber genauso gut können sie auch bestimmte Bedenken, die es in der muslimischen Community und bei den muslimischen Verbänden gibt, nachvollziehen.“ (Eren Güvercin, DLF)

 

(iz). Der November hätte eigentlich ein Höhepunkt im akademischen Kalender des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) Münster und seinem Leiter, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, werden sollen. Hatte sich doch Bundespräsident Gauck für das Thema interessiert und seinen *Besuch für den 28.11. angekündigt. Die Feierstimmung dürfte durch die deutliche Kritik der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertretenen Verbände getrübt worden sein.

 

Anfang November meldete sich der Vorsitzende der Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, via Interview (siehe unten) zu Wort. Die Kritik, die auch von anderen mitgetragen wurde, ging in zwei Richtungen. Der Standort Münster agiere, der sich laut *Universitätschefin Ursula Nelles größter Beliebtheit bei angehenden TheologInnen erfreue, „nicht im Einklang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben“. Demnach sollten Inhalte und Personal der Lehre mit den Religionsgemeinschaften koordiniert werden. Nach Ansicht der Verbandsvertreter sei der Beirat für ein Funktionieren zwingend notwendig.

 

Inhaltlich zeigten sich die Vertreter – aber auch viele Studierende – unzufrieden, wie sie derzeit in Münster vertreten werden. Sie bezweifelten, ob er wie „ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion“ argumentiere. Für Anfang Dezember kündigten die Verbände eine inhaltliche Stellungnahme zu den von Prof. Khorchide vertretenen Positionen an. Konkret forderten sie von der Universität, die Arbeit solange ruhen zu lassen, bis sich der Beirat konstituiert habe.

 

Die Antwort von Universitätsleitung und Institutsleiter kam nicht überraschend. Frau Nelles widersprach den Vorwürfen. „Es würden keine Fakten ohne Mitsprache des KRM“ geschaffen. Mit Ausnahme der Berufung von Prof. Dr. Khorchide wären Arbeitsverträge und Lehrpläne „auf ein Semester befristet“.

 

Laut Ursula Nelles hätten sich beinahe vier Mal so viele StudentInnen *beworben wie es Plätze gegeben habe. Und, so die Rektorin im Interview mit der KNA, die Universität garantiere „die Forschungs- und Lehrfreiheit“. Nelles bezeichnete die Beiratslösung als „sicher nicht optimal“ und als „eine Art Hybrid-Lösung“. Beim Beirat mache man „die Bekenntnisgemeinschaft zu einem Teil der Binnenstruktur der Universität“. Solle dieser sich einmal konstituiert haben, könne er, so die Uni-Chefin, sogar den kritisierten Institutsleiter abberufen.

 

Immerhin, soweit es die bisherige Blockade des Gremiums betrifft, könnte demnächst Entspannung eintreten. Wie Mouhanad Khorchide am 21.11. via Facebook erklärte, habe das Bundesinnenministerium der neuen, bisher fehlenden KRM-Kandidatin, der Berliner Islamlehrerin Rukiye Kurtbecer, das Grüne Licht erteilt.

 

 

IZ, 28.11.2013

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[h=1]ISLAMISCHE THEOLOGIE IN MÜNSTERGauck verteidigt islamische Theologie[/h]

Bundespräsident Joachim Gauck hat das Zentrum für islamische Theologie in Münster gegen Kritik verteidigt. Bei dem Thema solle man nicht in Hysterie verfallen, sagte Gauck bei seinem Besuch des Zentrums der Westfälischen Wilhelms-Universität.

 

Münster. In der kontroversen Debatte über das Zentrum für islamische Theologie in Münster hat Bundespräsident Joachim Gauck für mehr Toleranz geworben. Bei dem Thema solle man nicht in Hysterie verfallen, sagte Gauck am Donnerstag bei seinem Besuch des Zentrums der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nötig sei eine „entschlossene Ruhe“. Islamische Funktionäre werfen dem Institutsleiter Mouhanad Khorchide vor, mit einem liberalen Verständnis Grundzügen des Islam zu widersprechen.

In den universitären Ausbildungszentren in Deutschland könne die pluralistische Tradition des Islam ohne politischen oder fundamentalistischen Druck fortgesetzt werden, sagte Gauck: „Wir geben der Religion Raum, so wie es echte Religionsfreiheit erfordert.“

Natürlich gebe es dabei auch Konflikte, das gehöre zu einer pluralistischen Gesellschaft, betonte der Bundespräsident. Diese Auseinandersetzungen seien erwünscht, auch wenn sie manchmal störend erscheinen. „Ohne Auseinandersetzung gibt es keine wirkliche Entwicklung und alles was lebt entwickelt sich“, ergänzte Gauck.

Religionsfreiheit, die heute selbstverständlich erscheine, sei mühsam errungen worden. Daher sei weniger Hochmut und Ungeduld gegenüber den gegenwärtigen Problemen angebracht. „Ich glaube, dass wir als Unterschiedliche gut zusammenleben können, wenn wir uns nicht von Ängsten oder von Ressentiments leiten lassen, sondern von Respekt, Toleranz und Neugier“, unterstrich Gauck.

Das Staatsoberhaupt erinnerte daran, dass es in deutschen Städten mehr als 2.000 Gebetshäuser und Moscheen gebe. Die bundesdeutsche Gesellschaft wandele sich, weil ihr immer mehr Muslime angehören. Der Islam entwickele sich zudem im Kontakt mit der Gesellschaft. entwickele. „Das birgt Zumutungen für beide Seiten - das gehört dazu“, fügte Gauck hinzu.

Zum Auftakt seines Besuches in Münster war Gauck mit Vertretern des Zentrums für islamische Theologie und der Westfälischen Wilhelms-Universität zusammengekommen. Das Programm stand unter dem Motto „Islam in Wissenschaft und Bildung“.

„Unsere Studierenden kommen mit viel Neugier, sie wollen ihre Religion verstehen, sie wollen die Sachen nicht einfach so hinnehmen“, sagte Institutsleiter Khorchide in einer Podiumsdiskussion, der Gauck beiwohnte. Die Islamverbände kritisieren Äußerungen Khorchides, die Muslime müssten sich von Vorschriften und Tabus frei machen, die nicht religiös begründet seien, sondern auf gesellschaftlichen Traditionen beruhten.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, bekräftigte unterdessen seine Kritik. Äußerungen Khorchides ließen befürchten, dass der Wissenschaftler die mit den Islamverbänden auf der Basis des Grundgesetzes ausgemachten Spielregeln bei der Vermittlung des Islam ignoriere. Zugleich verurteilte Mazyek die angekündigten Proteste von Salafisten gegen Korchide. Einen Menschen zum Ungläubigen zu erklären, sei Populismus und höchst gefährlich.

Das im vergangenen Jahr eröffnete Zentrum für islamische Theologie am Doppelstandort Münster/Osnabrück bildet islamisch-theologische Nachwuchswissenschaftler sowie Religionslehrer und Imame aus. Neben dem Zentrum Münster/Osnabrück gibt es weitere Studienzentren für die Ausbildung von islamischen Religionslehrern und Imamen in Tübingen, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg. (epd)

 

KSTA, 28.11.2013

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Pressemitteilung 12/2013

 

Mainz, 02.12.2013

 

Religionsfreiheit bedingt Neutralität des Staates

Schura Rheinland-Pfalz lehnt einen Sonderweg für Muslime ab

 

Die Schura Rheinland-Pfalz Landesverband der Muslime verfolgt mit Interesse die öffentliche Diskussion um Professor Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Uni Münster. Aufgrund seiner Funktion als wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes Islamischer Religionsunterricht in der Sekundarstufe I in Rheinland-Pfalz (http://religion.bildung-rp.de/islamischer-religionsunterricht-modellprojekt/beratung.html), sieht die Schura Rheinland-Pfalz die Haltung und Position von Professor Mouhanad Khorchide sowohl zur Anbindung von islamischen Lehrstühlen an die islamischen Religionsgemeinschaften, als auch zu den theologischen Inhalten seiner Veröffentlichungen, als nicht tragbar.

"Die Trennung von Staat und Religion ist eine in Deutschland historisch gewachsene Notwendigkeit für die Religionsfreiheit. Auch ein Islamprofessor sollte dieses Prinzip wie alle anderen Theologen respektieren und diese nicht in Frage stellen. Wir sägen hier an dem Ast, auf dem wir alle hierzulande sitzen. Die Infragestellung der Anbindung von islamischen Religionsgemeinschaften bei Besetzung von islamischen Lehrstühlen durch Herrn Khorchide in einem Interview (http://www.zeit.de/2013/41/religionsunterricht-paedagogik-islam-mouhanad-khorchide/seite-2), stellt eine Gefährdung unseres säkularen Staates dar. Denn im Umkehrschluss bedeutet das, dass der deutsche Staat die islamischen Glaubensinhalte mittragen müsste. Das wäre ein Verstoß gegen unsere Verfassung. Einen Sonderweg für Muslime lehnen wir als Schura Rheinland-Pfalz kategorisch ab", teilt der Jurist und Vorstandsmitglied der Schura Rheinland-Pfalz, Avni Ismajli, heute in Mainz mit.

Die Religionswissenschaftlerin Misbah Arshad, religionswissenschaftliche Beraterin von Schura Rheinland-Pfalz, bemängelt die Konformität der Lehren Khorchides mit den allgemeinen Grundsätzen des Islams. "Herr Khorchides Glaubensvorstellung, wie er sie in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit" schildert, bei der der Glaube an Gott für das Muslimsein nicht zwingend erforderlich sei, schließt sich selbst als islamische Glaubenslehre aus. Sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten ist die Bedingung für das Muslimsein das Glaubensbekenntnis der Muslime, das den Glauben an Gott und den Propheten Muhammed beinhaltet. Dieses Prinzip zu relativieren oder gar abzulehnen bedeutet sowohl für Sunniten als auch für Schiiten kein Muslim zu sein", erläutert Frau Arshad auf Anfrage.

[h=2]Für Schura Rheinland-Pfalz ist das mangelhafte methodische Vorgehen Herr Khorchides in seinen Schriften, wie es in dem Artikel "Der Vorwurf fällt auf sich zurück" in der Islamischen Zeitung von Herrn Halil Siracoglu vom 16.11.2013 detailliert dargelegt, ist ein Indiz dafür, dass der Münsteraner Professor für eine wissenschaftliche Begleitung für den islamischen Religionsunterricht ungeeignet ist.[/h][h=2]"Wir schließen uns dem Bedenken von Koordinationsrat der Muslime als gemeinsame Organisation der islamischen Bundesverbände DITIB, ZMD, VIKZ und Islamrat, der Schura Niedersachsen, der Schura Hamburg, der Schura Bremen und der Schura Schleswig-Holstein an und halten Herrn Khorchide sowohl für die Ausbildung von islamischen Religionslehrern als auch für die Evaluation des IRU in Rheinland-Pfalz für nicht tragbar," fasst der Vorsitzende der Schura Rheinland-Pfalz, Mustafa Cimşit, die Position seines Landesverbandes zusammen.[/h]Mit freundlichen Grüßen

Mustafa Cimşit

Vorsitzender Schura Rheinland-Pfalz

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Streit um den Islam-Theologen Mouhanad Khorchide[h=2]Wer prägt die Islamische Theologie in Deutschland?[/h]Ein unveröffentlichtes Gutachten des Koordinationsrates der Muslime (KRM) kritisiert den Münsteraner Theologen Mouhanad Khorchide scharf. Es wirft ihm vor, seine "Verpflichtung der Bekenntnisgebundenheit" gebrochen zu haben. Jan Kuhlmann informiert.

 

In der vergangenen Woche erhielt Mouhanad Khorchide eine Anerkennung, die höher kaum sein konnte. Bundespräsident Joachim Gauck stattete dem Münsteraner Professor und seinem Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) einen Besuch ab – für Khorchide eine willkommene Unterstützung in einem Streit, der seit Monaten schwelt und nun in die nächste Runde geht.

Khorchide leitet mit dem ZIT einen von fünf Standorten in Deutschland, an denen mit Geldern des Bundesbildungsministeriums islamische Theologen ausgebildet werden. Doch er polarisiert wie sonst kein anderer Vertreter seines Fachs in der Bundesrepublik. Im Internet hetzen salafistische Prediger gegen seine vergleichsweise moderate Lesart des Islam. Aber auch die großen Islam-Verbände kritisieren den 42-Jährigen immer wieder scharf. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, warf Khorchide vor Kurzem in einem Interview vor, nicht wie ein Theologe zu handeln, sondern wie "ein Orientalist". Mazyeks Schlussfolgerung: "Das ist die Krux aller Probleme."

Auf den ersten Blick macht es den Eindruck, als handele es sich hier allein um einen Konflikt zwischen einem "liberalen" Vertreter des Islam und "konservativen" Verbänden. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn in dem komplexen Streit geht es nicht nur um Theologie, sondern auch um Politik. Im Mittelpunkt steht vor allem die Frage: Wer prägt die Islamische Theologie in Deutschland mit?

Khorchide ist ein produktiver Gelehrter, der innerhalb von einem Jahr zwei populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht hat, die scharfe Kritik ausgelöst haben. In beiden Bänden widerspricht Khorchide in Anknüpfung an muslimische Reformdenkerzentralen Auffassungen der islamischen Orthodoxie.

"Theologie der Barmherzigkeit" in der Kritik

 

Doch Kritiker bemängeln etliche Punkte in seinen Büchern. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der Zusammenschluss der großen Verbände, hat ein Gutachten zu Khorchide in Auftrag gegeben, das bislang unveröffentlicht ist, aber dem Deutschlandfunk und Qantara.de vorliegt. In dem fast 100 Seiten dicken Papier übt der KRM scharfe Kritik an Khorchide und wirft ihm vor, seine "Verpflichtung zur Bekenntnisgebundenheit" verletzt zu haben. KRM-Sprecher Bekir Alboga kommt im Vorwort des Gutachtens zu dem Fazit: "Damit scheint eine weitere vertrauensvolle Kooperation mit ihm äußerst fragwürdig."

Das Gutachten stammt von vier Autoren, die von den Verbänden benannt worden waren. Interessant dabei: Nicht alle Autoren sind Theologen. So ist Mohammed Khallouk, Berater des Zentralrats der Muslime, Politologe, Arabist und Islamwissenschaftler. Er habilitiert sich derzeit an der Universität der Bundeswehr in München im Fach "Internationale Beziehungen". In vier Kapiteln untersuchen die Autoren in dem Gutachten Khorchides "Theologie der Barmherzigkeit" – wie seine Lehre in Anlehnung an sein Buch "Islam ist Barmherzigkeit" auch immer wieder genannt wird.

Das Gutachten will Khorchides wissenschaftliche Qualifikation als Theologe in Frage stellen. Khallouk wirft Khorchide vor, seine Theologie "beruhe überhaupt nicht auf einer eindeutig identifizierbaren wissenschaftlichen Methode". Seine Schlussfolgerungen erschienen "spekulativ" und "wissenschaftsmethodisch schwer nachvollziehbar". Khorchide wende "jenes methodische Prinzip an, welches er zuvor als Kennzeichen der zurückgewiesenen 'Theologie des Gehorsams' unterstellt, nämlich das unreflektierte und zugleich willkürliche Ausrichten am Buchstaben."

In einem anderen Kapitel des Gutachtens heißt es, "wesentliche, als theologisch deklarierte Positionen von ihm sind (...) mit der sunnitischen Lehre nicht vereinbar. Bemerkenswert ist daher, dass er der Leiter und Lehrstuhlinhaber eines konfessionsgebundenen islamischen Zentrums sein kann." Vorgeworfen wird Khorchide auch, den Koran allzu frei ins Deutsche übersetzt zu haben: "Er interpretiert seine eigenen theologischen Ansichten in die Übersetzungen hinein. Mit Versbezügen wird für den des Arabischen unkundigen Rezipienten der Schein erweckt, dass seine Thesen einen soliden Halt im Koran hätten."

