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Die Juden im Osmanischen Reich und in muslimischen Gesellschaften

 

Schon seit dem 12. Jhr. war das Osmanische Reich ein wichtiger Anziehungspunkt für verschiedene Gelehrte. Die Weltoffenheit der Khalifen zog Menschen aller Religionen nach Cordoba (im heutigen Spanien). Ab Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte sich daher eine multireligiöse Gesellschaft.

 

Andalusien (auch im heutigen Spanien) wurde dabei zur Hochburg der muslimischen Wissenschaftler. Hier wurden viele Instrumente erfunden, die wir heute noch nutzen oder weiterentwickelt haben. Muslime machen große Fortschritte besonders in der Medizin. Jüdische Ärzte und Gelehrte übernahmen dieses Wissen und transportierten es nach ganz Europa.

 

Als im 13. Jhr. Spanien erobert wurde, mussten viele Muslime Europa verlassen. Moscheen wurden in Spanien entweder zerstört oder umfunktionalisiert. Als Ferdinand der Dritte regierte, waren auch Juden nicht mehr sicher im Land. Zunächst versuchte man sie zu missionieren. Als man hiermit jedoch kein Erfolg hatte, verbreitete sich den Judenhass und es gab vermehrt Briefe gegen Juden. Schließlich mussten auch Juden ca. 1492 Spanien verlassen.

 

Tausende Juden flohen damals nach Istanbul, eins der Zentren des Osmanischen Reiches. In Istanbul gab es eine rege Zusammenarbeit von Juden und dem Sultan. Das Osmanische Reich nahm sich vor, verfolgte Juden zu retten. Mit Schiffen wurden Juden aus Europa gerettet. In Istanbul konnte sie ohne Furcht und Angst leben.

 

In Istanbul lebten Muslime und Juden friedlich miteinander, so wie sie es eins in Spanien taten. So wurde in Istanbul auch eine Synagoge mit Schiff gebaut, als Zeichen der Flucht aus Spanien und der Errettung durch Schiffe des Osmanischen Reiches. Diese Synagoge ist weiterhin in Istanbul tätig.

 

In Istanbul wurde zudem die Thora ins Spanische übersetzt, damit es die spanischen Juden, die zwangskonvertieren mussten, lesen konnten. So wollte man die jüdische Theologie aufrechterhalten.

 

In Istanbul lebten Juden uneingeschränkt und genossen eine hohe Religionsfreiheit. Weder theologische noch politische Konflikte gab es zwischen den Religionsgemeinschaften. So wurde Istanbul immer mehr zu einem Anziehungspunkt für Juden auf der ganzen Welt. Im 16. Jhr. gab es in Istanbul sogar die größte jüdische Gemeinde weltweit.

 

Thomas Bauer schreibt über diese Zeit der Juden im Osmanischen Reich und über den Unterschied der christlichen und muslimischen Welt den Juden gegenüber folgendes: „Juden lebten seit antiker Zeit sowohl in christlichen als auch in islamischen Gesellschaften. Ihre Wahrnehmung und ihre soziale Stellung unterscheiden sich in beiden Welten jedoch in mehrfacher Hinsicht. Erstens waren Juden in der christlichen Welt die einzigen überhaupt geduldeten Nichtchristen, während religiöse Pluralität in der islamischen Welt bis in die jüngste Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit darstellte. Juden, Christen, Sabier (die einen heidnischen Gestirnkult pflegten), Zoroastrier, Hindus und andere waren nicht nur geduldet, sondern bildeten in vielen Gegenden die Mehrheit. Noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs war mehr als ein Viertel der Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Türkei nicht muslimisch. Nicht der Islam, sondern die westliche Ideologie des Nationalismus führte dazu, dass dieser Anteil heute auf unter 1% zurückgegangen ist. Die Existenz von Nichtmuslimen bildete also in der islamischen Welt eine Selbstverständlichkeit, während Nichtchristen in der christlichen Welt sich auf Juden beschränkten, deren Existenz als permanente Herausforderung begriffen wurde. Der zweite wesentliche Unterschied zwischen dem christlichen Europa und der islamischen Welt im Umgang mit den Juden betraf deren rechtliche Absicherung. Durch ihre Anerkennung als ḏimmīs waren Nichtmuslime zwar nicht gleichberechtigt, konnten sich aber selbst in den härtesten Zeiten auf einen rechtlichen Mindeststatus und auf ein hohes Maß an Autonomie berufen, während Juden in Europa weit mehr der Willkür ausgesetzt waren. Entsprechend bildeten Verfolgungen in der islamischen Welt absolute Ausnahmeerscheinungen, in Europa hingegen stellten Judenpogrome eine Konstante dar. Viele vermeintliche oder tatsächliche Einschränkungen, die der ḏimma-Status mit sich brachte, wurden überdies nie oder selten angewandt. So sind alle jüdischen Gemeinden, die zur Zeit der islamischen Übernahme Palästinas und Syriens existierten, unbehelligt geblieben. Als von den neuen Herrschern die Stadt Ramla als Verwaltungssitz Palästinas gegründet wurde, ließen sich in dieser islamischen Stadt bald auch Juden nieder und erbauten eine Synagoge. Bis zum Niedergang der Stadt im elften Jahrhundert existierte in Ramla eine große und blühende jüdische Gemeinde. Ein wichtiger dritter Unterschied besteht schließlich darin, dass Juden in der islamischen Welt keinerlei Berufsbeschränkungen (sieht man vom Militär und höchsten Staatsämtern ab) unterlagen, während auch in dieser Hinsicht ihre Situation in Europa von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort stark variierte. Schließlich sei noch angemerkt, dass zum Islam konvertierte Juden alle Chancen und Privilegien von Altmuslimen genossen. Ein Misstrauen, wie es ihnen in Europa häufig entgegenschlug, war der islamischen Welt fremd“ (Bauer, 2018, S.49-51).

