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Risale-i Nur als Tafsir

Koranverse und Ahadith in den Werken von Said Nursi

In der islamischen Theologie gab es schon immer die Tradition des Tafsirs. Tafsir ist die Kommentierung, Auslegung, Interpretation des Korans. Sie wird also verfasst, um den Koran oder bestimmte Koranverse besser zu verstehen.

So gab es in der islamischen Geschichte sehr viele Tafsirs. Der Grund für diese Vielfalt ist, dass jedes Tafsir den Koran aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und auch eine zeitgemäße Interpretation des Korans darstellt. Das heißt nicht, dass sich der Koran mit der Zeit verändert, sondern dass gesellschaftliche und technische Veränderungen einen neuen Zugang zum Koran zulassen, so dass man durch neue Erkenntnisse bestimmte Verse besser verstehen kann als z.B. vor 500 Jahren.

Verschiedene Arten von Tafsirs

Auch der Islamgelehrte Said Nursi verfasste ein Tafsir-Werk, namentlich Risale-i Nur. In seinem ca. 6000 seitigen Tafsir kommentierte Said Nursi jedoch nicht jeden einzelnen Koranvers, sondern beschränkte sich auf bestimmte Koranverse, allen voran Koranverse, die sich mit den Glaubenspfeilern (z.B. Existenz Gottes, Offenbarungen, Prophetentum, Jenseits) beschäftigten.

Diese Art von Tafsir ist nicht neu und gibt es auch nicht seit Said Nursi. Schon immer gab es zwei Arten von Tafsirs. Die eine Art interpretierte jeden Koranvers der Reihe nach und die zweite Art interpretierte nur bestimmte Koranverse. So kann z.B. auch eine längere Arbeit über ein einzelnes Koranvers als Tafsir bezeichnet werden (z.B. einzelne Werke von Ghazali oder Rabbani). Auch dies gibt es in der Gegenwart zu genüge.

Said Nursi geht in seinen Werken ebenfalls auf die unterschiedlichen Arten von Tafsir ein und erläutert, warum die Risale-i Nur auf die zweite Art geschrieben wurde: „Es gibt nämlich zwei Arten Korankommentare. Die erste ist die altbekannte Art Kommentare, wobei die Redewendungen im Koran und die Bedeutung seiner Worte und Sätze festgestellt, erklärt und erläutert werden. Was aber die zweite Art Kommentare betrifft, so stellt sie mit machtvollen Argumenten die Glaubenswahrheiten im Koran fest, erklärt und erläutert sie. Diese Art ist von sehr großer Bedeutung. Die allgemein bekannte Auslegung fasst manchmal diese Art kurz zusammen. Doch die Risale-i Nur betrachtet diese zweite Art als die unmittelbare Grundlage und ist eine spirituelle (auf der Wahrheit des Koran basierende) Auslegung, die auf beispiellose Weise (Leugner) zum Schweigen verurteilt“ (Nursi, k.A.a, S. 872; vgl. Nursi, 2000, S. 368). Laut Nursi geht die erste Art von Tafsir nicht tiefgründig auf die Glaubenswahrheiten ein, sondern betrachtet sie nur kurz oder oberflächlich. Dies würde auch den Rahmen dieser Tafsirs sprengen. Daher hat sich Said Nursi der Auslegung von Glaubenswahrheiten gewidmet, um sie einerseits zeitgemäß zu bestätigen und andererseits zu verteidigen.

Auch die Schüler von Said Nursi nehmen die Werke von Said Nursi auf diese Art und Weise wahr und argumentieren deshalb ähnlich: „Die Risale-i Nur ist ein wahrhaftiger Kommentar des allweisen Koran. Die einzelnen Ayat wurden nicht der Reihe nach kommentiert, vielmehr wurden jene Ayat ausgewählt, welche die Glaubenswahrheiten erklären und auf die Probleme der Zeit eine Antwort geben. Es gibt zweierlei Arten der Auslegung (Tafsir): zum ersten werden die einzelnen Wörter und Ausdrücke kommentiert; zum zweiten wird die Bedeutung und der Glaubensinhalt der Ayat erklärt und bewiesen“ (Nursi, k.A.b, S. 237). Sie sind der Meinung, dass die Risale-i Nur als Tafsir Antworten auf die Fragen der Gegenwart gibt.