 

 

Der Vorwurf, nicht bekenntnisgebunden zu arbeiten, ist für Khorchide heikel. Damit spricht ihm der KRM die Qualifikation und Befugnis ab, islamische Theologen und Islam-Lehrer auszubilden. Die Kritik ist auch deshalb brisant, weil sie die Erinnerung an das Schicksal von Khorchides Vorgänger Sven Kalisch wachruft: Sven Kalisch musste 2010 nicht zuletzt auf Druck islamischer Verbände seinen Platz räumen, weil er die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt hatte.

Am vergangenen Sonntag hatte der KRM zu einer Diskussion über das Gutachten nach Köln geladen. Rund vier Stunden diskutierten Vertreter der Islam-Verbände mit Khorchide und anderen Professoren für Islamische Theologie in Deutschland über die Lehre des ZIT-Leiters. Die Debatte wurde zwar hinter verschlossenen Türen geführt – doch von verschiedenen Seiten war danach zu hören, sie sei zwar hart, aber offen und moderat geführt worden. Khorchide soll darauf hingewiesen haben, in vielen Punkten missverstanden worden zu sein. Überzeugen konnte er seinen Kritiker aber offensichtlich nicht: Khorchide habe nicht alle Kritikpunkte entkräften können, heißt es.

Kampf um Deutungshoheit unter Muslimen

Der Konflikt ist jedoch ohne seine politische Dimensionnicht zu verstehen. In Münster schwelt seit langem schon ein Streit über den wissenschaftlichen Beirat des ZIT. Über das Gremium sollen unter anderem die Islam-Verbände an der Islamischen Theologie der Universität beteiligt werden. Doch obwohl rechtlich vorgeschrieben, hat sich der Beirat bis heute nicht konstituiert.

Der Grund: Der Islamrat als einer der großen Verbände hatte ein Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs für das Gremium nominiert. Doch weil Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet wird, legte das Bundesinnenministerium sein Veto gegen den Kandidaten ein – und zwar über das Bundesbildungsministerium, den Hauptgeldgeber in Münster. Die Verbände sehen darin ein unrechtmäßiges Eingreifen des Staates in Fragen, die ihn nichts angehen. Für sie geht es darum, vom Staat als Religionsgemeinschaften anerkannt zu werden und dieselben Rechte zu erlangen wie etwa die christlichen Kirchen. Der Streit zwischen Verbänden und Staat wird dabei auf dem Rücken der Islamischen Theologie ausgetragen.

Immerhin zeichnet sich im Streit über den Beirat eine Lösung ab. Die vier großen Islam-Verbände haben sich auf eine neue Kandidatin für das Gremium geeinigt, die Berliner Islam-Lehrerin Rukiye Kurtbecer. Sie arbeitet im Auftrag der Islamischen Föderation Berlin, die recht eng mit Milli Görüs verbunden ist. Das Bundesinnenministerium hat für die neue Kandidatin bereits grünes Licht gegeben.

Doch für Khorchide dürfte der Konflikt damit noch nicht ausgestanden sein. Zwar will der KRM das Gutachten nach dem Treffen am Sonntag noch einmal überarbeiten, bevor er es demnächst veröffentlicht. Vieles spricht aber dafür, dass die Islam-Verbände an den zentralen Kritikpunkten festhalten – vor allem an dem Vorwurf, nicht bekenntnisgebunden zu arbeiten. Das hätte für Münster schwerwiegende Folgerungen. Studenten müssten sich die Frage stellen, welchen Wert ein Abschluss dort hat, wenn die großen Verbände ihn nicht anerkennen. Und über Khorchide würde weiterhin das Damoklesschwert schweben, seine Position als Leiter des ZIT zu verlieren.

Jan Kuhlmann, 03.12.2013

© Qantara.de 2013

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[h=3]Gutachten über Münsteraner Theologen Khorchide[/h][h=1]„Einen Sonderweg für Muslime lehnen wir kategorisch ab“[/h]

[h=4]Wie einige Medien bereits im Vorfeld berichteten, hat das von den Islamverbänden in Auftrag gegebene Gutachten über die Theologie des ZIT-Leiters Mouhanad Khorchide deren Befürchtungen bestätigt. Das Vertrauen sei erheblich erschüttert. (Foto: dpa)[/h]

Von DTJ-ONLINE | 04.12.2013 17:11

Die muslimischen Verbände haben das angekündigte Gutachten über den Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, Mouhanad Khorchide (re.), erstellt. Die noch nicht veröffentliche Expertise des Koordinationsrates der Muslime (KRM) bestätigt nach Informationen der Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“ (Dienstag) und des Onlineportals „Qantara.de“ die kritische Haltung der Verbände gegenüber dem Theologen.

Das Gutachten umfasse demnach fast 100 DIN-A4-Seiten und setze sich in vier Kapiteln mit Khorchides Theologie auseinander. Jeder der vier im KRM vertretenen Verbände habe je einen Gutachter benannt, darunter drei Theologen und einen Politologen. Ein zentraler Vorwurf laute, Khorchide fehle eine eindeutige Methodik. Es bestehe der Eindruck, dass er seine Thesen „laienhaft“ herleite. Er arbeite „unreflektiert“ und „willkürlich“. Er übersetze den Koran so frei ins Deutsche, dass er seine eigenen Ansichten in die Übersetzung hineininterpretiere, so das Gutachten.

Im Vorwort des Gutachtens stehe zudem, dass sich Khorchide vor drei Jahren zu einer bekenntnisgebundenen Lehre und Forschung verpflichtet und nun diese Zusicherung gebrochen habe. Das Vertrauen in Khorchide sei erheblich erschüttert, eine weitere Kooperation mit ihm äußerst fragwürdig.

Auch Mustafa Cimşit, der Vorsitzende der Schura Rheinland-Pfalz im Koordinationsrat der Muslime, hat Kritik am Amtsverständnis und an den theologischen Inhalten Khorchides geäußert. Aufgrund seiner Funktion als wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes Islamischer Religionsunterricht in der Sekundarstufe I in Rheinland-Pfalz sieht die Schura Rheinland-Pfalz die Haltung und Position von Professor Mouhanad Khorchide sowohl zur Anbindung von islamischen Lehrstühlen an die islamischen Religionsgemeinschaften, als auch zu den theologischen Inhalten seiner Veröffentlichungen, als nicht tragbar, so Cimşit in einer Erklärung, die über facebook verbreitet wurde.

„Staatsislam“ würde gegen Verfassung verstoßen

Der Jurist Avni Ismajli, ebenfalls Vorstandsmitglied der Schura Rheinland-Pfalz, sah sogar die Gefahr einer Vermengung von Staat und Religion: „Die Trennung von Staat und Religion ist eine in Deutschland historisch gewachsene Notwendigkeit für die Religionsfreiheit. Auch ein Islamprofessor sollte dieses Prinzip wie alle anderen Theologen respektieren und diese nicht in Frage stellen. Wir sägen hier an dem Ast, auf dem wir alle hierzulande sitzen. Die Infragestellung der Anbindung von islamischen Religionsgemeinschaften bei Besetzung von islamischen Lehrstühlen durch Herrn Khorchide in einem Interview, stellt eine Gefährdung unseres säkularen Staates dar. Denn im Umkehrschluss bedeutet das, dass der deutsche Staat die islamischen Glaubensinhalte mittragen müsste. Das wäre ein Verstoß gegen unsere Verfassung. Einen Sonderweg für Muslime lehnen wir als Schura Rheinland-Pfalz kategorisch ab“, so Ismajli.

Die Religionswissenschaftlerin Misbah Arshad, religionswissenschaftliche Beraterin von Schura Rheinland-Pfalz, bemängelt wiederum die Konformität der Lehren Khorchides mit den allgemeinen Grundsätzen des Islams. „Herrn Khorchides Glaubensvorstellung, wie er sie in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit" schildert, bei der der Glaube an Gott für das Muslimsein nicht zwingend erforderlich sei, schließt sich selbst als islamische Glaubenslehre aus. Sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten ist die Bedingung für das Muslimsein das Glaubensbekenntnis der Muslime, das den Glauben an Gott und den Propheten Muhammed beinhaltet. Dieses Prinzip zu relativieren oder gar abzulehnen bedeutet sowohl für Sunniten als auch für Schiiten kein Muslim zu sein“, wird Arshad in der Mitteilung zitiert.

Laut Deutschlandfunk und „Qantara.de“ hatten KRM-Vertreter und Khorchide am Sonntag in Köln hinter verschlossenen Türen über das Gutachten diskutiert. Der Wissenschaftler sei dort hart rangenommen worden. Unterm Strich sei die Debatte aber sachlich verlaufen. Nun werde das Gutachten noch in einigen Punkten überarbeitet, bevor es öffentlich vorgestellt werde.

Neue befristete Stellen am ZIT ausgeschrieben

Die Verbände sollen über einen Beirat über die Professoren und Lehrinhalte in Münster mitbestimmen können. Universität und Koordinationsrat berufen jeweils vier Vertreter. Da zwei nacheinander vom KRM vorgeschlagene Kandidaten wegen des Vorwurfs mangelnder Verfassungstreue auf Ablehnung gestoßen waren, arbeitet das Gremium noch nicht.

Bei einem Besuch der Universität Münster vorige Woche hatte Bundespräsident Joachim Gauck dazu aufgerufen, die Konflikte um das Zentrum für Islamische Theologie in Ruhe zu lösen. Der Islam kenne nicht „die eine religiöse Autorität“. Es sei gut, wenn die Universitäten die pluralistische Tradition des Islam in wissenschaftlicher Freiheit ohne politischen oder fundamentalistischen Druck weiter entwickeln könnten.

Unterdessen soll es im Lehrpersonal am Zentrum für Islamische Theologie Münster (ZIT) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Aufstockung geben. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt soll eine halbe Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin bzw. eines wissenschaftlichen Mitarbeiters (TV-L 13) mit dem Schwerpunkt Kalām, Islamische Philosophie u. Mystik besetzt werden. Die Stelle wäre auf zwei Jahre befristet, ebenso wie eine Halbtagsstelle als Koordinator/in (Schwerpunkt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit). (KNA/dtj)

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  • 2 Wochen später...

Ministerialrat Herr Oberkötter in seiner Eröffnungsrede der Tagung "Islam in Deutschland" am 6.12.2013:

 

"Ich darf das auch im Namen der Landesregierung ganz ausdrücklich sagen: die am Sonntag dem 1. Dezember von den im KRM zusammengeschlossenen Verbände unter der Leitung ihres derzeitigen Sprechers Herrn Bekir Alboga gelebte Verantwortung hat Weitsicht, großes Geschick und eine zutiefst akademische Vorgehensweise offenbart. Hierfür mein ganz herzlicher Dank!

 

Es ist in diesem Zusammenhang allerdings bedauerlich, welch zum Teil völliges Unverständnis in den Medien zu Tage trat. Mag es an unzureichender Recherche liegen oder doch vielleicht an einer Überforderung durch die Vielschichtigkeit der Sachverhalte? Ganz und gar unhaltbar und völlig unangemessen ist aber das zu bewerten, was sich in verschiedenen Blogs und sozialen Foren ausgetobt hat. Hier wurden alle Register der Desinformation, Verleumdung, Hetze und Stumpfheit gezogen, die wohl aufzutreiben waren. So einem respektlosen, intoleranten und von großem Nichtwissen geprägten Verhalten gilt es mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Und dies geschieht am besten mit Bildung, Bildung und nochmals Bildung.

 

Ich möchte an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Mouhanad Khorchide versichern:

 

Das Land Nordrhein-Westfalen lässt sich diese Schmähung seines Professors nicht gefallen. Wir stehen zu Ihnen. Wir wollen den Erfolg dieses Zentrums für islamische Theologie an unserer Universität in Münster! Davon bringt uns so schnell keiner ab, und schon gar nicht diejenigen, die mit dieser "Story" nur eins im Sinn haben: zu hetzen, zu schmähen und zu zerstören. Respekt ist diesen Menschen fremd."

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DITIB Nachrichten und Pressemeldungen

 

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2013-12-16

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[TD=bgcolor: #FFFFFF, colspan: 2]Stellungnahme zu den Diskussionen über Herrn Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und sein Buch „Islam ist Barmherzigkeit“[/TD]

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In den letzten Tagen kursieren in den sozialen Netzwerken zu den Diskussionen über den Leiter des Münsteraner Zentrums für Islamische Theologie, Prof. Dr. Khorchide, unsachgemäße Behauptungen über die DITIB. Aus diesem Grunde sieht sich die DITIB zu untenstehender Stellungnahme veranlasst:

 

Die Türkisch-Islamische Union, kurz DITIB, repräsentiert die meisten Muslime in Deutschland und hat großes Interesse am Aufbau der islamischen Theologie in Deutschland, die die Basis der Muslime und ihren Glauben wiederspiegeln soll. Hierbei ist festzustellen, dass die seit über einem Jahr geführten Diskussionen über das Buch des Leiters des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und seine öffentlichen Ausführungen unter den Muslimen zu Irritationen geführt haben. DITIB folgert aus dieser Tatsache und anhand andauernder Forschungen, dass Prof. Dr. Khorchide in seiner Funktion nicht tragbar ist.

 

Diese Erkenntnis erlangte DITIB unter anderem durch folgende Abläufe:

 

1. Prof. Mouhanad Khorchide wurde DITIB von den anderen Religionsgemeinschaften im KRM vorgestellt und für den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik in Münster vorgeschlagen. Bevor Mouhanad Khorchide sich der Herausforderung stellte, im Rahmen der bekenntnisorientierten Theologie die Lehre des Islams in Münster zu unterrichten, legte er dem KRM am 11.02.2010 eine unterschriebene Absichtserklärung vor. Die Absichtserklärung diente als Grundlage des gegenseitigen Vertrauens und formulierte die Verpflichtung zur bekenntnisgebundenen Lehre und Forschung. Die Absichtserklärung umfasst ferner die institutionelle Einbindung der muslimischen Religionsgemeinschaften in die Ausbildung der Religionslehrerinnen und -lehrern, sowie die Geschwisterlichkeit und Vertraulichkeit bei gegenseitiger Kritik.

 

Die muslimischen Religionsgemeinschaften im KRM hatten an Mouhanad Khorchide auf Basis dieser Absichtserklärung die Lehrerlaubnis erteilt.

 

2. Herr Khorchide hielt seine selbst unterschriebene Verpflichtung nicht ein und führte anstelle der geschwisterlichen internen Absprache die Kritik und die Debatte über die Öffentlichkeit. Denn, so führte er in der Absichtserklärung auf: „Kritik – egal von welcher Seite – muss geschwisterlich intern besprochen werden und nicht über die Öffentlichkeit.“ So plädierte er gegenüber der Katholischen Internationalen Presseagentur (kipa/Schweiz) am 02.10.13 für die Abschaffung der Lehrbefugnis (idschaza). Damit hat er sich gegen das verfassungsrechtlich den Religionsgemeinschaften anerkannte und garantierte Recht ausgesprochen und dieses Recht bzw. die Hoheit für sich selbst eingefordert. Bis dato liegt auch keine gegenteilige Stellungnahme vor, die diese Worte irgend zu erklären sucht. Ein ganz entscheidender Verstoß gegen die Absichtserklärung ist auch der Vorwurf Khorchides, den er in einem Interview in der Wochenzeitung Zeit (erschienen am 02.10.2013) gegeben hat, dass die Verbandsfunktionäre nicht die theologische Kompetenz besitzen würden: „Die Verbandsfunktionäre waren bisher nicht mit inhaltlichen Fragestellungen konfrontiert. Sie wären damit überfordert, weil sie die theologischen Kompetenzen dafür nicht besitzen.“

 

3. Besonders mit der Veröffentlichung seines Buchs „Islam ist Barmherzigkeit“ zog Khorchide eine innerislamische Kritik auf sich, in dem er zum Teil bereits existierende Thesen aufstellte und gleichzeitig vielen gläubigen Muslimen und Gelehrten Oberflächlichkeit und die Überbewertung der Äußerlichkeit im Glauben vorwarf. Es ist zwar Herrn Khorchide positiv anzurechnen, dass er die Bedeutung der inneren Einstellung hervorhebt und den Barmherzigkeitsgedanken in den Vordergrund stellt. Jedoch stellt er in seinem Buch auch weitere Thesen vor, die innerhalb der muslimischen Gesellschaft für viele Irritationen geführt haben und damit immer mehr zur Ablehnung seiner Person in seiner gegenwärtigen Funktion. Selbst seine späteren Klarstellungen in einigen Punkten bedürfen noch der weiteren Ausführung, weitere Ansätze sind noch offen und erklärungsbedürftig und damit in der jetzigen Form nicht tragbar. Daher wurde sein Buch näher analysiert, was als Grundlage für weitere Diskussionen dienen soll.