 

David Wasserstein, Professor für jüdische Geschichte, argumentiert sogar, dass der Islam die Juden gerettet hat. Wasserstein schreibt, dass die Juden im späten Altertum unter der christlichen Herrschaft fast ausgestorben wären, weil sie ihre Sprache, Kultur und Rechte verloren hatten. Die islamische Eroberung gab ihnen jedoch eine neue Chance, zu überleben und zu gedeihen, indem sie ihnen rechtliche und religiöse Anerkennung, wirtschaftliche und soziale Freiheiten und sprachliche und kulturelle Bedingungen bot. Dies ermöglichte laut Wasserstein eine große Renaissance des Judentums und der Juden. Als Beispiele für die positive Rolle, die die Muslime für die Juden spielten, zählt er z.B. die Aufnahme der spanischen Juden nach ihrer Vertreibung im Jahr 1492, die Förderung der jüdischen Gelehrsamkeit und die Schaffung einer kosmopolitischen und toleranten Gesellschaft (Wasserstein, 2016; vgl. Darke, 2022).

 

Der Osmanische Sultan Abdulmadschid Han (1823-1861) sagte eins: „Ich würde meine Krone und meinen Thron geben, aber nicht die Menschen, die in meinem Reich Zuflucht suchen.“ Hiermit betonte er, dass die Menschen, die in seinem Reich Zuflucht suchten, mehr wert waren als seine eigene Krone und sein Thron. Er war bereit, seine Macht und seinen Reichtum aufzugeben, um den Menschen zu helfen, die in Not waren.

 

Der Kontext des Zitats war die zunehmende Verfolgung von Juden und Christen im späten 19. Jahrhundert. Tausende von Menschen flohen in das Osmanische Reich. Sultan Abdulmadschid Han gewährte ihnen Asyl und ermöglichte ihnen, sich im Reich niederzulassen. Er betonte, dass das Osmanische Reich ein Ort der Zuflucht für Menschen aus aller Welt sein sollte, unabhängig von ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Er war der Ansicht, dass das Osmanische Reich eine Verantwortung gegenüber den verfolgten Menschen hatte und wollte, dass das Reich ein Ort der Sicherheit und des Schutzes für alle sei.

In den muslimischen Gesellschaften gab es daher nie Antisemitismus. Vielmehr sind die Konflikte der letzten Jahrzehnte politische Kämpfe als religiöse oder theologische Auseinandersetzungen.

 

 

Dr. Cemil Sahinöz

Cemil.Sahinoez@gmx.de

 

Literatur

 

·         Bauer T.: Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient. Beck: München, 2018

·         Darke D.: What did the Ottoman Empire ever do for us? Quite a lot, in fact. In: The Jewish Chronicle, 21.10.2022

·         Wasserstein D.: So, what did the Muslims do for the Jews? In: The Jewish Chronicle, 24.11.2016

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