An anderer Stelle stellen die Schüler Sadi Nursis noch einmal die Besonderheiten dieser Art des Tafsirs in den Fokus: „Es gibt zwei verschiedene Arten Kommentare (Tafsir). Die erste: die bekannte Art Tafsir: die Ausdrücke, Wörter und Sätze im Koran werden erklärt, erläutert oder bewiesen. Die zweite Art Tafsir aber ist die: die Glaubenswahrheiten im Koran werden mit unumstößlichen Beweisen erklärt, erläutert und bewiesen. Diese Art hat eine ganz besondere Bedeutung. Die oben angeführte bekannte erste Art Tafsir fügt nur manchmal ganz kurz eine Erklärung bei. Doch die Risale-i Nur hat sich die zweite Art von Grund auf zum Prinzip gemacht und ist so in beispielloser Weise ein geistlicher Tafsir, der selbst auch (Leugner) Schweigen bringt. Die Risale-i Nur ist ein Gesamtwerk, das in seiner Denkweise frei ist von persönlichen Betrachtungen, wodurch der Koran, der unser heiliges Buch ist, in jedem Jahrhundert Millionen Menschen seine Wahrheiten auf eine objektive und vernünftige Weise erklärt und so der Menschheit zum Nutzen dient. Die Risale-i Nur […] (ist) ein Beweis für die Wahrheiten des Glaubens und der Einheit Gottes, dem Verständnis einer jeden Volksschicht entsprechend angelegt, zieht auch die Naturwissenschaften mit in Betracht, […] spricht alle Menschen an, von den einfachen, ungebildeten bis zu den hochgebildeten und gelehrten, […] gibt auf die Bedürfnisse des Jahrhunderts eine vollständige Antwort, […] nicht eine wörtliche, sondern eine sinngemäße Auslegung des Ehrenwerten Koran“ (Nursi, k.A.b, S. 978ff). Auch hier betonen sie, dass die Risale-i Nur nicht nur Gelehrte, sondern jeden anspricht und die Erkenntnisse der Gegenwart betrachtet um neue Fragestellungen gegenüber den Koran bearbeiten zu können.

Wenn man nun die Risale-i Nur als Gesamtwerk betrachtet, dann sehen wir, dass Nursi zunächst mit der ersten traditionellen Art begonnen hat. In Seinem Werk “Der Koran – Ein Zeichen des Wunders“ (k.A.e) kommentiert er die Sura Fatiha und die ersten 33 Verse der Sura Bakara. Dabei kommentiert er nicht nur die Verse im Ganzen, sondern schaut auch pingelig genug, warum welches Wort, welcher Buchstabe, welches Satzzeichen genutzt wurde. Wenn man bedenkt, dass Nursi dieses sehr detaillierte Tafsir auf dem Schlachtfeld mitten im Ersten Weltkrieg schrieb, ist dies beeindruckend. Ursprünglich plante Nursi dieses Werk in 60 Bänden herauszugeben (vgl. Paksu, 1997). Sein Ziel war es u.a., jegliche Argumentationen gegen den Koran zu widerlegen.

Später beschäftigte sich Nursi nur noch mit bestimmten Versen, allen voran den Versen, die die Glaubenswahrheiten in den Fokus legen. Dies tat er, wie von ihm und seinen Schülern beschrieben, auf Grund der Notwendigkeit. Seiner Meinung nach war es in Zeiten des Materialismus wichtig, die Glaubenswahrheiten umfassend zu verstehen. Daher beschränkte er sich auf diese Verse und schrieb seine weiteren Werke in der zweiten Art der Tafsirs.

Ahadith in den Risale-i Nur Werken

In der Risale-i Nur werden jedoch nicht nur Koranverse, sondern auch Ahadith (Aussprüche des Propheten Muhammed) interpretiert oder verwendet, um Koranverse besser zu verstehen. Ahadith zählen nach dem Koran zu der wichtigsten Quelle des Islams und sind daher von großer Bedeutung.

Said Nursi betrachtet die Ahadith als Kommentare und Interpreten des Korans. Er sieht sie als einen zuverlässigen und wahrheitsgemäßen Kommentar des Korans (k.A.c, S. 288), die dem Menschen genügen (k.A.g, S. 19). Laut Nursi sind die Ahadith „eine Quelle des Lebens und die Inspiration der Wahrheit“ (k.A.g, S. 16; 2001, S. 458). Dies zeigt, welche Bedeutung er den Aussprüchen des Propheten Muhammed misst.