 

Diesbezüglich ist Folgendes hervorzuheben:

„Nach Khorchides Ausführungen -sowohl im Buch, als auch inseinen späteren Klarstellungen- ist nicht eindeutig zu erkennen, dass die Bestätigung Gottes als das wichtigste Gebot im Islam anzuerkennen ist, obwohl er selbst betont, dass ein Gläubiger derjenige sei, der sich zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekenne. Seine eingangs formulierte Prämisse, dass Gott durch menschlichen Verstand erfassbar sei, findet in seinen späteren Darstellungen keine Erwähnung. In den von ihm herangezogenen Quellen werden ausschließlich ethische Inhalte in den Vordergrund gestellt und weitere gar nicht erwähnt. In seinen späteren Ausführungen hierzu räumt er selbst ein, dass er sich missverständlich ausgedrückt haben könnte.“ (vgl. Şeyda Can)

 

4. Eine ganz entscheidende Angelegenheit ist aber die Wahrnehmung der breiten muslimischen Gesellschaft in Deutschland, der gegenüber die muslimischen Religionsgemeinschaften Verantwortung tragen. So wurden viele Äußerungen im Buch und in den Medien als eine Beleidigung der muslimischen Identität aufgegriffen und manche Äußerungen sogar als eine klare Absage der klassisch-islamischen Lehre interpretiert. Diesbezüglich erhält DITIB auch Beschwerden, die den Unmut friedlich zu Worte bringen. Die Unzufriedenheit unter den Muslimen verbreitet sich und die Ablehnung gegenüber dem Zentrum für Islamische Theologie wächst in der Basis. Daher ist es nicht auszuschließen, dass künftige Absolventen des Zentrums auch später in ihrem Berufsleben mit Vorbehalten aufgrund ihres Studiums benachteiligt werden könnte, was besonders bedauernswert wäre.

 

5. DITIB hat die Diskussionen zunächst mit Bedacht mitverfolgt. Eine übereilige Gegenposition wurde vermieden, um insbesondere die Zukunft der islamischen Theologie nicht auf emotionalen Streitigkeiten aufzubauen. Vielmehr galt und gilt es, sachlich zu bleiben und die Lage zunächst aufgrund konkreter Kritikpunkte zu bewerten. Um Missverständnisse in der Öffentlichkeit zu vermeiden, hat DITIB die Diskussionen daher zunächst nur verfolgt und sich nicht geäußert. Mit dem heutigen Stand ist jedoch festzuhalten, dass Khorchides theologische Ausführungen nicht tragbar und seine Ansichten, die er in seinem Buch aufwirft, zweifelhaft sind.

 

In diesem Prozess kommt es vor allen Dingen darauf an, dass die muslimische Gesellschaft nicht ihr Vertrauen in die neu gegründeten Islamzentren in Deutschland verliert.

 

Der DITIB-Vorsitzende Prof. Dr. Er hatte am 13.12.2013 zum gemeinsamen Pressefrühstück geladen. Gefragt nach den Behauptungen, DITIB würde Prof. Khorchide unterstützen, sagte Prof. Er: „Es kann nicht davon gesprochen werden, dass DITIB jemanden persönlich unterstützt. Es gibt Kriterien, nach denen jemand unterstützt werden kann. Den Religionsgemeinschaften stehen in Deutschland verfassungsrechtlich verbriefte Rechte zu. Eine Ausbildung, die für Muslime gedacht ist, muss gesellschaftlich akzeptiert sein. Absolventen dieses Lehrstuhls werden für Muslime als Religionsgelehrte Dienste leisten. Wenn die Absolventen und diejenigen, die sie ausbilden aber in der Gesellschaft nicht auf Akzeptanz stoßen, weil sie sich in Dogmen und Glaubensinhalten von dieser scheiden, haben wir Probleme.“ Prof. Er hob zudem hervor, dass jeder nur in seinem eigenen Kompetenzbereich Schriften veröffentlichen sollte: „Beispielsweise bin ich selbst Religionssoziologe und kann zum Thema Systematische Islamische Theologie keine Urteile treffen, dies wäre eine Kompetenzüberschreitung.“

 

DITIB stellt daher hiermit fest, dass Prof. Dr. Mouhanad Khorchide in seiner gegenwärtigen Funktion im Zentrum für Islamische Theologie nicht tragbar ist und fordert die einschlägigen Stellen dazu auf, angesichts vorgenannter Befindlichkeiten, entsprechende Schritte einzuleiten. [/TD]

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Diskussionsbeitrag zu den zentralen glaubensrelevanten Thesen des Buchs

„Islam ist Barmherzigkeit“ von Prof. Dr. Mouhanad Khorchide

von Şeyda Can

Prof. Dr. Khorchide versucht in seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ eine theologische

Grundlage im Islam zu schaffen, die von der Barmherzigkeit Gottes ausgeht. Der Anspruch ist

ausgerichtet auf eine kritische Auseinandersetzung mit der vorherrschenden islamischen

Theologie und deren Vertretern, sowie auf eine neue Lesart des Korans.

Dieser Diskussionsbeitrag analysiert jene Zentrale Thesen des Buches, die von den

mehrheitlichen Ansichten islamischer Theologen abweichen und zugleich besondere

Beachtung innerhalb der islamischen Theologie genießen. Es erhebt nicht den Anspruch, eine

detaillierte Auflistung aller Diskussionen innerhalb des Buches darzustellen.

Es werden zunächst kurz in den jeweiligen Abschnitten die im Buch „Islam ist

Barmherzigkeit“ aufgestellten Behauptungen geschildert. Anschließend werden die

diesbezüglichen inhaltlichen Diskussionen exemplarisch anhand einiger Vertreter der

klassischen islamischen Lehre dargelegt und diese schließlich mit den Ansätzen von

Khorchide verglichen. Ziel ist es, zu beleuchten, in welchen Bereichen und in wieweit die

Ansätze von Khorchide von der anerkannten islamischen Lehre abweichen.

Khorchide hat sich immer wieder mit drei der islamischen Strömungen auseinandergesetzt:

Der Salafiyya (salafīya), wobei er diese Strömung meist als die Salafisten bezeichnet, der

Aschariyya (ašʿarīya) und der Mutazila (muʿtazila). Eine Begründung für die Beschränkung

auf diese drei Strömungen fehlt, wie beispielsweise die in Deutschland am weitesten

verbreitete Maturidiyya. Darüber hinaus behandelt er einige Aussagen anerkannter

muslimischer Theologen, die er namentlich nennt. Doch in vielen Passagen spricht der

Verfasser von „den muslimischen Gelehrten“ oder „der traditionellen Lehre“ ohne

Referenzen, Werke oder Namen anzugeben. Daher ist die Analyse und eine sachliche

Diskussion dieser Passagen nur schwer zu führen und eine Herausforderung bei der Verortung

und Kontextualisierung dieser Ansichten innerhalb der islamischen Theologie. Ein weiteres

Problem der Analyse besteht darin, dass Khorchides theologische Debatten auf

teilgesellschaftlichen Beobachtungen oder politischen Auseinandersetzungen beruhen, die er

allerdings als ein gesamt muslimisches Problem bezeichnet, anschließend sich selbst davon

distanziert und dementsprechend seine theologische These als eine Alternative präsentiert.

In der hier vorliegenden Untersuchung werden jene theologischen Strömungen, die Khorchide

in seinen Darstellungen hervorhebt, in den entsprechenden Themenbereichen näher betrachtet.

Darüber hinaus wird die maturiditische Lehre, die von Khorchide nicht berücksichtigt wird,

allerdings in diesem Kontext neben der ascharitischen eine wichtige Rolle spielt, als

Vergleich mit zu Rate gezogen. Entgegen der Annahme, dass die ascharitische und

maturiditische Lehre fast identisch seien, sind gerade in den Punkten, die Khorchide aufgreift,

manchmal unterschiedliche, aber auch weiterführende Auslegungen nicht selten. Aufgrund

der Relevanz des Themas wurde auch einigen Strömungen Raum gegeben, die heute kaum

mehr Vertreter in der muslimischen Welt finden. Damit soll einerseits verdeutlicht werden,

dass kontroverse theologische Diskussionen im Islam durchaus gängig sind. Andererseits soll

dadurch der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei Khorchides Darstellungen tatsächlich

um eine „neue“ Lesart des Korans handelt oder um die Neuauflage alter Diskurse.

Existenz Gottes und Sinn der Offenbarungen

Khorchide beginnt sein Werk mit der Fragestellung, wer und wie Gott ist und stellt klar, dass

zwar der Verstand uns durchaus sagen kann, dass es einen Schöpfer gibt, betont aber

gleichzeitig, dass Gott nur durch die eigene Mitteilung verständlich wird. Die Existenz Gottes

durch den Verstand zu erlangen, was in der systematischen Theologie als „isbāt al-wāğib”

bekannt ist, wird von Khorchide als gegeben vorausgesetzt: „Der Verstand kann uns also

sagen, dass die Schöpfung einen Verursacher braucht (…)“1. Die Existenz Gottes steht bei

Khorchide außer Frage. Vielmehr geht es ihm um mehr, nämlich um die Eigenschaften

Gottes, seine Beschaffenheit oder Handlungsweise. Diesbezüglich sieht er den Koran als die

einzige Möglichkeit, etwas über Gott und seine Eigenschaften aussagen zu können: „Hier sind

wir auf die Mitteilung Gottes angewiesen, also auf seine Offenbarung“.2

Für die islamische Theologie ist die Existenz Gottes nicht nur ein Glaubensgrundsatz, sondern

muss auch rational begriffen werden. Die islamischen Philosophen und Kalām

3-Gelehrten

setzen sich intensiv mit der Thematik auseinander und kommen mit unterschiedlichen

Methoden zum selben Ergebnis: Es gibt einen Gott, der Verstand ist in der Lage dies zu

1 Khorchide, S. 28.

2 Ebd., S. 28 f.

3 Gemeint sind hier die Theologen, die sich mit der systematischen Theologie auseinandergesetzt haben.

erkennen und die Offenbarung gibt Auskunft über jene Eigenschaften Gottes, die mit der

Vernunft nicht erkannt werden können.4

So erklärt die einst einflussreiche rationalistische Schule der Mutazila Gottes Existenz

ausschließlich mit der Vernunft. Abū l-Huḏail al-ʿAllāf vertritt die Meinung, dass der gesunde

Menschenverstand die Existenz Gottes erkennen müsse. Daher sei es auch für alle Menschen

eine Pflicht, an einen Schöpfer zu glauben. Diese Verpflichtung gilt auch für die

Unterscheidung des Guten vom Bösen. Demnach ist der Mensch in der Lage, durch sein

Denkvermögen, die Existenz Gottes zu erkennen, auch ohne dass er die Offenbarung kennt.

Dies gelingt ihm durch die Betrachtung der Schöpfung und ihrer Eigenschaften und durch die

Erkenntnis, dass ethische Grundsätze, wie die Gerechtigkeit, notwendig existieren müssen.5

Die ascharitische Lehre betont, dass der Mensch in der Lage ist, die Existenz Gottes durch

reine Vernunft zu erkennen. Sie führt detailliert Beweise mit Methoden der Logik und kommt

zu dem Ergebnis, dass Gotteserkenntnis im Wesen des vernunftbegabten Menschen liege und

er daher die Existenz Gottes nicht leugnen könne. Zur Pflicht wird der Glaube aber erst durch

die Offenbarung.6

Die maturiditische Lehre misst im Vergleich zu der ascharitischen Lehre der Offenbarung

eine größere Bedeutung zu. Demnach sei zwar die Gottesexistenz mit der reinen Vernunft

durchaus erkennbar, aber der Glaube werde erst zur Pflicht, wenn Gottes Offenbarungen dem

Menschen bekannt sind. Imam al-Maturidī sieht in der Verleugnung Gottes kein

vernunftbasiertes Ergebnis. Die Verleugnung basiere vielmehr darauf, dass Gott von den

Sinnesorganen nicht wahrgenommen werden könne. Er betont dabei aber, dass zur Erlangung

von Wissen nicht ausschließlich die Wahrnehmung durch die Sinnesorgane ausschlaggebend

sei.7 Auch geht Imam al-Maturidī auf die Frage ein, wie denn Gott verstanden werden kann

und führt aus, dass dies über den Koran und zwar durch die Namen Gottes möglich werde.8

Die Salafiyya, die sich in ihrer Lehre hauptsächlich auf die autoritativen Texte stützt, hebt

hervor, dass Gott selbst dem Menschen in der koranischen Offenbarung die Bedeutung der

Vernunft verdeutliche. Für Ibn Taymiyya steht fest, dass die Existenz Gottes, seine Einheit,

sowie seine Wesenseigenschaften von der Vernunft abgeleitet und gleichzeitig durch

4 Vgl. Rainer Heinzmann (Hrsg.), Lexikon des Dialogs – Grundbegriffe aus dem Islam und dem Christentum,

„Gottesbeweis“, Bd.1, S. 281 f..

5 Vgl. Zuhdī Ǧārallāh, S. 115 ff.

6 Imam al-Ašʿarī, Kitāb al-Lumaʿ, S. 17 ff.

7 Maturidī, S. 93 ff.

8 Khorchide, S. 25.

Offenbarung gestützt werden können. Die Offenbarung liefere darüber hinaus nähere

Kenntnisse über Gott.9

Die Frage der Wesensbeschaffenheit und der Eigenschaften Gottes beantwortet Khorchide

mittels einer Synthese der islamisch-geschichtlich bereits existierenden theologischen

Positionen. Neues zur Frage der Erkenntnis der Gottesexistenz ausgehend von einer

islamisch-theologischen Argumentation ist daraus nicht zu entnehmen. Seine Ausführungen

zum Wesen Gottes lassen allerdings ein Argumentationsdefizit erkennen, das unmittelbar in

seinen späteren Thesen zum Ausdruck kommt: Trotz seines Versuchs, die Beschaffenheit und

Handlungsweise Gottes darzulegen, weicht er der Herausforderung, auf die Schlussfolgerung

der Erkenntnis Gottes für den Menschen und seinen Glauben einzugehen, aus.