Said Nursi gibt die meisten Ahadith, die in seinen Werken vorkommen, in arabischer Sprache wieder (Göktaş, 2011). Wenn man nur die als Hadith gekennzeichneten Stellen, die wortwörtlich zitiert worden sind, zählt, befinden sich 135 verschiedene Ahadith in der Risale-i Nur. Davon sind nach der Klassifizierung der Hadithwissenschaften 48 sahih (authentisch; die höchste Stufe der Zuverlässigkeit einer Überliefererkette), 3 hasan (in sich selbst stimmig und zuverlässig), 35 schwach, 11 sehr schwach, 10 maudu´a (wahrscheinlich gefälscht) und bei 28 befinden sich keine Quellen (Can, 2014, S. 128). Diese Angaben können jedoch täuschen und geben nicht die Realität der Ahadith-Nutzungen Said Nursis wieder.

Sinngemäße Wiedergabe der Ahadith

Denn viele der Ahadith werden in der Risale-i Nur nicht wortwörtlich als Hadith wiedergegeben, sondern finden sich als islamische Grundlagen. Z.B. schreibt Said Nursi: „Denn, aller Mütter Liebe und Zärtlichkeit gleicht nur dem Aufleuchten eines Blitzstrahls der Allerbarmung“ (Nursi, k.A.c, S.53). Dies ist eine Ableitung aus dem Hadith: „Gott teilte die Barmherzigkeit in hundert Teile. Daraus sonderte er für sich neunundneunzig Stücke ab. Er schickte ein verbleibendes Teil auf die Erde. (Er teilte dies auch unter seinen Kreaturen auf – Dschinn, Menschen und Tiere). Dass sich die Geschöpfe barmherzig miteinander verhalten, liegt an dem Anteil dieses einzigen Teils“ (Buhari, Adab, 19, Rikak, 19; Muslim, 17, 2752; Tirmizi, Daavat, 107-108, 3535, 3536).

Solche Stellen, in denen also der Sinn eines Hadith wiedergegeben wird anstatt einer wortwörtlichen Wiedergabe, findet man in der Risale-i Nur zu Hunderten. Badıllı (2007) zählt hierzu 1078 Ahadith, die in den Werken von Said Nursi vorkommen.

Denn Nursi ist der Meinung, dass man sich zunächst anschauen muss, ob ein Hadith erfunden ist oder nicht. Falls ein Hadith nicht erfunden sein sollte, wäre zwar eine wortwörtliche Wiedergabe wichtig, jedoch wäre die Wiedergabe des Sinns wichtiger, um ein Hadith zu verstehen und richtig zu deuten (Bakkal, 2017, S. 55).

Die Wiedergabe des Sinns ist aber nicht nur eine Methode, die in der Risale-i Nur verwendet wird, sondern auch in gewöhnlichen Texten und Werken damals wie heute. Ja sogar während einer mündlichen Kommunikation geben Muslime öfters den Sinn und Inhalt eines Hadith wieder, ohne jedes Mal darauf hinzuweisen, dass dies ein Hadith des Propheten Muhammed ist.

In der Abhandlung über die Wunder des Propheten Muhammed, in der Nursi über 300 Wunder des Propheten aufgezählt, erklärt Nursi, warum in seinen Werken sinngemäße Überlieferungen der Ahadith sind: „In dieser Abhandlung habe ich viele Ehrwürdige Ahadith angeführt. Ich habe aber keine Hadith-Sammlung bei mir. Sollte im Wortlaut der von mir abgefassten Ahadith ein Fehler auftauchen, möge man sie, bitte, verbessern, oder aber, es soll heißen: ´Hadith dem Sinne nach´. Denn nach der vorherrschenden Meinung gilt: ´Es ist erlaubt ein Hadith sinngemäß zu zitieren.´ Das heißt: Man entnimmt dem Hadith den Sinn und kleidet ihn in eigene Worte. In diesem Fall möge man dort, wo der Wortlaut nicht stimmt, ihn als sinngemäßen Hadith betrachten“ (k.A.f, S. 154). Nursi betont hier, dass er keine Hadith-Sammlung bei sich hatte und daher die Ahadith wohlmöglich nicht wortwörtlich wieder geben konnte. Daher solle man diese Stellen als sinngemäße Überlieferung verstehen.

An anderer Stelle erklärt er, warum eine sinngemäße Überlieferung auch theologisch zulässig ist: „Berichte, die uns in Form einer allgemeinen Übereinstimmung überliefert worden sind, sind fest und zuverlässig. Es gibt zwei Arten solcher Überlieferungen. Die eine wird als ´eindeutige´ die andere als eine ´sinngemäße´ Überlieferung bezeichnet. Auch unter den sinngemäßen Überlieferungen gibt es zwei Arten. Die eine wird ´stillschweigende´ genannt, denn sie zeigt sich als eine, die stillschweigend akzeptiert wird. Zum Beispiel: In einer Gemeinschaft erzählt jemand ein Ereignis, das vor den Augen dieser Leute geschehen ist. Widersprechen die Leute seiner Erzählung nicht, nehmen diese mit Stillschweigen auf, so bedeutet dies so viel wie Zustimmung. Wenn nun auch noch diese Gemeinschaft von dem berichteten Ereignis selbst betroffen und zudem bereit ist, zu kritisieren, aber nicht dazu, Falschheit zu decken, vielmehr eine Lüge als besonders hässlich betrachtet, so ist ihr Stillschweigen sicherlich ein starker Beweis für das geschehene Ereignis. Zum Beispiel: Wenn über ein geschehenes Ereignis berichtet wird: ´Mit einem Pfund einer Mahlzeit wurden zweihundert Menschen gesättigt´, jedoch die Berichterstatter auf unterschiedlicher Weise berichten, der eine auf diese, der andere auf jene Art, der dritte wieder auf eine andere Art erzählt, sie alle aber über das gleiche geschehene Ereignis übereinstimmen, so ist also eine solche Erzählung zwar nicht klar umrissen, jedoch dem Inhalt nach stimmig und zuverlässig. Die Unterschiede in der Darstellung sind dabei nicht von Nachteil. Ja, es kommt sogar manchmal vor, dass eine Überlieferung zwar nur einen einzigen Garanten hat, jedoch unter gewissen Bedingungen die Kraft einer allgemeinen Überlieferung in sich trägt. Ja es kommt auch zuweilen vor, dass eine Überlieferung trotz dieses nur einen Garanten infolge noch anderer, zusätzlicher Dinge eine gleiche Zuverlässigkeit in sich trägt“ (Nursi, k.A.f, S. 164ff).

Zudem ist es laut Nursi nicht richtig zu sagen, dass der Sinn eines schwachen Hadith auch automatisch falsch ist (2000, S. 364; vgl. Demir, 2014, S. 111; Balbay, 2022). Hierbei ist er im Konsens mit den allgemeinen islamischen Hadithwissenschaften. Demnach wird ein Hadith dann als schwach bezeichnet, wenn der Hadith zwar gesichert, die Überlieferungskette jedoch schwach ist. Ein schwacher Hadith ist also kein erfundener Hadith, wie man vielleicht aus dem Wort “schwach“ verstehen könnte.

Warum Ahadith, die eine kurze Überlieferungskette haben, trotzdem wichtig sind, erklärt er folgendermaßen: „So besteht denn über die meisten Berichte, die sich auf die Wunder und die Beweise für das Prophetentum des Ehrwürdigen Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, beziehen, eine entweder eindeutige oder sinngemäße oder stillschweigende Überlieferung. Ein Teil von ihnen ist jedoch ´Bericht nur eines Garanten´. Aber auch diesen muss man unter den gegebenen Umständen, nachdem er die Billigung durch das kritische Auge der Kenner der Ahadith erfahren hat, gleichfalls die Zuverlässigkeit einer allgemein anerkannten Überlieferung zusprechen. Es gab in der Tat unter den Kennern der Ahadith Forscherpersönlichkeiten, die man Hafidh nannte, die wenigstens hunderttausend Ahadith auswendig kannten, die fünfzig Jahre ihr Morgengebet mit der Waschung (Wudu) des Nachtgebets verrichteten, welche die Autoren der sechs Hadithsammlungen, angeführt von Bukhari und Muslim waren, Koryphäen der Wissenschaft auf dem Gebiete der Ahadith, Gelehrte, die solche Berichte nur eines Garanten verifiziert und akzeptiert haben, sodass diese in ihrer Zuverlässigkeit nicht hinter den als allgemein anerkannten Überlieferungen zurückbleiben. Denn sie haben sich in der Tat dermaßen auf die Ahadith des Ehrwürdigen Botschafters, mit dem Friede und Segen sei, spezialisiert, wurden so vertraut mit dessen Ausdrucksweise, seinem überragenden Stil und seiner Art, sich zu äußern, dass ihnen daraus die Fähigkeit erwuchs, sobald sie unter hundert Hadith ein ´hinzugefügtes´ entdeckten, zu sagen: ´Es ist hinzugefügt. Das kann kein Hadith sein, kein Wort des Propheten.´ So wiesen sie es zurück. Wie ein Juwelier kannten sie die Perlen der Überlieferung und verwechselten sie nicht mit gewöhnlichen Worten“ (Nursi, k.A.f, 165ff). Demnach wurden auch diese Ahadith von großen Hadithgelehrten auf ihre Authentizität überprüft und dann erst in die Hadithsammlungen übernommen.