Die Bedeutung von raḥmān in der islamischen Theologie

Khorchide vertritt die Auffassung, dass die Barmherzigkeit die am häufigsten erwähnte

Eigenschaft sei, die – wie er anmerkt – Gott sich selbst zuschreibt.10 Diesbezüglich führt er

einige Koranverse als Beweise heran und kritisiert, dass dies in der islamischen Theologie

und im Volksglauben kaum wahrgenommen werde.11 Weiterhin stützt er seine These damit,

dass eine der verbreiteten theologischen Schulen, die Aschariyya, zwischen den

Wesensattributen und den Tatattributen Gottes unterscheide und bedauert, dass die

Eigenschaft Allbarmherzigkeit keinerlei Erwähnung als Wesensmerkmal Gottes bei al-Ašʿarī

finde.12

Als Beleg für seine These übersetzt und kommentiert Khorchide: „Ruft Allah oder ruft arraḥmān

(den absolut Barmherzigen), egal was ihr ruft, ihm gehören die edelsten Namen.“.13

Khorchide leitet hieraus ab, dass die Namen Allah und Rahman gleichzustellen seien. Er misst

dem Namen raḥmān eine höhere Stellung als den anderen Namen Gottes bei.14

Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden drei Aspekte genauer analysiert:

a. Die Verwendung bzw. Interpretation des Begriffs „raḥmān “ in der islamischen

Theologie

b. Die postulierte Äquivalenz der Begriffe „Allah“ und „raḥmān“

9 Ibn Taymiyyah, S. 197 f.

10 Vgl. Khorchide, S. 35 ff.

11 Ebd., S. 36.

12 Ebd., S. 36 f.

13 Koran, 17/110.

14 Khorchide S. 35.

c. Die Attributslehre der Aschariyya und der anderen theologischen Strömungen bezogen

auf den Begriff rahmān

a. Die Verwendung bzw. Interpretation des Begriffs raḥmān in der islamischen

Theologie

Die Begriffe raḥmān und raḥīm stammen von der Wortwurzel r-h-m ab und umfassen alle

Konnotationen von erbarmen, barmherzig sein. Die Verwendung dieser beiden Begriffe

erfolgt im Koran gelegentlich isoliert voneinander, jedoch häufig zusammen. Dies nahmen

Gelehrte zum Anlass, den Kontext der jeweiligen Verwendung der genannten Termini in den

religiösen Schriften genauer zu analysieren und hierfür Kategorien aufzustellen. Sie gelangten

zu dem Ergebnis, dass der Begriff raḥmān als ein Wesensname Gottes (ism al-lafẓ) zu

bezeichnen sei, während raḥīm eher unter den Attributen Gottes (ṣifāt) aufgeführt werden

müsse.15

In den Koranexegesen wird raḥmān die Bedeutung der allumfassenden Barmherzigkeit

Gottes zugemessen. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, der bekannte ascharitische Gelehrte und

Korankommentator, bezeichnet das Wort raḥmān als eines der wichtigsten Namen Gottes

und betont den möglichen Einfluss des Begriffs auf die Gläubigen im Gebet, in dem sie

diesen Begriff mehrmals am Tag wiederholen und vergegenwärtigen.16 At-Tabarī verweist

darauf, dass raḥmān, die Allbarmherzigkeit Gottes, sowohl Gläubige als auch Ungläubige

umfasse, während raḥīm sich auf die Gläubigen beschränke. Seine These verdeutlicht er mit

weiteren Textpassagen aus dem Koran. In der Sure 20 Vers 5 werde mit dem Namen raḥmān

alles umfasst, während in der Sure 33 Vers 43 der Bezug von raḥīm auf die Gläubigen

beschränkt sei.17

Daneben haben weitere islamische Wissenschaftsdisziplinen, wie Hadithwissenschaften oder

Mystik, sowie systematische Theologie sich mit diesen Begriffen auseinandergesetzt und

deren zentrale Bedeutung hervorgehoben. Innerhalb der deutschsprachigen islamischen

Literatur ist auf die im Jahre 2003 erschienene Abhandlung von Abdoldjavad Falaturi „Der

Islam. Religion der Rahma der Barmherzigkeit“ hinzuweisen.

b. Die postulierte Äquivalenz der Begriffe Allah und rahmān

15 Nach Diyanet Islam Ansiklopedisi, Band 34.

16 Nach Faḫr-ad-Dīn ar-Rāzī, Sure „Fatiha“.

17 Nach aṭ-Ṭabarī, Sure Taha und Sure al-Ahzab.

Khorchides Versuch, eine Theologie der Barmherzigkeit aus den autoritativen Texten heraus

zu begründen, beruht insbesondere auf folgendem Vers: „Ruft Allah oder ruft ar-Rahman (den

absolut Barmherzigen), egal was ihr ruft, ihm gehören die edelsten Namen.“18 Er interpretiert

diesen Vers als eine Gleichstellung des Namens Allah mit dem Namen raḥmān, wobei der

erste innerhalb der islamischen Theologie als lafzatullah ein besonderes Ansehen genießt.

Eine inhaltliche Auslegung der Begriffe Allah und rahmān sind in allen Werken der

Koranexegese (tafsīr) zu finden. Die unterschiedlichen Ansätze und Methoden verschiedener

Exegeten (mufassir) beleuchten und begründen im Gegensatz zu Khorchide den genannten

Vers jedoch nicht als eine absolute Gleichstellung der beiden Begriffe.

Tabarī, der zunächst die lexikalische Bedeutung des Verses erläutert, geht in seinem

Korankommentar auf die historischen Hintergründe ein. In seinen Nachweisen gibt er an, wie

Nichtmuslime auf die Muslime, die den Begriff rahmān benutzen, verächtlich

herabschauten.19

Der mutazilitische Gelehrte Zamaḫšarī, dessen Tafsir-Werk weit über die Mutazila hinaus

Anerkennung auch innerhalb der sunnitischen Theologie fand und besonders durch die

philologischen Erklärungen darin auch heute noch von Bedeutung ist, hebt hervor, dass

sowohl die Begriffe Allah und rahmān als Namen Gottes verwendet werden und merkt

bezüglich ihrer Gleichwertigkeit an, dass im Endsatz des erwähnten Verses betont wird, „Egal

was ihr ruft, ihm gehören die edelsten Namen“. Er folgert daraus, dass diese Gleichstellung

sich grammatikalisch nicht ausschließlich auf Allah oder raḥmān beschränke, sondern all

Seine schönsten Namen umfasse.20

Ibn Kaṯīr geht in seinem Tafsirwerk detaillierter auf die historischen Hintergründe ein und

datiert die Herabsendung dieses Verses auf die Zeit des Hudaibiyya-Abkommens. Demnach

habe der Prophet Muhammad (F.s.ü.I.) seinem Cousin Ali angeordnet, das Abkommen mit

dem Ausdruck „Im Namen Allahs, dem raḥmān und raḥīm “ zu versehen, woraufhin die

heidnischen Mekkaner als Vertragspartner bekundet hätten, dass sie weder raḥmān noch

raḥīm als Autoritätsbegriffe anerkennen würden. Ibn Kaṯīr hebt dabei den Wert der Begriffe

raḥmān und raḥīm hervor, stellt jedoch sämtliche schönste Namen Gottes gleich.21

18 Koran, 17/110.

19 Nach aṭ-Ṭabarī, Sure Isra 17:110.

20Zamaḫšarī, Sure Isra 17:110.

21 Ibn Kesir, Sure Isra 17:110.

Nicht nur Sure 17, aus welcher der direkte Bezug Gottes zu raḥmān abgeleitet wird,

bezeichnet all seine edlen Namen als untereinander gleichwertig, sondern auch an mehreren

anderen Stellen im Koran werden die schönsten Namen Gottes hervorgehoben und teilweise

sogar ohne die spezifischen Begriffe raḥmān oder raḥīm wiedergegeben.22 Eine eindeutige

Bevorzugung eines der schönsten Namen Gottes widerspricht dem Koran. Ferner besteht

innerhalb der sunnitischen Lehre ein breiter Konsens darüber, dass lafzatullah, also der Name

Allah, im Vergleich zu den anderen Namen oder Attributen Gottes, eine besondere Position

inne hat. Denn die schönsten Namen Gottes sind von einer bestimmten Bedeutung abgeleitet

und dienen lediglich dazu, die Eigenschaften Gottes zu erklären, während der Begriff Allah in

dieser Hinsicht eigenständig und umfassender ist.23

c. Die Attributslehre der Aschariyya und der anderen theologischen Strömungen

bezogen auf den Begriff rahmān

Khorchide kritisiert mehrfach die bisherigen Autoritäten in der islamischen Theologie, welche

die Barmherzigkeit Gottes nicht berücksichtigt hätten. Dabei erwähnt er namentlich die

Aschariyya und ihre Begründer. Demnach hätten Imam al- Ašʿarī und seine Anhänger eine

Differenzierung von Wesensattributen und Tatattributen Gottes vorgenommen, in der die

Eigenschaft raḥmān nicht als Wesensmerkmal Gottes zu finden sei.24

Es ist darauf hinzuweisen, dass in der islamischen Lehre zwischen den schönsten Namen

Gottes (asmāʾu’l-ḥusnā) und den Attributen (şifāt) Gottes unterschieden wird. Beide sind den

autoritativen Texten zu entnehmen und dienen dem Zweck, Gott besser zu verstehen. Im

Koran werden die schönsten Namen als nominalisierte Adjektive verwendet während die

Begriffe, die in Infinitivform mit Gottes Wesen in Bezug gebracht werden, als Attribute

bekannt sind.25 Die Namen Gottes stehen im direkten Bezug zu seinen Attributen, denn sie

weisen auf seine Eigenschaften hin und werden daher leicht und nicht selten verwechselt.26

Die islamische Theologie hat sich intensiv mit dem Gottesbild auseinandergesetzt und

versucht, Gott durch das Studium seiner Offenbarung näher kennen zu lernen. Um dieses Ziel

zu erlangen, wurde von vielen Gelehrten eine Kategorisierung der göttlichen Attribute

durchgeführt. Die älteste bisher bekannteste Kategorisierung der göttlichen Attribute wurde

22 Vgl. Koran: 7/180; 59/22-24.

23 Nach Diyanet Islam Ansiklopedisi, „Lafza-i Celal“ Band 27.

24Khorchide, S. 36 f.

25Karaman, S. 85.

26Baihaqi, Beirut 1985.

von Abū Ḥanīfa vorgenommen. Er unterteilte damals die Attribute auf die

Wesenseigenschaften und auf Handlungen (ṣifāt zatiyya und ṣifāt fi’liyya).27 Diese Aufteilung

diente zunächst dem Zweck, Gott zu verstehen. Später bildete sie eine Basis für

unterschiedliche Kategorisierungen der Attribute.

Eine systematische Auseinandersetzung mit der Kategorisierung der Namen oder der

Attribute Gottes intensivierte sich, nachdem die Mutazila die Ewigkeit der Attribute infrage

stellte. Gelehrte aus unterschiedlichen Strömungen wie al-Bāqillānī, Bayhaqī, Ǧuvainī oder

Qadī Abd al-Ğabbar sowie Nasafī haben sich ausführlich mit der Attributenlehre Gottes

beschäftigt.28 Außerdem hat innerhalb der Maturidiyya Imam an-Nasafī die Barmherzigkeit

mit berücksichtigt und mit den Begriffen raḥma und mağfirah definiert.29 Die Attribute

wurden innerhalb einer Strömung immer wieder neu kategorisiert, so dass, z. B. Faḫr ad-Dīn

ar-Rāzī selbst zwei unterschiedliche Aufteilungen vorgenommen hat.30 Tatsächlich fındet

man den Begriff raḥmān in der Kategorisierung der Attribute nicht wieder, da dieser in der

islamischen Theologie als eine der schönsten Namen Gottes anerkannt ist und ihm somit von

vornherein eine höhere Stellung als die Attribute zugewiesen wird.

Khorchides Auseinandersetzungen mit der Attributenlehre im Islam sind in seinem Werk als

reduziert zu bewerten. Seine Ausführungen beschränken sich darüber hinaus auf eine einzige

religiöse Strömung. Sein Vorwurf an den islamischen Gelehrten, die Barmherzigkeit Gottes

bisher nicht beachtet zu haben, ist nachweislich unzutreffend. Darüber hinaus ist eine

kategorische Aufteilung der Attribute und sogar der schönsten Namen Gottes weder im Koran

noch in der Sunna verankert.

Das jenseitige Leben durch Transformation und weitere Jenseitsvorstellungen

In Bezug auf die Jenseitsvorstellung nimmt Khorchide für sich in Anspruch, eine neue Lesart

vorzunehmen. Zunächst postuliert er, dass Gott „die“ Barmherzigkeit ist und die

Wiederauferstehung somit die Begegnung mit dem Barmherzigen sein werde. In diesem

Kontext wirft er die Frage auf, wie die Höllenstrafe verstanden werden könne.31 Dabei

27 Vgl. Abu Hanīfa, al Fiqh al-Akbar, S.55.

28 Vgl. Düzgün, S. 226-262.

29 Nasafī, S. 16.

30 Vgl hierzu: Faḫr-ad-Dīn ar-Rāzī, Šarḥ asm āʾ Allāh al-ḥusnā li-r-Rāzī, und Hüseyin Atay Kelama Giriş, 1978

Ankara.

31 Khorchide, S. 49 f.

kritisiert er die Vorstellung von der „Rache Gottes“ und wirft den Aschariten und Mutaziliten

vor, das Jenseits als ein Gericht zu beschreiben, das der Gerechtigkeit diene.

Khorchide sieht im Jenseits eine Phase der Transformation, in der die Menschen zur ewigen

Glückseligkeit gelangten. Dies geschehe durch die Barmherzigkeit Gottes, welche die

Menschen in absoluter Vollkommenheit erfahren würden. Demnach sei auch die Hölle nicht

ein Ort der Bestrafung oder Rache Gottes, sondern stehe symbolisch für Leid und Qual, die

der Mensch in einem Transformationsprozess erlebe. Die Qual der Hölle bestehe in der

Scham und Demut, mit denen dem Menschen bewusst werde, dass er im Diesseits Gottes

Barmherzigkeit zurückgewiesen habe. Gleichzeitig werde der Mensch mit seinem diesseitigen

Fehlverhalten konfrontiert.32 Khorchide betont bei der Darstellung seiner Interpretation des

koranischen Jenseitsbegriffs, dass er das Jenseits als solches keineswegs leugne, sondern

lediglich im übertragenen Sinne verstehe.33

Um diese Form der Jenseitsbeschreibung theologisch zu bewerten, sind das jenseitige Leben

durch Transformation und die islamischen Jenseitsvorstellungen näher zu analysieren. Die

islamische Theologie hat sich überwiegend mit dem Jenseits in Bezug auf dessen Möglichkeit

und die Wiederauferstehung auseinandergesetzt. Der Koran bestätigt die Wahrhaftigkeit des

Jüngsten Gerichts, sowie des Ewigen Lebens.34 Er bezeichnet das Diesseits als eine

Reifeprüfung für das Jenseits.35 Diese Prüfung beschränkt sich nicht ausschließlich auf die

Einhaltung religiöser Gebote oder Riten, sondern bezieht sich ebenso auf das gesamte Leben,

einschließlich der sozialen Verantwortung und psychologischer Lagen.36

Die Bestätigung des jenseitigen Lebens gehört zu den wichtigsten drei Grundlagen im

Glauben (uṣūl ṯalaṯa).37 Sie sind in der sunnitischen, schiitischen und mutazilitischen Lehre

identisch und werden als unabdingbar anerkannt. Die besonders detaillierten Aussagen der

religiösen Texte verhindern den Zweifel an deren Wahrhaftigkeit.

Innerhalb der sunnitischen Theologie herrscht ein breiter Konsens über das reelle Leben im

Jenseits. Faḫr-ad-Dīn ar-Rāzī hebt hervor, dass das Jenseits vernunftbasierte und

textorientierte Aspekte in sich berge. Er betont die Vergänglichkeit des irdischen Lebens und

32 Ebd., S. 50 ff.

33 Ebd., S. 52.

34 Vgl Koran: 7/8-9, 187; 9/72; 14/48; 17/13-14; 18/49; 20/105-107; 22/1-2; 23/102-103; 39/68; 54/6-8; 70/43-

44; 73/17; 75/22-25; 82/1-3,10-12; 83/15; 89/27-30; 98/8; 101/1-8.

35 Koran 67/2.

36 Vgl. Düzgün, S. 685f.

37 Die wichtigste der Glaubensgrundlage, ist der Glaube an Allah (aslul usûl), die weitere Glaubensgrundlage ist

der Glaube an die Propheten. Vgl. Ebd., S. 677

die Möglichkeit einer erneuten Auferstehung nach dem Tod. Diese bildeten den

vernunftorientierten Aspekt, während die Art und Weise des Jenseits nur durch

Offenbarungstexte verstanden werden könne.38 Zudem ist das Leben im Jenseits in

zahlreichen islamischen Büchern eigenständig thematisiert.39

Einige Theologen vertraten vom allgemeinen Grundkonsens abweichende Auffassungen

bezüglich des Jenseits. Eine minoritäre Vorstellung geht davon aus, dass die Verse, die das

Leben im Jenseits erklären, nicht wortwörtlich zu verstehen seien und kategorisierte diese in

den Bereich der mutašabih (mehrdeutigen) Verse. Anlass solch einer Einstellung war

insbesondere der Vergleich des Irdischen mit dem Ewigen Leben. Als religiöse Quelle berief

man sich auf folgenden Vers: „Und niemand weiß, was für (beseligende) Freuden im

verborgenen für sie vorgesehen sind zum Lohn für das, was sie (in ihrem Erdenleben) getan

haben.“40 Die meisten dieser Position zugeneigten Koranexegeten wiesen jedoch darauf hin,

dass das Jenseits an sich eine unleugbare Tatsache ist und nicht mit dem irdischen Leben zu

vergleichen sei. Nur wenige Gelehrte hingegen stellten die reelle Existenz der bezogen auf

das Jenseits erwähnten Orte in Frage.