Andere bekannte Gelehrte wie Ghazali, Rabbani und Abd al-Qadir al-Dschilani, haben in ihren Werken ebenfalls auf die sinngemäße Wiedergabe von Ahadith zurückgegriffen. Dies war vor allem dem Umstand der Übersetzungen geschuldet, da man nicht wie heute immer die Möglichkeit hatte, an die Urquellen zu kommen. Daher findet man in den Tafsirs viele Ahadith, die man zwar nicht wortwörtlich so in den Urquellen findet, jedoch aber sinngemäß.

Ahmad ibn Hanbal sagte hierzu, dass sie (die islamischen Gelehrten) bei den Ahadith in Bezug auf die Regeln ihre Hände festhalten und fest weben. Wenn es aber um die Tugenden der Taten geht, lassen sie die Finger etwas locker. So verwenden sie auch schwache Ahadith (vgl. Özmen, 2017). Dass heißt, in Bezug auf die Grundprinzipien des Islams, haben die Islamgelehrten pingelig genau Haarspalterei betrieben. Wenn es aber um Tugenden der Taten ging, waren sie recht flexibel. Interessanterweise gilt Ahmad ibn Hanbal als einer der strengsten handelnden in den islamischen Rechtswissenschaften (Fiqh), hier räumt er jedoch eine Flexibilität ein.

Auch war es früher nicht üblich, Quellen in Texten anzugeben. Dies hat sich erst ab dem 20. Jahrhundert etabliert. Zuvor war es so, dass man nicht immer Zugang zu allen Quellen hatte. Und auch wenn die Quellen vorhanden waren, war es nicht üblich, sie wie heutzutage präzise genau anzugeben. In Bezug auf islamische Texte wurde dann zwar geschrieben, dass ein bestimmtes Zitat vom Propheten Muhammed stammt, jedoch ohne Angabe der Quelle. Dies findet man z.B. auch bei Ghazali. Erst jetzt in der Gegenwart werden diesen Werken, so auch bei den Werken von Ghazali und Said Nursi, die Quellen nachträglich hinzugefügt.

Obwohl Nursi die Quellen der von ihm überlieferten Ahadith nicht erwähnt, kann man an Hand anderer Aussagen von ihm sagen, dass er die Ahadith, die in den Büchern der berühmten Hadithgelehrten, insbesondere Bukhari, sowie der Kutub-i Sitte-Autoren überliefert werden, als authentisch akzeptiert (vgl. Bilen, 2019, 2020).

Betonung der Wichtigkeit der Sunna und der Hadith in den Werken von Said Nursi

Said Nursi selbst betonte ebenfalls die Bedeutung der Sunna und der Ahadith. So schreibt er in einer Abhandlung über die Sunna und über den Schaden, der durch Erneuerungen (Bid´a) zu Stande kommt Folgendes: „In der Tat ist die Befolgung der Gelobten Sunna mit Sicherheit sehr wertvoll. Besonders in einer Zeit, wo die ketzerischen Erneuerungen (Bid´a) auf dem Vormarsch sind, ist es ganz besonders wertvoll, dennoch an der Gelobten Sitte (des Propheten) festzuhalten.  […] So ganz unmittelbar der Sunna zu folgen, ruft den Ehrenwerten Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, in Erinnerung und diese Erinnerung wird zu einem Erlebnis, welches sich dann umwandelt in ein Erleben der göttlichen Gegenwart. Sogar die geringfügigste Handlung, ja selbst Gewohnheiten wie Essen, Trinken oder Schlafen, diese gewöhnlichen Tätigkeiten, diese rein natürlichen Handlungen werden, sobald man dabei die Gelobte Sitte beachtet, so verdienstvoll wie ein Gebet und entsprechen dem islamischen Gesetz” (Nursi, k.A.d, S. 96).