Einer der wichtigsten Vertreter dieser These ist al-Maqdīsī. Er kritisiert den Vergleich des

irdischen Lebens mit dem Jenseits, da die weltlichen Vorstellungen, den Besonderheiten des

Jenseits nicht gerecht werden könnten. Demnach sei die schönste Belohnung ewige

Glückseligkeit, die größte Bestrafung hingegen Grausamkeit und Vergänglichkeit.41 Ebenso

versucht Ibn ʿArabī die Verse symbolisch zu interpretieren. Den Vers: „Wir versammeln sie

vor uns am Jüngsten Tag, wo sie blind, stumm und taub, auf ihren Gesichtern liegend, in die

Hölle gezerrt werden, in der sie ihre letzte Bleibe finden. Und wenn das Feuer nachlässt,

schüren Wir es.“42 deutet er als symbolisch, wobei er das „Schüren“ als Missmut und die

Gewissensbisse des Menschen interpretiert. Er schließt jedoch nicht aus, dass diese Strafe

dennoch leiblich erfolgen könnte.43

Bei Khorchide kann eine Verleugnung des Jenseits nicht festgestellt werden. Die Existenz

von Hölle und Paradies steht in seinem Buch außer Diskussion. Er setzt sich allerdings auch

mit den Inhalten des jenseitigen Lebens auseinander und weicht bei seinen Vorstellungen

38 Faḫr-ad-Dīn ar-Rāzī, Bd 1, Sure Fatiha.

39 Einige der Bücher sind: Gazzali: Die kostbare Perle im Wissen des Jenseits; Suyūṭī: Al- Budūr as-sāfira.

40 Koran 32/17.

41 Makdisi, S. 190ff.

42 Koran 17/97.

43 Vgl. Ibn ʿArabī , Bd.3 S.25ff)

deutlich von der klassischen Lehre ab. Eine Lesart, die für die islamische Theologie ein

Novum darstellt, sucht man allerdings vergebens. Seine Interpretationen wurden bereits in der

Geschichte des Islams von diversen Gelehrten diskutiert.

Für die vermeintlichen Vorstellungen der Majorität der Muslime von einem sich rächenden

Gott, fehlen jegliche Nachweise bei Khorchide. Die jenseitige Strafe für schlechte Menschen

wird von fast allen namhaften Gelehrten keineswegs als die endgültige Rache Gottes gesehen,

da auch im Jenseits Gott dem Menschen gegenüber seine Barmherzigkeit walten lässt.

Die Bewohner des Paradieses, der Glaube und die aufrichtigen Taten

Khorchide stellt dar, dass trotz unterschiedlicher Ansätze sowohl die Mutazila als auch die

Aschariyya, zur Schlussfolgerung gelangten, nur Muslime hätten eine Chance auf das

Paradies. Er kritisiert diese Vorstellung, da Gott nicht auf Äußerlichkeiten, wie die

Selbstbeziehung als Muslim achte. Für Gott sei es nicht entscheidend, ob der Mensch Jude,

Christ oder Muslim sei, sondern, in wie weit er bereit sei, die Liebe Gottes zu erwidern.44

Der Koran und die sunnitische Lehre bezeichnen die Bewohner des Paradieses als diejenigen,

die glauben und aufrichtig handeln.45 Dabei wird der Glaube (imān) als Hauptbedingung

hervorgehoben. Die genannten Bedingungen gelten als das Bezeugen der Liebe des Menschen

dem Schöpfer gegenüber. Ohne dieses Liebeszeugnis kann von einem Glauben keine Rede

sein.46 Um in das Paradies zu gelangen bedarf es an imān und Handlung gleichermaßen.

Dabei gilt der imān als vorrangig, denn es besteht die Annahme, dass wenn jemand an etwas

glaubt, auch nach dessen Vorgaben handelt. Denn Handlung ohne Glauben ist eine

willkürliche Handlung. Den Begriff imān definieren die Gelehrten nicht als losen Ausspruch,

sondern als die Bestätigung des Herzens (taṣdīq).47 Nach Abu Hanīfa bedeutet imān die

Bestätigung, das Wissen, die Nähe, die Bezeugung und die Hingabe zu Gott.48

Imam Maturidī definiert den Glauben als „Bezeugen mit dem Herzen“.49 Zu der Bedeutung

von tasdīq fügt Nasafī hinzu, dass dies „die Aussagen eines Anderen bestätigen“ bedeute und

genau dies einen zum Gläubigen (mu’min) mache. Demnach wird als ein religiöser Begriff

44 Khorchide, S. 48ff.

45 Vgl. Koran: 3/104; 22/77; 103/3 u.v.m..

46 Nach Diyanet Islam Ansiklopedisi, „Cennet“ Band 7, 1. Auflage.

47 Nach Diyanet Islam Ansiklopedisi, „Iman“ Band 22, 1. Auflage.

48 Ebu Hanife, el Alim ve’l Muteallim, Istanbul 1992, S. 18.

49 Maturidi,, Kitabu’t Tevhid, Istanbul 1979, S. 377.

der mu’min als derjenige bezeichnet, der die Offenbarung Gottes, die durch den Propheten

überbracht wird, glaubt und diese mit seinem Herzen bestätigt.50

Der salafitische Gelehrte Ibn Qayyim sieht als Hauptprinzip des Glaubens das aufrichtige

Verhalten Gott und die guten Taten den Geschöpfen gegenüber.51 Die Bedeutung der

aufrichtigen Taten wurde in diesem Zusammenhang auch erläutert. Ibn Qayyim versucht dies

anhand der religiösen Quellen festzulegen und fasst die aufrichtigen Taten in zwei Aspekte

zusammen: Die aufrichtige Haltung der Geschöpfe dem Schöpfer gegenüber und die Güte den

Geschöpfen gegenüber. Dies wieder könne nur durch die Liebe zu Gott und im Einklang mit

seinen Vorgaben erfolgen.52

Khorchide wirft den Gelehrten vor, sich nicht mit den innerlichen Werten

auseinanderzusetzen und nur nach äußerlichem zu richten. Anschließend beansprucht er, eine

religiöse Aufklärung bezüglich der inneren Werte zu betreiben. Jedoch wiederholt er die in

der islamischen Tradition bereits bekannten und anerkannten Vorstellungen und stellt diese

als seine eigenen dar.

Diskussionen um die ewige bzw. vergängliche Hölle und die Qual

Die Unvereinbarkeit einer ewigen Höllenqual und der Barmherzigkeit Gottes unterstreicht

Khorchide als eine weitere These. Nachdem er den vorhandenen Konsens der Gelehrten

geschildert hat, versucht er mit Hilfe Ibn Qayyims Darstellungen, die Vergänglichkeit der

Höllenqualen zu belegen.53 Weiterhin bestehe die Qual der Hölle in der Scham und der

Demut, durch die dem Menschen bewusst werde, dass er im diesseitigen Leben Gottes

Barmherzigkeit zurückgewiesen habe, während er sich gleichzeitig mit seinen eigenen

Fehlern konfrontiert sehe.54 Khorchide weist auch darauf hin, dass im Koran für die Hölle das

Wort ḫalid verwendet wird, was nicht Unendlichkeit bedeute.

In der systematischen Theologie wurde die Vergänglichkeit der Hölle zum ersten Mal von der

heute als nicht islamisch eingestuften Ǧahmiyya aufgegriffen. Ǧahm b. Ṣafwān, später auch

Ibn ʿArabī haben bereits in ihrer jeweiligen Zeit die Ewigkeit der Hölle aufgrund des

Gerechtigkeitsprinzips in Frage gestellt. Eine ewige Strafe sei für ein vergängliches Leben

50 Siehe Nasafī, at- Tamhīd fī uṣūl ad-dīn, S. 99; Tahānawī Bd. 1, S. 453.

51 Ibn Qaiyim, S. 549ff.

52 Ebd. S.549ff.,

53 Khorchide, S. 56f.

54 Ebd., S. 50 ff.

nicht gerecht.55 Der Mutazilit al-Allāf behauptete, dass sowohl die Hölle als auch das Paradies

nicht ewig sein werden, denn die Bewohner der beiden würden mit der Zeit zu einer Ruhe

gelangen, die für immer andauern werde. In diesem Ruhezustand kämen alle Glückseligkeiten

den Paradiesbewohnern und alle Schmerzen den Höllenbewohnern zu.56 Eine ähnliche

Einstellung vertrat auch al-Ǧāḥiẓ, nämlich dass die Höllenbewohner nicht für immer in der

Höllenqual verweilten, sondern mit der Zeit selbst ein Teil der Qual werden.57

Die Ewigkeit von Paradies und Hölle wird hingegen von den meisten sunnitischen Gelehrten

als selbstverständlich angesehen, da im Koran sehr deutlich das Wort abad für die Hölle oder

das Höllenfeuer verwendet wird58. Abad bedeutet ewig. Das Leid entspricht demnach den

detaillierten Darstellungen des Korans.59 Dennoch ist in diesem Kontext zu betonen, dass

neben Ibn Qayyim und seinem Lehrer Ibn Taymiyya, auch Ibn ʿArabī die Meinung vertrat,

dass die Hölle nicht ewig bestehe60.

Khorchides Ausführungen über die Vergänglichkeit der Hölle stehen im Widerspruch zu den

Erklärungen der Mehrheit der sunnitischen Gelehrten. Dennoch kann seine Ausführung

aufgrund der Diversität im Rahmen des sunnitischen Islams als eine minoritäre Auffassung

akzeptiert werden. Die abstrakte Vorstellung vom Leid der Hölle ist jedoch in der

sunnitischen Lehre nicht erkennbar, da eine Reihe von Koranversen und Hadithen dieser

These widersprechen.

Der Muslim und der kafir

Beim Versuch, das Menschenbild im Islam zu erläutern, geht Khorchide auch auf die Frage

ein, wer ein wahrhaftiger Muslim sei und wer nicht. Dabei definiert er den Muslim als

denjenigen, der „Ja“ zu Gottes Liebe und Barmherzigkeit sage. Weiterhin merkt er

diesbezüglich an, dass „jeder, der sich zu Liebe und Barmherzigkeit bekennt und dies durch

sein Handeln bezeugt, ein Muslim“ sei, „auch wenn er nicht an Gott glaubt, denn Gott geht es

nicht um Überschriften ‚gläubig’ oder ’nichtgläubig’“.61

In diesem Zusammenhang stellt Khorchide dar, wie er die Bezeichnung kafir verstehe. Er

weist dabei auf die philologische Bedeutung des Wortes hin, ohne den literarischen Bezug zu

55 Ibn ʿArabī, Bd. 4, S. 248ff.

56 Šahristānī, Bd. 1, S. 65.

57 Bağdadi Abdülkadir, S.127 ff.

58 Vgl. Koran 33/64-65; 4/169; 73/23 u. v. m.

59 Vgl. Karaman, Bd 1, S. 130.

60 Ibn Qaiyim, S. 280ff.

61 Khorchide, S. 88.

Glauben und Religion herzustellen. Kafir, so schreibt er, sei derjenige der sich weigere, die

Einladung Gottes zu Liebe und Barmherzigkeit anzunehmen und nicht bereit sei, ein Medium

der Verwirklichung göttlicher Intention zu sein.62 Khorchide nimmt diesbezüglich erneut auf

politische Diskussionen Bezug, die er mit den theologischen vermischt und bezeichnet die

Salafisten als kafirun

63: „Gerade Salafisten und andere Fundamentalisten und Extremisten, die

im Namen ihres Glaubens Hass und Unfrieden auf Erden verbreiten, sind nichts anderes als

kafirun.“64 Er merkt dazu an, er selbst würde den Begriff kufr keineswegs mit „Unglaube“

übersetzen, sondern mit „Ablehnung“ oder „Verweigerung“.

Das Verständnis des Glaubens und die Definition eines Gläubigen in der islamischen

Theologie wurden bereits dargestellt. Jeder Mensch ist demnach durch seine Schöpfung in der

Lage, an einen Schöpfer zu glauben und durch die Offenbarungen Gottes verpflichtet, diese

mit dem Herzen zu bestätigen. Dies wird als eine Erwiderung von Gottesliebe bezeichnet.65

Diesen Erklärungen folgend setzten muslimische Gelehrte sich immer wieder mit der

Erwiderung von Gottes Liebe auseinander und betonten stets, dass die Erwiderung der Liebe

des Schöpfers seine Anerkennung und Bestätigung voraussetze und entsprechende

Handlungen von willkürlichen Handlungen unterscheidend, zulasse.

Die etymologische Bedeutung des kafir wird von Khorchide treffend wiedergegeben.66

Demnach gilt es zu vergegenwärtigen, in welchem Zusammenhang im Koran dieser Begriff

Verwendung findet. Im Koran werden die Eigenschaften der kafirun, Gott zu verleugnen, sich

von ihm abzuwenden, sowie Propheten, Koran oder das Jenseits zu verleugnen aufgeführt.67

In der Tradition wird daher kufr für gewöhnlich als das Verleugnen der Offenbarungen Gottes

bezeichnet.68

Die islamische Theologie beschäftigte sich selbstverständlich auch mit bestimmten Aspekten

des kufr. Da dies im religiösen Kontext eindeutig eine Konsequenz im Jenseits nach sich

zieht, ist es zwingend notwendig, diese Aspekte ausschließlich mit religiösen Texten zu

belegen. Ibn Muhammad Gazzali versuchte anhand des Korans die verschiedenen Aspekte des

kufr hervorzuheben und listete Folgende auf: Die Existenz Gottes verleugnen und den

62 Ebd., S. 90.

63 Eine Unterscheidung zwischen Salafisten und Salafiten macht Khorchide erst in seinem Nachfolgewerk

„Scharia, der missverstandene Gott“.

64 Khorchide, S. 91.

65 Vgl. „Die Bewohner des Paradies, der Glaube und die aufrichtigen Taten“

66 Khorchide, S. 89f.

67 Vgl. Koran: 4/136,167; 7/45; 9/30,54; 16/106; 17/41,46; 19/73,77; 21/2-3; 98/1,6 u.v.m.

68 at-Taftāzānī, S. 189.

Monotheismus abstreiten, Ihm etwas gleichstellen, seine Namen oder Attribute ins lächerliche

ziehen, die Hoffnung auf seine Barmherzigkeit aufgeben, das Prophetentum im Allgemeinen

ablehnen.69 Eine willkürliche Einstufung eines Menschen als ein kafir ist im religiösen

Kontext sehr problematisch. So verbietet der Prophet Muhammad, dass die Menschen sich

untereinander mit kufr beschuldigen und weist darauf hin, dass solch eine ungerechte

Anschuldigung dazu führen könne, dass man selbst zum kafir werde.70

Khorchides Schilderungen nach ist nicht zu erkennen, dass die Bestätigung Gottes als das

wichtigste Gebot im Islam anzuerkennen ist, obwohl er selbst betont, dass ein Gläubiger

derjenige sei, der sich zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekenne. Seine eingangs

formulierte Prämisse, dass Gott durch menschlichen Verstand erfassbar sei, findet in seinen

späteren Darstellungen keine Erwähnung. In den von ihm herangezogenen Quellen werden

ausschließlich ethische Inhalte in den Vordergrund gestellt und weitere gar nicht erwähnt.71 In

seinen späteren Klarstellungen, die jedoch inhaltlich nicht ein Teil dieses Gutachtens sind,

verweist er diesbezüglich selbst auf Missverständnisse.

Khorchides etymologische Ausführungen zum Begriff kufr erscheinen berechtigt, ihre

Darstellung im religiösen Kontext ist jedoch unvollständig. Die Einstufung der Salafiten oder

Salafisten als kafirun, ist gemäß religiöser Prinzipien nicht legitim. Letztlich weist die

religiöse und sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik im Allgemeinen auf eine

Reduktion hin, die für die islamische Lehre nicht tragbar ist.

Historische Kontextualisierung des Korans

Khorchide beansprucht durch „humanistische Koranhermeneutik“ eine historische

Kontextualisierung der Korantexte einzuführen und Hadithe systematisch in religiöse und

weltliche Überlieferungen aufzuteilen.72

Er verweist in Bezug auf die Kontextualisierung der Koranverse auf die Existenz von

mekkanischen und medinensischen Suren im Koran.73 Seiner These nach beinhalteten die

mekkanischen Suren die Prinzipien des Islams und seien daher ahistorisch, während die

medinensischen Suren sich auf die Umsetzung der Prinzipien beschränkten und daher im

69 Für weitere Ausführungen vgl.: Ghazzali, S. 249 f.

70 Buhari, Kitabu’l Edeb, 44; Müslim, Kitabu’l Iman 26/111.

71 In vielen Versen im Koran wird neben den ethischen Werten durchaus auch die klare Aufforderung zum

Glauben aufgerufen. Vgl. Koran: 2/2-5; 2/82; 8/2-4; 9/112; 25/68;

72 Khorchide, S. 159 ff.

73 Ebd. S.127,171f.

historischen Kontext zu verstehen seien. Dennoch streitet er den medinensischen Suren die

Relevanz für die Gegenwart nicht ab, sondern postuliert: „Die medinensischen Aussagen im

Koran, die auf die juristische Regelung einer Gesellschaftsordnung abzielen, sind für uns

heute insoweit wichtig, als sie uns aufzeigen, dass Religiosität sich nicht auf ein lediglich

theoretisches Wissen über Gott und über die Prinzipien der Gerechtigkeit und Freiheit

beschränkt, sondern vom Menschen verlangt, aktiv an seiner Gesellschaft zu partizipieren und

einen Beitrag für die Gesellschaftsordnung zu leisten.“74 Anschließend führt er einige

Bemühungen auf, den Koran kontextbezogen zu interpretieren, kritisiert jedoch, dass die

bisherigen Ansätze sich nur auf wenige Verse anwenden lassen, die rechtliche Fragen

beinhalten.75

Eine Aufteilung des Korans in mekkanische und medinensische Suren ist innerhalb der

islamischen Theologie bekannt. Diese Benennung dient dazu, zu unterscheiden, ob der Vers

vor oder nach der Hidschra herab gesandt wurde. Zahlreiche Gelehrte wiesen bereits darauf

hin, dass die mekkanischen Suren hauptsächlich Prinzipien des Islams beinhalten, während

die medinensischen Suren die Umsetzung dieser Prinzipien darlegten. Jedoch ist diese

Aufteilung nur allgemein zu verstehen, denn eine graduelle Differenzierung wird weder im

Koran gefordert, noch nahm der Prophet solch eine Unterscheidung in seinen

Verkündigungen vor.76

Im Koran ist eine Bevorzugung oder Höherstufung einzelner Verse oder Suren gegenüber

anderen Versen/Suren nicht zu finden. Im Gegenteil, sie wird als eine Ganzheit bezeichnet.

Dabei wird betont, dass die gesamte Offenbarung von Gott vervollständigt wurde und keiner

in der Lage ist, diese zu verändern. Die sunnitischen Gelehrten heben immer wieder hervor,

dass das Wort Gottes als ein Ganzes zu verstehen ist und nicht voneinander getrennt werden

kann und darf.77

Schwierig hingegen wird eine klare Zuweisung aller Suren und Verse, da die Gelehrten

diesbezüglich unterschiedliche Ansichten vertraten und eine genaue Aufteilung der

mekkanischen und medinensischen Suren nicht möglich ist.78 Ferner steht die Annahme, dass

medinensische Suren historisch seien, der sunnitischen Lehre entgegen. Eine kontextbezogene

74 Khorchide, S. 129.

75 Ebd. 161ff.

76 Šatibi beschreibt die maqasid und vertritt die Ansicht, dass medinensische Suren die Umsetzung der Prinzipien

von mekkanischen Suren seien. Vgl. Şatibi, Bd. 3, S. 46ff.

77 Vgl. Koran 6/115; 15/9; 41/42; 56/78.

78 Vgl. al-Zarkashī, Bd 1, S. 281; Suyūṭī Bd.1, S. 33.

Interpretation der Koranverse existiert seit den ersten Korankommentarwerken und ist auch

eine Ursache für unterschiedliche Sichtweisen innerhalb des Islam. Jedoch wird diese in

keinem Zusammenhang als historisch bewertet.79

Abschluss

Insgesamt erscheint der Anspruch Khorchides, eine kritische Auseinandersetzung mit der

vorherrschenden islamischen Theologie zu führen und zugleich eine „Theologie der

Barmherzigkeit“ im Islam als Gegenentwurf zum herrschenden Diskurs zu begründen, in

Anbetracht der tatsächlich vertretenen Thesen und ihrer Herleitung als zu hoch gegriffen.

Khorchide greift in seinem Buch zentrale theologische Aspekte auf, die er in der herrschenden

islamischen Tradition wahrnimmt und nutzt diese für seine Elementarkritik am bisherigen

Gelehrtendiskurs. Seine Darstellungen und Kritiken stützen sich nicht selten auf persönliche

Erfahrungen, die weder auf ihre Umstände hin nachgeprüft, noch verallgemeinert und auch

nicht anhand der genannten Quellenverweise belegt werden können.

Es muss festgestellt werden, dass Khorchide sich mit den wesentlichen theologisch relevanten

Fragestellungen nicht auseinandersetzt und bei der Formulierung seiner Thesen entscheidende

Aspekte übergeht. So stellt er sich nicht die Frage, welchen Wert der menschliche Verstand in

Bezug auf Gott und Glauben hat und welche Schlussfolgerungen sich dadurch ergeben. Den

Gelehrten und dem Volksglauben wirft er vor, sich nicht mit der Barmherzigkeit Gottes

auseinandergesetzt zu haben, was unzutreffend ist. Um seine These mit autoritativen Texten

zu untermauern, kommentiert er häufig nur ein Teil der betreffenden Verse und lässt den

diesen Thesen offensichtlich entgegenstehenden Teil aus.

Seine Ausführungen in Bezug auf die schönsten Namen Gottes und die Attributslehre sind

nicht in sich geschlossen. Eine Differenzierung zwischen dem Glauben, den Handlungen und

dem Gläubigen wird nicht nachvollziehbar vorgenommen. Seine Einstellung zum Thema

Jenseits und sein Anspruch auf eine neue Lesart ist kritisch zu bewerten, da beide nicht der

sunnitischen Lehre entsprechen und von Khorchide nicht ausreichend genug textlich

untermauert wurden. Seine Stigmatisierung der salafitischen Lehre des kufrs ist inakzeptabel

und die historische Kontextualisierung des Korans in der geschilderten Form widerspricht der

Lehre des Korans.

79 Für die Herausforderungen der kontextbezogenen Interpretation siehe: Diyanet Islam Ansiklopedisi, „Kuran-

VIII Aciklanması ve Yorumlanması“ Mehmet Paçacı. Band 26.

Khorchides Ausführungen nach ist anzunehmen, dass seine Auseinandersetzung mit

relevanten religiösen Strömungen nur oberflächlich erfolgte, was der hohen Zielsetzung des

Buches nicht angemessen scheint.

Bezogen auf seine religiösen Einstellungen ist laut seiner eigenen Aussagen zu entnehmen,

dass er trotz seiner undifferenzierten und teilweise auch unsachlichen Einlassungen ohne

Zweifel sich im Rahmen der islamischen Lehre bewegt. Seine Ausführungen über die

Glaubensgrundsätze lassen keinen Zweifel, dass er an Gott glaubt und den Propheten ehrt.

Wesentliche, als theologisch deklarierte Positionen von ihm sind jedoch von der Meinung der

mehrheitlichen sunnitischen Gelehrten abweichend. Bemerkenswert ist daher, dass er der

Leiter und Lehrstuhlinhaber eines von der Mehrheit anerkannten konfessionsgebundenen

islamischen Zentrums sein kann. Bedauernswert vor allem ist seine unsachliche und

ablehnende Einstellung gegenüber vielen Gläubigen, die andere Positionen vertreten und ein

anderes Islamverständnis verkörpern als er.

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[TD=class: menu, width: 428, bgcolor: #FFFFFF]Pressemeldung[/TD]

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2013-12-17

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[/TR]

[TR]

[TD=bgcolor: #FFFFFF, colspan: 2][/TD]

[/TR]

[TR]

[TD=bgcolor: #FFFFFF, colspan: 2]Stellungnahme mit Gutachten des KRM zum Münsteraner Islamlehrstuhlinhaber Mouhanad Khorchide[/TD]

[/TR]

[TR]

[TD=bgcolor: #FFFFFF, colspan: 2]

Die Religionsgemeinschaften im KRM repräsentieren die Vielfalt der Muslime in Deutschland und haben großes Interesse am Aufbau einer islamischen Theologie in Deutschland mit Bekenntnisgebundenheit, die die Basis der Muslime und ihren Glauben widerspiegeln soll. Hierfür ist eine verfassungsrechtlich tragfähige und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den jeweiligen Lehrstühlen unabdingbar. Diese ist jedoch zwischenzeitlich durch den Münsteraner Islamlehrstuhlinhabers Mouhanad Khorchide nachhaltig zerrüttet und irreparabel beschädigt worden.

 

Um seinen theologischen Positionen öffentliche Resonanz zu ermöglichen, präsentierte Mouhanad Khorchide im Herbst 2012 in seinem populärwissenschaftlichen Buch "Islam ist Barmherzigkeit" seine zentralen theologischen Thesen einer breiten Öffentlichkeit. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) hat dies zum Anlass genommen, sich mit seiner sogenannten "Theologie der Barmherzigkeit" kritisch auseinanderzusetzen und ist in seinem vorliegenden Gutachten zu der Schlussfolgerung gelangt, dass diese weder mit dem dahinter stehenden wissenschaftlichen Anspruch, noch mit Khorchides Selbstverpflichtung zur bekenntnisgebunden Islamtheologie konform geht.

 

Mit dieser zweifelhaften und seinem bekenntnisorientierten Anspruch nicht rechtfertigenden Vorgehensweise hat Herr Khorchide nicht nur das Vertrauen der organisierten Muslime in Nordrhein-Westfalen in seine Theologie beschädigt, sondern auch dazu beigetragen, dass Absolventen des Münsteraner Instituts im Allgemeinen und Khorchides Lehrstuhl im Besonderen, bzw. als angehende Islamische Religionspädagogen bei der muslimischen Gemeinde kein Vertrauen genießen und mit unhaltbaren theologischen Positionen assoziiert werden. Eine weitere konstruktive Zusammenarbeit mit ihm ist für den KRM daher nicht möglich.

 

Dazu sagte der KRM-Sprecher Dr. Bekir Alboga abschließend: "Ungeachtet der notwendigen personellen und thematischen Neuausrichtung des Instituts in Münster ist es dringend geboten, in einem Bundesland wie NRW mit weit mehr als einer Million muslimischen Einwohnern eine flächendeckende Versorgung ausgebildeter Islamtheologen und Religionslehrer zu gewährleisten. Dazu bedarf es weit mehr als nur einem Standort in Münster".

 

http://koordinationsrat.de/media/File/gutachten_krm_17122013.pdf

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[h=1]17.12.2013 Eren Güvercin kommentiert die Veröffentlichung des angekündigten Gutachtens zur „Theologie der Barmherzigkeit“ und stellt Fragen an den KRM[/h][h=2]Wichtige Fragen wurden zu Beginn ausgeblendet[/h]

(iz). Mit der Veröffentlichung des Gutachtens zur so genannten „Theologie der Barmherzigkeit“ des Münsteraner Professors Mouhanad Khorchide herrscht endlich Klarheit darüber, wie der Koordinationsrat der Muslime (KRM) sich dazu positioniert. Schließlich war es der KRM, der Prof. Khorchide die Ijaza (Lehrerlaubnis) 2011 erteilt hatte, die nach geltendem Verfassungsrecht zwingend notwendig ist, wenn ein Professor ein bekenntnisgebundenes Fach an der Universität lehren will. Welche Konsequenzen nun nach der Veröffentlichung des Gutachtens gezogen werden und was das für den Standort Münster bedeutet, wird sich noch zeigen. Unabhängig vom Zentrum für Islamische Theologie in Münster und der Person Khorchide lassen sich für Muslime in Deutschland einige Rückschlüsse aus dieser monatelangen Debatte ziehen.

 

Von Anfang an wurde bei der Etablierung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten an der Basis vorbei gehandelt. Eine innermuslimische Debatte darüber, wie denn nun die zukünftige Islamische Theologie in Deutschland aussehen solle, wurde nicht geführt. Das rächt sich jetzt. Obwohl der KRM Khorchide die Ijaza erteilt hatte, waren viele Muslime an der Basis von Anfang an kritisch gewesen. Dies hatte der KRM seinerzeit nicht ernst genommen. Hätte man zu Beginn eine offene und transparente Debatte über solche Grundsatzfragen wie die Islamische Theologie geführt, wäre es nicht so weit gekommen.

 

Wenn der Koordinationsrat der Muslime wirklich die Interessen der Muslime und ihrer Moscheegemeinden vertreten will, muss er in Zukunft bei Grundsatzfragen die Debatte mit den verschiedenen Muslimen in Deutschland suchen, denn die Imame, die an diesen Standorten für Islamische Theologie ausgebildet werden sollen, werden am Ende eben vor Ort in den Moscheegemeinden arbeiten. Mit einer staatlich finanzierten universitären Ausbildung von Theologen ist es nicht getan. Das ist für die Mehrheit der Muslime eine zu einseitige Angelegenheit.

 

Die Muslime brauchen vor allem auch unabhängige Institutionen, die die universitäre Ausbildung ergänzen. Dies könnten etwa Madrassen sein, die in der islamischen Geschichte immer eine zentrale Rolle in der Ausbildung von Imamen und Gelehrten spielten. Dafür gibt es in Europa auch zahlreiche Modelle, an denen man sich in Deutschland orientieren könnte.

 

Überhaupt fehlt hier eine lebendige und offene Debatte unter Muslimen jeglicher Couleur über zentrale Themen unserer Zeit. Wenn die SPD ihre Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lässt, ist es vielleicht auch an der Zeit, dass der KRM bei Kernfragen mit den Gemeinschaften vor Ort diskutiert und auch von ihnen legitimieren lässt. Statt bei Islamkonferenzen nur mit der Politik auf Bundes- und Landesebene bestimmte Dinge auszuhandeln, ist es an der Zeit, eine Plattform zu etablieren, in der bitter nötige innermuslimische Diskussionen geführt werden.

 

Solange der KRM nur zur Frage der Theologie in Deutschland Stellung nimmt, nährt er den Verdacht, es ginge ihm indirekt vorrangig um die innenpolitische Anerkennung.

 

IZ

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[h=1]IZ, 26.12.2013 Münsteraner Studenten ist an einer Fortführung der Arbeit des Zentrums für Islamische Theologie gelegen[/h][h=2]Fachschaft stärkt den Basisbezug[/h]

Münster (iz). In einer Stellungnahme hat die Fachschaft des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) Münster die Debatte um die „theologischen Positionen“ des ZIT-Leiters, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, sowie des gerade veröffentlichten Gutachtens des Koordinationrates der Muslime (KRM) um eine studentische Perspektive erweitert. Vor allem wolle man „einer wachsenden Unsicherheit unter Studierenden des ZIT“ Rechnung tragen.

 

Den rund 400 Studierenden am ZIT Münster sei an einer zukünftigen Fortführung der Arbeit am besagten Institut gelegen. „Mit Nachdruck wollen wir darauf aufmerksam machen, dass den Studierenden die Anerkennung ihrer anvisierten Abschlüsse und das Vertrauen in den zukünftigen islamischen Religionsunterricht insbesondere von der muslimischen Basis besonders wichtig sind“, heißt es hierzu in der Stellungnahme.

 

Weil der KRM die Interessen des überwiegenden Teils der (heterogenen) Muslime in der Bundesrepublik vertrete und die gemeinschaftliche muslimische Glaubenspraxis weitestgehend in den Moscheegemeinden stattfinde, empfänden die Studierenden die Zusammenarbeit der Universität und insbesondere des ZIT mit den islamischen Religionsgemeinschaften als unerlässlich. „Nur so lässt sich gewährleisten, dass muslimische Eltern die religiöse Erziehung ihrer Kinder ruhigen Gewissens diesen zukünftigen Absolventen anvertrauen.“

 

Die Fachschaft wendet sich gegen das Missverständnis innerhalb der „öffentlich geführten Auseinandersetzung um den gegenwärtigen Leiter des ZIT“ und seine theologische Ausrichtung wäre identisch mit dem gesamten Zentrum für Islamische Theologie. Studierende wie Lehrende seien pluralistisch geprägt, weshalb das ZIT nicht an einer Person festgemacht werden dürfe.