Nursi betonte also die Bedeutung der Sunna im Alltag. Die Sunna macht eine gewöhnliche Handlung zu einem Gottesdienst. Jemand, der der Sunna des Propheten so viel Beachtung schenkt, kann natürlich die Ahadith nicht ausblenden. Dies wäre ein großer Widerspruch.

Verteidigung der Ahadith

In vielen Abschnitten der Risale-i Nur geht Said Nursi auf die Bedeutung der Ahadith ein. Dabei nimmt er öfters die Verteidigungsposition ein, wenn Ahadith geleugnet werden (vgl Nursi, k.A.c, S. 593ff). So ist Said Nursi der Meinung, dass, wenn eine Person einen Hadith falsch auslegt oder fehlerhaft praktiziert, man nicht den Hadith leugnen, sondern vielmehr die Person zurechtweisen und so die Ehre des Hadith bewahren sollte (Nursi, 2011, S. 44).

Wenn Ahadith geleugnet werden, führt dies Said Nursi darauf zurück, dass ihr Sinn nicht verstanden wurde: „Da die ehrwürdigen Überlieferungen […] nicht genau verstanden werden, halten ein Teil der Rationalisten sie für schwach (d.h. nicht nachweisbar) oder für widerlegt. Ein Teil von ihnen, dessen Glaube schwach und dessen Ego stark ist, ist bis zur Leugnung gegangen“ (Nursi, k.A.c, S. 593ff).


Daher ist es die Vorgehensweise Nursis, einen Hadith nicht zu leugnen, sondern erst sich selbst zu hinterfragen, ob man z.B. den Hadith auch wirklich richtig verstanden hat. Nursi lädt daher ein, den Kontext eines Hadith zu untersuchen: „Und versuche dann nicht, indem du dir eine Aussage, die du als der Wahrheit widersprechend und mit Sicherheit den Gegebenheiten entgegengesetzt betrachtest, zum Vorwand machst, den Finger der Kritik gegen die Aussagen des Propheten und infolge dessen gegen den Rang der Fehlerlosigkeit des ehrenwerten Gesandten zu erheben! (Sehe dich von einer Verleugnung ab. Ein Fehler) kann nicht auf Seiten der Hadith liegen. Und ist der Fehler gar nicht wirklich (ein Fehler), so ist er auf einen Mangel an Verständnis deinerseits zurückzuführen. […] Wenn du recht und billig denken kannst, solltest du nun nicht mehr aufstehen, um den Ahadith des Propheten, die dein Verstand als der Wahrheit zuwiderlaufend betrachtet, zu widersprechen! Sage: ´Entweder gibt es dazu einen Kommentar oder eine Auslegung, oder sie haben (ganz offensichtlich) einen Sinn´!“ (Nursi, k.A.c, S. 610).


Vor allem bei Ahadith, die von vielen überliefert wurden, hebt Nursi die Glaubwürdigkeit sowohl dieser Ahadith als auch allgemein der Gefährten des Propheten hervor, die diese Ahadith überlieferten: „Von den folgenden Beispielen der Wunder (des Propheten) an Fülle und Segen ist jedes (als Hadith) auf verschiedenen Wegen, ja das eine oder andere sogar auf sechzehn verschiedenen Wegen überliefert worden. Die meisten von ihnen haben sich mitten in einer Gemeinschaft vieler Menschen ereignet. Sie wurden von ehrlichen und angesehenen Menschen einer solchen Gemeinschaft berichtet und überliefert. Zum Beispiel berichtet da einer von ihnen: ´Es haben siebzig Mann von vier handvoll eines Gerichtes gegessen, das man Sa‘ nennt und sind satt geworden.´ Diese siebzig Mann hören seine Worte und leugnen es nicht, d.h. sie bestätigen ihn durch ihr Schweigen. In der Tat hätten die Sahabis, diese geradlinigen, zuverlässigen und wahrheitsliebenden Menschen, in jener Zeit der Wahrhaftigkeit und Geradlinigkeit, jede Spur einer Unwahrhaftigkeit als solche bemerkt, zurückgewiesen und als Lüge erklärt. Die Ereignisse, von denen wir hier berichten wollen, sind jedoch von vielen überliefert worden, während andere sie durch ihr Schweigen bestätigten. Das heißt also, dass ein jedes dieser Ereignisse so sicher ist wie eine in ihrer Bedeutung allgemeine Überlieferung“ (k.A.f., S. 199ff).

An anderer Stelle betont er dies noch einmal: „Es ist ja bekannt, dass sieben, acht Schnüre miteinander verflochten ein starkes Seil bilden. Dementsprechend sind solche Baum-Wunder, die von diesen so berühmten unter den getreuen Sahabis durch so verschiedenen Quellen überliefert worden sind, ebenso beweiskräftig wie eine sinngemäße, oder sogar eine tatsächliche allgemeine Übereinstimmung. Sie erhalten in der Tat die Form einer allgemeinen Überlieferung, wenn sie von den Sahabis in die Hände der Tabiine übergehen. Besonders die Zuverlässigen Bücher, wie Bukhari, Muslim, Ibn Hibban und Tirmidhi bildeten und bewahrten eine Kette, die bis in die Zeit der Sahabis zurückreicht, so zuverlässig, dass in ihnen, z.B. in Bukhari einen Bericht zu finden, gleichbedeutend ist, ihn direkt von den Sahabis zu hören“ (k.A.f., S. 230ff). Laut Nursi sind die Gefährten des Propheten Muhammed und die großen bekannten Hadithsammler zuverlässige Menschen, die bei den Ahadith strikte Kriterien aufstellten und diese einhielten.

Die Ahadith und die Glaubwürdigkeit der Hadithwerke verteidigte er auch vor Gericht während seiner Verbannungen: „Eine Auslegung zu geben, bedeutet, dass der der Hadith unterlegte Sinn beabsichtigt, möglich oder wahrscheinlich sein kann. Nach den Regeln der Logik ist es nur möglich, eine Bedeutung auszuschließen, wenn man ihre Unmöglichkeit beweisen kann. Doch gerade so wie seine Bedeutung unseren Augen erkennbar geworden ist und sich als wahr herausgestellt hat, so hat sich auch ganz offensichtlich auf der Hinweisebene den Augen unseres Jahrhunderts ein Aspekt der Universalität dieser Hadith wie ein wundersamer Blitz als Kunde aus dem Unsichtbaren gezeigt und kann deshalb in gar keiner Weise abgestritten oder zurückgewiesen werden. Der Liste entsprechend wurde gleichfalls bewiesen, dass die Behauptung des Staatsanwalts, alle Überlieferungen seien entweder hinzugefügt oder schwach, auf dreifache Weise falsch ist. Erstens: Imam Ahmed Ibn Hanbal, der eine Million Ahadith auswendig wusste und Imam Bukhari, der fünfhunderttausend Ahadith auswendig kannte, haben (eine solche Behauptung) nie gewagt. Doch obwohl sich ihre Widerlegung nicht beweisen lässt, (der Staatsanwalt) auch gar nicht die Bücher aller Ahadith gesehen hat, hat doch der überwiegende Teil der Umma in jedem Jahrhundert erwartet, dass die Bedeutungen der Überlieferungen in Erscheinung treten oder ein einzelner Aspekt von ihnen sichtbar werden möge und so hat sich die Umma (diesen Überlieferungen bis zum Standpunkt) einer allgemeinen Akzeptanz angenähert. Eine Reihe von Aspekten und Beispielen, welche vollkommen richtig sind, sind in Erscheinung getreten und sichtbar geworden. Diese Überlieferungen zur Gänze zu leugnen, ist daher in zehnfacher Hinsicht ein Fehler. Zweiter Aspekt: Mit der Bezeichnung ´hinzugefügt´ soll gesagt sein, dass eine Überlieferung im Gegensatz zu einem Hadith nicht urkundlich überliefert ist. Damit soll nicht gesagt sein, dass sie auch inhaltlich falsch ist. Da nun einmal die Umma und die Kenner der Wahrheit und die, welche ihnen die Wahrheit enthüllt haben, ein Teil der Schüler der Ahadith und ihre großen Exegeten, (auch diese Überlieferungen) anerkannt hat und nun darauf wartet, dass sich ereignen wird, was sie beinhalten, so enthalten diese Überlieferungen mit Sicherheit Wahrheiten, die Sprichwörtern gleich, jedermann etwas angehen“ (Nursi, k.A.a. S. 714ff).