 

„Wir appellieren an alle Verantwortlichen, die öffentlichen Diskussionen insgesamt differenziert sowie verantwortungsvoll zu führen und bei etwaigen Entscheidungen dem Allgemeininteresse des ZIT Rechnung zu tragen und persönliche Interessen zurückzustellen.“

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[h=1]Plagiatsvorwürfe gegen Islam-Theologen[/h][h=6]RUSEN TIMUR AKSAK

8. Jänner 2014, 11:19[/h]

 

 

[h=2]Dem Münsteraner Islam-Theologen Khorchide wurde von den deutschen Islamverbänden das Vertrauen entzogen. Nun werden auch Plagiatsvorwürfe laut[/h]Abdel-Hakim Ourghi ist Studienleiter des Arbeitsbereichs Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Nun erhebt Ourghi schwere Vorwürfe gegen den österreichischen Islam-Theologen Mouhanad Khorchide, der mit seiner "Theologie der Barmherzigkeit" für Aufsehen gesorgt, aber ebenso die großen deutschen Islamverbände unter dem Dach des Koordinationsrates der Muslime (KRM) gegen sich aufgebracht hat.

Ourghi wirft Khorchide nun Ideenplagiat vor, da dieser für seine Theologie der Barmherzigkeit die Ideen und Ausführungen von Muhammad Shahrur, einem syrischen Intellektuellen und Aufklärer, als eigene ausgeben würde, obwohl diese klar als Ideen Shahrurs zu erkennen seien. Shahrur gilt als Vertreter eines modernistischen Islam-Verständnisses und vertritt eine Form von "Koranismus", sprich, er sieht den Koran als wichtigste Quelle und zweifelt an der Authentizität der Prophetenüberlieferungen ("Hadithe").

Auch wenn Shahrurs Werke auf Deutsch erhältlich sind, unter anderem sein 1990 erschienenes Opus magnum "Die Schrift und der Koran – eine moderne Interpretation", ist er im deutschsprachigen Raum nur in Fachkreisen bekannt. Daher hat Ourghi die Werke Shahrurs mit dem Hauptwerk Khorchides, "Islam ist Barmherzigkeit" abgeglichen.

Ideenplagiat

In seiner Untersuchung gleicht Ourghi Khorchides Thesen mit Passagen aus den Werken Shahrurs an neuralgischen Punkten ab. So führt er etwa aus, dass Khorchides Unterscheidung zwischen den Begrifflichkeiten "barmherziger Gott" und "Gott ist die Barmherzigkeit" auf Ideen von Shahrur fußt. Ebenso sei die Idee, der Gott der Muslime sei kein Diktator und folglich die Beziehung zwischen Menschen und Schöpfer eben keine "Herr-Knecht-Beziehung", bereits in den Werken Shahrurs nachzulesen gewesen. In Ourghis Abhandlung finden sich noch weitere Beispiele, die belegen sollen, dass Khorchide zwar auf die Ideen Shahrurs rekurriert, aber eben nicht sachgemäß zitiert.

Ourghi schreibt in seiner Abhandlung, die er daStandard.at zur Verfügung gestellt hat, er gehe davon aus, dass sich Khorchide bestens mit den Ideen Shahrurs auskenne, da "die semantische Nähe der gebrauchten Begriffe, die Gliederung der Kapitel und nicht zuletzt die behandelten Themen und Fragestellungen an sich" nahelegen würden, dass es sich um "gezieltes Abschreiben der innovativen Reformideen bzw. eine sehr freie Übersetzung der Thesen des syrischen Intellektuellen" handle.

Späte Kritik

Auch wenn Ourghi darlegt, die Kritik stehe nicht im Zusammenhang mit der Causa rund um Khorchide und den Münsteraner Lehrstuhl für Islamische Theologie, muss festgehalten werden, dass Khorchides Buch "Islam ist Barmherzigkeit" bereits im Herbst 2012 erschienen ist, der Plagiatsvorwurf aber erst im Windschatten der Auseinandersetzung zwischen Khorchide und den großen Islamverbänden aufkam, die seine Theologie der Barmherzigkeit entschieden ablehnen und ihm folglich kurz vor Weihnachten das Vertrauen entzogen hatten.

Khorchide selbst hält fest, er habe sich nie mit den Werken Shahrurs beschäftigt und weist die Anschuldigungen von sich. (Rusen Timur Aksak, daStandard.at, 8.1.2014)

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ISLAM-STUDIEN IN MÜNSTERKhorchide im Schwitzkasten

 

Nicht nur muslimische Verbände, auch die Studenten in Münster wenden sich gegen den Hochschullehrer. Ein Islamwissenschaftler erhebt zudem zweifelhafte Plagiatsvorwürfe.*VON*HERMANN HORSTKOTTE*UND*RUBEN KARSCHNICK

 

10. Januar 2014**20:11 Uhr*64 Kommentare

 

Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide vor dem Schloss Münster (Archivbild von 2010)**|* © Bernd Thissen/dpa

 

Mouhanad Khorchide kämpft. Gegen muslimische Verbände, die seine Auffassung des Islams für "Irrlehren" halten. Gegen seine Studenten, die deswegen einen Imageschaden für ihren Fachbereich fürchten. Und gegen einen Islamwissenschaftler, der ihn des Plagiierens beschuldigt.

 

Der Reihe nach. Khorchide ist Professor für bekenntnisgebundene Islamische Theologie an der Universität Münster. Er hat ein Buch namensIslam ist Barmherzigkeit*geschrieben, in dem er die Modernisierung der Religion fordert. Muslimischen Verbänden sind Khorchides Ansichten zu modern. Im Dezember erklärte der bundesweite Koordinationsrat der Muslime*ein "irreparables" Zerwürfnis. Der Rat hatte Khorchide im Jahr 2010 die religionsverfassungsrechtlich unverzichtbare Lehrerlaubnis erteilt. Nun will er Khorchide als Hochschullehrer absetzen.*

 

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Die Studenten des Münsteraner Zentrums für islamische Theologie (ZIT) fürchten, deshalb schlechtere Berufschancen zu haben. In*einer Stellungnahme*schreiben sie: "Mit Sorge beobachten wir, wie sich die Kritik an Prof. Dr. Mouhanad Khorchides Wirken auf das gesamte ZIT und somit auch auf die Studierenden niederschlägt." Studenten und Lehrende des ZITs seien "mündig sowie theologisch vielfältig geprägt", das ZIT solle nicht an einer Person gemessen "oder gar von dieser abhängig gemacht werden".

 

Zusätzlich gibt es Plagiatsvorwürfe. Abdel-Hakim Ourghi, Studienleiter für Islamische Theologie in Freiburg, will "formale und inhaltliche Plagiierung" und "Ideenplagiate" aus*Werken des syrischen Korandeuters Muhammad Shahrour*in Khorchides Buch über Barmherzigkeit gefunden haben.*Das berichtete*Mitte dieser Woche die liberale Wiener Tageszeitung*Standard. Kurze Zeit später verbreitete der Internetdienst*islam.de*die Anschuldigungen. Dieser steht dem Zentralrat der Muslime nahe, der Khorchide als Theologen ablehnt. Für den Rat kamen die Plagiatsvorwürfe womöglich gelegen.

 

Fragwürdige Vorwürfe

 

Stichhaltig sind die Vorwürfe nicht. Ourghis hat seine Vorwürfe in einem bislang unpublizierten Aufsatz zusammengefasst*, der ZEIT ONLINE vorliegt. Anders als anerkannte Plagiatsjäger dokumentiert Ourghi keinen einzigen Satz, der wortwörtlich von einem Fremdautor stammt. Ourghi schreibt, Khorchide wähle Ausdrucksweisen, "die sich von denen Shahrours unterscheiden, vielleicht um ihre Herkunft zu verschleiern". Ourghis Kritik ist also nicht mehr als ein Verdacht. Khorchide selbst sagt zu ZEIT ONLINE: "Ich habe mich nie mit den Thesen von Shahrour beschäftigt." Er suche jetzt Rat von einem Anwalt. Khorchides Verlag teilt mit: Das Buch über die Barmherzigkeit sei kein wissenschaftliches Fachbuch, sondern ein Sachbuch für das breitere, politisch interessierte Publikum. Deshalb gäbe es keinen dicken Fußnotenapparat.

 

Üblicherweise gehen Professoren den umgekehrten Weg: Sie begründen ihre Auffassungen zunächst in Fachbüchern und Aufsätzen und veröffentlichen erst dann populärwissenschaftliche Versionen. KhorchidesBarmherzigkeit*hat keine solche Absicherung im Hintergrund.

 

Mit der Grundsatzkritik an Khorchides Lehre will Oughri ausdrücklich nichts zu tun haben. Allerdings dürfte ihm klar gewesen sein, dass seine Vorwürfe nur deshalb Aufmerksamkeit erfahren würden – normalerweise wären sie in einem Fachblatt erschienen, nicht im*Standard.

 

Dass die Plagiatsvorwürfe Khorchides Ansehen schaden werden, ist unwahrscheinlich. Gegen die muslimischen Verbände und seine Studenten wird er weiter kämpfen müssen.

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Tagesspiegel, 12.01.2013

 

STREIT UM ISLAMISCHE THEOLOGIE

Heiliger Hickhack

17:04 Uhrvon Andrea Dernbach

 

Münster bildet als erste deutsche Universität muslimische Theologen aus –*doch es gibt Streit um Personen und Strukturen.

 

Sie sollten ein Zeichen setzen dafür, dass auch der Islam zu Deutschland gehört: Die Zentren für islamische Theologie sollten nach hiesigen akademischen Standards ausgebildete Theologen als Geistliche und Religionslehrer in die Moscheegemeinden und Schulen bringen. So plante es der Wissenschaftsrat vor vier Jahren in seinen Empfehlungen. Standorte sind nun Frankfurt am Main, Erlangen-Nürnberg, Tübingen und Münster/Osnabrück. Doch gerade am Zentrum für islamische Theologie Münster, dessen bisher einziger ordentlicher Professor Mouhanad Khorchide fast immer genannt wird, wenn es um diesen Aufbruch geht, lähmt ihn Krach um Strukturen und Personen.

 

Öffentliche Aufmerksamkeit hat vor allem der Streit zwischen Khorchide und dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) bekommen, dem Zusammenschluss der vier großen deutschen Muslimverbände. Wesentlicher dürfte aber sein, dass jener Beirat nicht zustande kommt, der an allen Standorten das noch junge Fach begleiten soll, etwa bei Berufungen mitwirken, und der auch der Ort wäre, solche Konflikte zu klären. In Münster besteht der Beirat aus vier Mitgliedern, die die Universität und vieren, die die Muslime benennen. Er sollte sich 2013 konstituieren. Ende Dezember war von Anfang 2014 die Rede – woraus nun Anfang Februar werden dürfte. Noch fehle die Bestätigung für zwei Beiratsmitglieder, sagte der Sprecher der Universität, Norbert Robers, dem Tagesspiegel. Für sie hat die Universität das Vorschlagsrecht, sie müssen aber von der Landesregierung und den muslimischen Verbänden akzeptiert werden. „Sobald die Rektorin die Namen hat, wird sie die Beiräte zur konstituierenden Sitzung einladen.“

 

Der Beirat war dazu gedacht, im Falle der an deutschen Universitäten neuen islamischen Theologie die Rolle zu übernehmen, die für die katholische und evangelische Theologie die Kirchen selbst haben. Sie wachen traditionell darüber, dass ihre Glaubensinhalte an den Fachbereichen nicht unter die Räder kommen. Professorinnen und Professoren brauchen eine kirchliche Lehrerlaubnis. Berühmt wurde der Fall Hans Küng, dem sie wegen Abweichungen zur offiziellen katholischen Lehre 1979 entzogen wurde. Die entsprechenden Verfahren und Vorrechte der Kirchen sind in Konkordaten festgelegt, Verträgen zwischen Kirchen und Staat. Für die Muslime war ein weniger starkes System vorgesehen.

 

Die Konstituierung des Münsteraner Beirats scheiterte zunächst an Einwänden des Verfassungsschutzes gegen ein von muslimischer Seite benanntes Mitglied. Auch eine weitere Nominierung fiel durch. Schließlich riss das Hin und Her um die Konstituierung auch ein Loch in die Riege der Mitglieder, die die Universität benannt hatte: Der Autor und Journalist Eren Güvercin zog sich zurück, genervt vom Hickhack um die Konstituierung, aber auch, wie er sagt, besorgt wegen einer zusehends feindseligeren Kommunikation zwischen der Universitätsleitung, Khorchide und den Verbänden, die er für die gute Sache als gefährlich ansah.

 

In der öffentlichen Debatte freilich erscheint die Geschichte der Anlaufprobleme mit einem neuen akademischen Organigramm mehr wie ein Krieg um den rechten muslimischen Glauben, als „Fall Khorchide“. Der 42-jährige österreichische Religionssoziologe ist seit Mitte 2010 Professor für islamische Religionspädagogik in Münster. Er wurde 2008 in Wien promoviert und hat in einer Wiener Gemeinde auch als Imam gewirkt. In Münster folgte er auf Sven Muhammad Kalisch, der ursprünglich für die akademische Lehrerausbildung vorgesehen war, dann aber eine für diese Aufgabe heikle Wende vollzog. Er bezweifelte zunächst, dass es den Propheten Mohammed überhaupt gegeben hat und sagte sich schließlich ganz vom Islam los.

 

Tatsächlich sind die Beziehungen zwischen den muslimischen Verbänden und Khorchide, der 2010 noch mit deren Zustimmung berufen wurde, seit einiger Zeit gespannt. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), in dem die vier größten Verbände zusammengeschlossen sind, warf Khorchide in einem eigenen Gutachten methodische und inhaltliche Widersprüche und eine schlampige Übersetzung von Koransuren in seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ vor und zog sogar seine Arabisch-Kenntnis in Zweifel. Die Zusammenarbeit mit ihm wurde aufgekündigt, das Verhältnis sei „zerrüttet und irreparabel beschädigt“.

 

Der herrschenden Lesart – hier der liberale Khorchide, dort konservative Verbände – hält Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, eine andere entgegen: „Der KRM kann durchaus auch mit abweichenden theologischen Positionen leben. Von ihm wird aber in erster Linie erwartet, dass er keine Ausbildung mitträgt, die unter seinen Mitgliedern theologisch umstritten ist und daher von den Verbänden und ihren Mitgliedern unter keinen Umständen akzeptiert werden kann“, sagt Mazyek, dessen Verband Teil des KRM ist. Dies sei auch „verfassungsmäßig verbrieftes Recht einer Religionsgemeinschaft“.

 

Für die betroffenen Studierenden wäre eine Ausbildung ohne das Ja der Verbände auch ein Arbeitsmarktproblem – schließlich wollen sie die Kinder muslimischer Eltern unterrichten und als Imame und Seelsorgerinnen in den Moscheegemeinden arbeiten. Die Münsteraner Fachschaft hat denn auch vor kurzem eine Erklärung veröffentlicht, in der sie von „wachsender Unsicherheit“ spricht. Den Studierenden sei „die Anerkennung ihrer Abschlüsse und das Vertrauen von der muslimischen Basis besonders wichtig“. „Weil der KRM die Interessen des überwiegenden Teils der Muslime vertritt, empfinden die Studierenden die Zusammenarbeit des Zentrums für Islamische Theologie mit den islamischen Religionsgemeinschaften als unerlässlich“, heißt es in der Erklärung der Fachschaft.