Fazit

In der islamischen Geschichte gab es schon immer zwei Arten von Tafsirs. In der ersten Art wurde jeder Koranvers der Reihe nach kommentiert und interpretiert. In der zweiten Art wurden nur bestimmte Koranverse interpretiert.

Said Nursi schrieb zunächst ein Werk, basierend auf der ersten Art der Tafsirs. Danach widmete er sich jedoch auf Grund des Bedarfs nur den Glaubenswahrheiten und kommentierte Verse, die sich mit diesen Themen beschäftigten.

Bei der Verwendung der Ahadith sehen wir bei Nursi wenig wortwörtliche (135), jedoch viele sinngemäße (1078) Wiedergabe der Aussprüche des Propheten Muhammed.

Zudem verteidigt Nursi in seinen Werken die Traditionen des Propheten Muhammed, seine Aussprüche und die Gelehrten und ihre Hadithsammlungen.

Abschließend kann daher gesagt werden, dass sich Said Nursi intensiv mit Koranversen und Ahadith beschäftigte und bestrebt darin war, diese zeitgemäß zu interpretieren.

Literatur:

  • Badıllı A.: Risale-i Nur’un Kudsi Kaynakları. Istanbul: Envar Neşriyat, 2007
  • Bakkal A.: Bediüzzaman Said Nursi´nin Hadisleri Yorumlama Metodu. In: Katre, Hadis özel sayısı, Nr. 4, 2017, S. 27-57
  • Balbay M.: Mustafa Öztoprak. Bediüzzaman Said Nursi´nin Hadis Anlayışı. In: Katre, Nr. 14, 2022, S. 201-208
  • Bilen M.: Risale-i Nur´da hadis kabul kriterleri. In: İlmi Araştırmalar Dergisi, Volume 11, Nr. 2 (24), 1999, S. 428-439
  • Bilen M.: Bediüzzaman Said Nursi ve Hadis. Siyer Yayınları: Istanbul, 2020
  • Buhari: Sahih Bukhari. Istanbul: Çağrı Yayınları, 1992
  • Can M. A.: Said-i Nursi’nin Risale-i Nur Külliyat’ında Geçen Hadislerin Tahrîci ve Değerlendirilmesi. Yüksek Lisans Tezi, Konya, 2014
  • Demir B.: Zayıf Hadisle Amel ve Said Nursi´nin yaklaşımı. In: Katre, Hadis özel sayısı, Nr. 4, 2017, S. 95-114
  • Göktaş Ü.: Arap Dili ve Belagatı Açısından Bediuzzaman Said Nursî. Yüksek Lisans Tezi, Erzurum, 2011
  • Muslim: Sahih-i Muslim. Istanbul: Irfan Yayınevi, 2014
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  • Nursi S.: Mektubat. Yeni Asya: Istanbul, 2001
  • Nursi S.: Diskussionen. Yeni Asya: Köln, 2011
  • Nursi S.: Strahlen. VFJH: Köln, k.A.a
  • Nursi S.: Sein Leben und Werk. VFJH: Köln, k.A.b
  • Nursi S.: Worte. VFJH: Köln, k.A.c
  • Nursi S.: Blitze. VFJH: Köln, k.A.d
  • Nursi S.: Der Koran – Ein Zeichen des Wunders. VFJH: Köln, k.A.e
  • Nursi S.: Briefe. VFJH: Köln, k.A.f
  • Nursi S.: Ärztliches Rezept. VFJH: Köln, k.A.g
  • Özmen R.: Ahmed B. Hanbel ve zayıf hadis´le amel meselesi. In: Yüzüncü Yıl Üniversitesi İlahiyat Fakültesi Dergisi 5 / 6, Juni 2017, S. 1-15
  • Paksu O. A.: Bedîuzzaman ve İşârâtu’l-İ’câz Tefsiri. Yüksek Lisans Tezi, Sakarya, 1997
  • Tirmizi: Sünenü’t-Tirmidhi. Istanbul: Çağrı Yayınları, 1981

 

Cemil Sahinöz, Islamische Zeitung, November 2022

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