 

Die Universität sieht keine Schuld bei sich: „Wir stehen am Ende der Nahrungskette“, sagt Universitätssprecher Robers. Dass der Beirat noch nicht berufen sei, liege nicht an der Universität: Die Namen der beiden fehlenden Mitglieder „haben wir dem KRM gemeldet und bisher noch keine Rückmeldung“. Mazyek hält dagegen:*Noch bevor man auf den Vorschlag der Universität habe reagieren können, habe die Rektorin Ursula Nelles schriftlich mitgeteilt, der von der Universität vorgeschlagene Kandidat steh nicht mehr zur Verfügung. „Wir finden den Vorgang höchst verwunderlich.“

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[h=2]Islam-Theologe Khorchide hält Druck stand[/h][h=3]WIEN. Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide, der an der Universität Münster islamische Theologie lehrt, hat nicht vor, seinen Hut zu ziehen. Er wird als Reformer eingeschätzt, sein Wirken stößt aber bei manchen muslimischen Verbänden in Deutschland auf Widerstand.[/h]

Seit Monaten laufen Muslimische Verbände in Deutschland Sturm gegen den österreichischen Wissenschafter Mouhanad Khorchide, der an der Universität Münster islamische Theologie lehrt. Seinen Hut werde der Reformer aber nicht ziehen: "Ich habe Rückendeckung von der Politik, der Universität, meinen Studierenden und der muslimischen Basis", sagt er am Mittwochabend im Gespräch mit der APA.

Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) wirft dem Leiter des Zentrums für islamische Theologie etwa vor, nicht konfessionsgebunden zu arbeiten. Khorchide stelle Glaubensgrundsätze infrage. Die unter dem KRM versammelten Verbände fordern eine Neubesetzung des Postens. Auch salafistische Kreise greifen den Reformer scharf an, unter ihnen Pierre Vogel. Prominentester Unterstützer des Zentrums ist der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck.

Verstieße Khorchide tatsächlich gegen Glaubensgrundsätze, könnte ihm das gleiche Schicksal wie seinem Vorgänger Sven Kalisch drohen. Jener hatte die Existenz des muslimischen Propheten Mohammed angezweifelt. Die muslimischen Verbände machten Gebrauch von ihrem Vetorecht - und Kalisch musste gehen, schildert Khorchide.

"Ich rüttle aber nicht an Glaubensgrundsätzen", sagt der Autor des umstrittenen Buches "Islam ist Barmherzigkeit" entschieden. Er interpretiere den Islam lediglich auf wissenschaftlicher Basis. Zudem müsste die Universität Münster erst der Kritik und dem Veto der muslimischen Verbände stattgeben, um den pragmatisierten Theologen seines Amtes zu entheben. "Die Universität steht aber hinter mir."

Ein Machtkampf über die Deutungshoheit des Islams und ein Ringen um die politische Anerkennung der muslimischen Gemeinden in Deutschland seien die treibenden Faktoren der hitzigen Debatte: "Ich sitze hier einfach zwischen den beiden Stühlen. Dass es hierbei wirklich um mich und mein Islamverständnis geht, glaube ich nicht", erklärt Khorchide.

Die muslimischen Verbände seien nicht sehr erfreut über den regen Zulauf zum Studiengang der Islamischen Theologie. Lieber würden sie die junge Generation in ihren eigenen Reihen sehen: Rund 1.200 Studierende haben sich laut Khorchide im Jahr 2013/14 für den Studiengang in Münster beworben. 400 studierten dort derzeit - ein Teil mit Aussicht darauf, später einmal als Imame zu fungieren.

Zudem kämpften die muslimischen Verbände für eine gesetzliche Anerkennung, die der Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) gleicht. Deshalb nutzten sie ihn und seine Lehre als Anlass, um auf politischer Ebene Druck auszuüben, vermutet Khorchide.

An einer "Schlammschlacht" mit den Verbänden sei Khorchide nicht interessiert. Er konzentriere sich weiterhin auf seine Arbeit, den Rest sollten sich die Politik und die Universität mit den Erzürnten ausmachen. "Das ist nicht meine Suppe, da mische ich mich nicht ein", erklärt er.

Insgesamt stehe die Islamische Theologie in Deutschland noch am Anfang: "Der Etablierungsprozess hat erst begonnen", so Khorchide. "Und das ist ein Lernprozess für alle." Grenzen zwischen der Konfessionsbewahrung, dem Religionsverständnis der muslimischen Verbände und der Freiheit der Wissenschaft müssten noch ausgemacht werden. Und Khorchide stehe aufseiten der Wissenschaft, wo offen und kritisch diskutiert werde - ohne jedoch an Glaubensgrundsätzen zu rütteln, streicht er hervor.

In Österreich laufen seinen Informationen nach bereits Verhandlungen zur Einrichtung eines islamisch-theologischen Lehrstuhls. Die Stelle sollte bald eingerichtet werden, zum Status quo könne er allerdings keine Angaben machen. Fest stünde lediglich, dass dieser Prozess viel langsamer liefe als in Deutschland.

Aus freien Stücken denke der Theologe keineswegs an einen Rückzug aus der Lehre: "Laufend bekomme ich Mails von Studierenden und Muslimen, die mich darum bitten weiterzumachen und nicht aufzugeben. Aus meiner Sicht lohnt es sich also jedenfalls, dem Druck von allen Seiten standzuhalten."

 

 

Nachrichten.At, 16.01.2014

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EIN ZWEITER FALL KALISCH?

 

Déjà-vu am Zentrum für Islamische Theologie in Münster

 

Von theologischen „Scherbenhaufen“, Skandalisierungsversuchen und verschwendeten Steuergeldern am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster. Bilanz eines gescheiterten Experiments.

http://www.migazin.de/wp-content/themes/migpix/thumb.php?src=http://www.migazin.de/wp-content/uploads/2010/10/westfaelische_wilhelms_universitaet_muenster.jpg&h=288&w=627&zc=1&q=80Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster © Uni Münster

 

 

 

 

Seit 2004 – mit der Berufung von Sven Kalisch zum Professor für Islamische Religionspädagogik – versucht die Universität Münster vergeblich Strukturen für Islamische Theologie bzw. Religionspädagogik in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen aufzubauen. Bis 2008 genoss Kalisch das Vertrauen des Koordinationsrats der Muslime (KRM), die in Deutschland weit mehr als 2000 Moscheegemeinden repräsentieren, um muslimische Religionslehrer auszubilden. Aufgrund der Leugnung der historischen Existenz des Propheten Muhammad seitens Kalischs wurde ihm jedoch die Lehrerlaubnis entzogen, weil weder für große Teil der Studenten in Münster noch die muslimische Basis diese Meinung tragbar war.

 

Schnell war man sich einig, dass hier ein „Held der Aufklärung“ von den „konservativen, denkfeindlichen“ muslimischen Organisationen zu Fall gebracht werden sollte. Obwohl die Meisten das Kernproblem dieser theologischen Debatten nicht verstanden hatten – oder nicht verstehen wollten – wurden Kampagnen zur Unterstützung des gefallenen Professors gestartet. Nach einem wilden Sturm der öffentlichen Empörung ließen diese Kampagnen nach und zurückgeblieben war ein Scherbenhaufen in Münster. Die vierjährige – materielle wie immaterielle – Bilanz ist dabei wenig ermunternd: so gut wie kein Lehrer konnte in diesen vier Jahren sein Studium am Standort Münster absolvieren.

Zugleich war das Vertrauen der muslimischen Basis in das staatliche Projekt „Islamische Theologie/Religionspädagogik“ erschüttert und Vorurteile über die Versuche eines „Staatsislams“ in manchen muslimischen Kreisen wurden scheinbar bestätigt. Gefreut haben sich vor allem die Gegner einer deutsch-islamischen Theologie über dieses Misslingen.

Nach dem kläglichen Scheitern dieses vierjährigen Experiments hätte man annehmen müssen, dass die Universität Münster – die im übrigen bis zum letzten Augenblick an Kalisch festhielt und die Proteste des KRM lange Zeit ignorierte – und das Wissenschaftsministerium NRW aus dem Fall Kalisch ihre Lehre gezogen hatte. Doch wie die Erfahrungen der letzten Jahren zeigen, muss man leider feststellen: an der Haltung der Universität Münster hat sich nicht viel geändert.

Denn 2010 wurde mit Mouhanad Khorchide ein neuer Professor berufen, der erst 2009 mit einer methodisch und forschungsethisch sehr umstrittenen Doktorarbeit einem großen Teil der muslimischen Religionslehrer in Österreich anti-demokratische und fundamentalistische Einstellungen bescheinigte. Schnell hatte man in der Atmosphäre eines islamophoben Wahnes in Österreich einen muslimischen Zeugen gefunden, der den Generalverdacht über die Muslime bestätigte. Dass es ernsthafte Kritik an seiner Forschungsmethodik seitens anderer Wissenschaftler gab und die gesamte muslimische Community aufgrund der medialen Starauftritte von Khorchide unter Generalverdacht gestellt wurde, sollte völlig sekundär sein. Denn die Formel ist sehr einfach, um die Karriereleiter als muslimsicher „Wissenschaftler“ aufzusteigen: in Richtung Muslime skandalisieren, den aufklärerischen Helden spielen, Popularität gewinnen und dann schließlich „Islam-Experte“ werden.

Diese Popularität hat ihn dann anscheinend auf die Nachfolgestelle von Kalisch an der Universität Münster verholfen. Denn wie ist es sonst zu erklären, dass der Soziologe Khorchide ohne einen Master-Studium, ohne Dissertation und Habilitation in Islamischer Theologie bzw. Religionspädagogik eine Professur erhält? Bizarr ist zudem, dass der abberufene Kalisch sogar noch in der Berufungskommission seinen Nachfolger mitbestimmt haben soll. Doch damit nicht genug. Herr Khorchide hatte also die Chance den Scherbenhaufen in Münster wiederaufzusammeln, das Vertrauen der muslimischen Gemeinden wiederherzustellen und qualitativ-wissenschaftliche Theologie bzw. Religionspädagogik zu betreiben. Bevor er berufen wurde, suchte er daher den KRM auf und unterschrieb eine Absichtserklärung, dass er die religiösen Glaubensüberzeugungen aller Sunniten und Schiiten in Deutschland vertreten werde. Unter dieser Bedingung erteilte der KRM ihm die Lehrerlaubnis und Khorchide wurde 2010 als Nachfolger von Kalisch berufen.

Doch der nächste Skandal ließ nicht lange auf sich warten. Entsprechend der oben aufgestellten „Karriere-Formel“ predigte Herr Khorchide die Grundzüge einer neuen Religion, schrieb zwei Bücher und verbreitete seine Lehre in zahlreichen Interviews. Der Held aus Österreich fand in Deutschland einen neuen Olymp, spielte wieder auf Kosten der Muslime den Aufklärer und wurde alsbald auch hierzulande gefeiert: Mit dem Licht der Aufklärung sollen die rückständigen Muslime, so Khorchide, aus den Fesseln der seit über 1000 Jahren „stagnierenden“ Islamischen Theologie befreit werden. Zum Vergleich: Das wäre genauso ein „bescheidener“ Anspruch von einem promovierten Biologen, der mit einem Fernstudium Bachelor in Physik – ohne Master, Dissertation und Habilitation – die gesamte Physik reformieren zu wollen, ohne die jahrhundertelange Tradition zu würdigen, geschweige denn zu verstehen. Wenn Soziologen Theologie spielen, dann führt es zu ähnlichen Phantastereien wie bei „Hobby-Physikern.“

Lange haben die Muslime diese abenteuerliche Lehre passiv verfolgt, bis schließlich der KRM vor wenigen Wochen ihm die in 2010 erteilte Lehrerlaubnis faktisch durch ein Gutachten entzog. Diesem Konflikt waren massive Kommunikationsprobleme mit der Universitätsleitung vorausgegangen bis schließlich der KRM von einem irreperablen Vertrauensbruch sprach. Schnell wiederholte sich das Szenario wie bei Kalisch und wieder meldeten sich Unterstützer von Khorchide, die ihn nicht fallen sehen wollten. Denn wenn die muslimischen Verbände gegen Khorchide sind, kann es nur gut sein, so die Agenda dieser Kräfte. Alle nahmen für sich lautstark in Anspruch, sich in diese höchst komplexe-islamische Debatte als Nicht-Muslime und Nicht-Theologen einzumischen und bekundeten ihre Solidarität mit Khorchide gegen die vermeintlich aufklärungsresistenten Muslime. Dass es in Wahrheit den Muslimen um Fragen der authentischen Wissenschaftstradition geht und um Einhaltung wissenschaftlich-theologischer Standards wie bei den jüdischen und christlichen Theologien auch, war für die Öffentlichkeit zweitrangig. Zum Teil aus Unkenntnis, zum Teil aber auch aus ideologischen Gründen. Daher inszenierte man das Konfliktfeld Liberal versus Konservativ. Die Definitionsmacht dabei hat selbstverständlich Khorchide und seine Unterstützer. Wer welche Rolle unter dieser Regie bekommt, dürfte auf der Hand liegen.

Wie reagiert nun die Universität Münster, obwohl nun Wochen seit dem Gutachten vergangen sind und auch schon die Fachschaft ihre Sorgen in einer Pressemitteilung äußerten? Auf den Scherbenhaufen von Kalisch kommt ein weiterer Scherbenhaufen und die Universitätsleitung setzt wie 2008 auch, einfach auf die Strategie auf Zeit zu spielen, die Sorgen der Muslime zu ignorieren und diesen Skandal einfach auszusetzen. Leidtragende dieser Strategie sind wieder die Studenten, die über 350.000 muslimischen Schülerinnen und Schüler, die über 1 Mio. Muslime in NRW, aber auch der Steuerzahler. Denn die Kosten des zehnjährigen Spektakels in Münster dürften sich mittlerweile auf mehrere Hunderttausend Euro belaufen. Der „Output“ dieses finanziellen Inputs in Münster liegt auf der Hand: kaum Studenten mit Abschluss, Vertrauensbruch mit der muslimischen Basis und ihren Organisationen, keine Einführung des ordentlichen Religionsunterrichts aufgrund fehlender Lehrer und keine deutschsprachigen Imame für die Moscheegemeinden.

Trotz dieses großen Scherbenhaufens will offensichtlich das zuständige Landesministerium am Standort Münster festhalten. In der Sozialpsychologie gibt es eine Erklärung für diese unökonomische Einstellung, wenn man trotz verlustreicher Investitionen ein Projekt nicht aufgeben möchte: The Sunk Cost Fallacy. Man gibt eine Sache deshalb nicht auf, weil man schon zu viel Zeit und Geld investiert hat, obwohl ökonomisch gesehen eine weitere Investition nicht weiterhilft. Ratio aus dieser Erfahrung müsste eigentlich sein: Vergangenheit vergessen und in eine andere, aussichtsreichere Zukunft investieren. Das Wissenschaftsministerium scheint aber ein klassisches Opfer dieser Denkfalle zu sein.

 

 

 

 

Cemil Sahinöz, Migazin, 17.01.2014

http://www.migazin.de/2014/01/17/ein-fall-kalisch-deja-vu-zentrum-islamische-theologie-muenster/

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Ministerium schaltet sich in Streit um Islam-Lehre ein

 

Von (dpa)

 

Münster/Düsseldorf Im Streit um die Ausrichtung der islamischen Theologie an der Universität Münster hat sich das Wissenschaftsministerium in Düsseldorf eingeschaltet. Nach Angaben einer Sprecherin werde es "in Kürze" ein Treffen geben. "Es geht darum, alle Beteiligten, also Universität, Verbände und Ministerium, an einen Tisch zu holen", sagte die Ministeriumssprecherin am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Es gehe zunächst darum, einen Fahrplan für das weitere Vorgehen aufzustellen. Zeitpunkt und Ort des Treffen seien noch offen. Weitere Details wollte sie nicht nennen.

 

Hintergrund ist ein Streit der Uni Münster mit Vertretern von Islam-Verbänden um den Kurs des Hochschullehrers Mouhanad Khorchide. Seit Eröffnung des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster hat sich ein vorgesehener Beirat nicht konstituiert. Die Uni kann deshalb Personalentscheidungen nur unter Vorbehalt beschließen. Immer wieder war ein erstes Treffen des Beirats an den von den Islam-Verbänden vorgeschlagenen Kandidaten gescheitert. So hatte das Bundesinnenministerium sein Veto eingelegt, da ein Kandidat Mitglied in der vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) ist. Auch ein für Anfang 2014 angekündigter Termin kam nach Angaben der Uni Münster nicht zustande.

 

23.01.2014*|

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