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Zweiter Blitz - Bittgebet von Hasret Eyyub

 

 

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen; ...als er seinen Herrn anrief: Unheil hat mich heimgesucht. Doch Du bist der über alles Barmherzige.« (Sure 21, 83)

Dieses Bittgebet von Hasret Eyyub (Hiob – Friede sei mit ihm!) ist oft erprobt worden, und hat sich als wirksam erwiesen. Auch wir sollten, wenn wir diesen Qur´anvers verwenden, dieses Gebet sprechen:

 

 

»Unheil hat mich heimgesucht. Doch Du bist der über alles Barmherzige.« (Sure 21, 83)

Im wesentlichen verhält es sich mit der bekannten Geschichte von Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm) folgendermaßen:

Während er lange Zeit zahllose Wunden und blaue Flecken trug, vergegenwärtigte er sich den Lohn für seine Leiden und ertrug sie mit vollkommener Geduld. Später aber fürchtete er, dass er nicht länger mehr zu Dienst und Anbetung würde fähig sein, weil sich in seinen Wunden Würmer anzusiedeln begannen und ihn an Herz und Zunge quälten, der Stätte des Gedenkens und der Erkenntnis Allahs. Deshalb sprach er sein Bittgebet nicht um seiner eigenen Ruhe willen, sondern für seinen Dienst und die Anbetung Gottes: »Oh Herr! Das Übel beunruhigt mich. Es beeinträchtigt meine Zunge, wenn ich Deiner gedenke, und mein Herz, wenn ich Dir diene und Dich anbete.« Und Gott, der Gerechte nahm dieses aufrichtige, reine, selbstlose, um Allahs willen verrichtete Gebet in wunderbarster Weise an. Er gewährte ihm vollkommene Gesundheit und erwies ihm alle Arten Seiner Barmherzigkeit. Dieser »Blitz« umfasst fünf Anmerkungen.

 

Erste Anmerkung: Im Gegensatz zu den sichtbaren Wunden der Krankheit von Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm) haben wir unsichtbare Krankheiten der Seele und des Herzens. Wenn unser Inneres nach außen und unser Äußeres nach innen gewendet würde, erschienen wir stärker verletzt und erkrankt als Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm). Denn jede Sünde, die wir begehen und jeder Zweifel, der uns kommt, fügt unserem Herzen Wunden zu. Die Wunden von Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm) bedrohten nur sein kurzes irdisches Leben. Unsere unsichtbaren Wunden bedrohen unser ganzes, langes, ewiges Leben. Wir bedürfen des Bittgebetes von Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm) tausend Mal mehr als er. Gerade so wie die Würmer, die sich in Hasrets Wunden anzusiedeln begannen, ihm Herz und Zunge beschwerten, genauso werden auch die Wunden, die uns die Sünde schlägt, werden auch die Einflüsterungen und die Zweifel, die sich in diesen Wunden einnisten – Gott bewahre! – das Innere unseres Herzens, die Stätte des Glaubens, beschweren und den Glauben belasten. Auch werden sie die Zunge beeinträchtigten, die den Glauben zum Ausdruck bringt, und ihr die geistige Freude zu rauben suchen, um sie vom Gottesgedenken ab und zum Schweigen zu bringen.

Ja, sobald die Sünde einmal in das Herz eingedrungen ist, schwärzt, verdunkelt und verhärtet sie es, bis das Licht des Glaubens ausgelöscht ist. In jeder Sünde liegt ein Weg zum Unglauben. Wird die Sünde nicht gleich durch das Verlangen nach Vergebung gelöscht, wächst sie von einem Wurm zur Schlange, die am Herzen nagt.

Beispielsweise wird ein Mann, der heimlich eine schändliche Sünde begeht, die Entehrung fürchten, die daraus entsteht, dass andere davon erfahren. Darum fällt es ihm auch sehr schwer, die Existenz von Engeln und anderen geistigen Wesen anzuerkennen. Und schon bei einem geringen Anlass möchte er sie leugnen. Gleichermaßen wird jemand, der eine große Sünde begeht, welche Höllenstrafen nach sich zieht, das Nichtvorhandensein der Hölle aus ganzer Seele wünschen und einen geringen Anlass oder Zweifel nutzen, um die Hölle zu leugnen, wenn er nicht zum Schutz den Schild der Vergebung aufnimmt.

Ebenso wird jemand, der die fünf Gebete nicht verrichtet und seine Verpflichtung zu Dienst und Anbetung bricht, in Bedrängnis geraten, gerade so, als habe er eine der Pflichten gegenüber seinem Direktor vernachlässigt. Seine Vernachlässigung der fünf Gebete, entgegen den wiederholten Weisungen des Königs der Ewigkeiten, wird ihn sehr bedrücken und er wird aus diesem Gefühl der Bedrängnis heraus aus tiefstem Inneren wünschen: »Ach, gäbe es doch diese Geschöpfespflicht zur Anbetung nicht!« Und aus diesem Wunsch wird dann der Wunsch erwachsen, Allah zu leugnen, worunter man bereits ein Gefühl der Feindschaft Ihm gegenüber ahnen kann. Kommt dann ein Zweifel an der Existenz Gottes in sein Herz, wird er versuchen, diesen Zweifel als einen schlüssigen Beweis zu etikettieren. Vor ihm öffnet sich das Tor zu einem furchtbaren Abgrund. Der Ärmste weiß nicht, dass er sich durch seinen Unglauben im Gegensatz zu der nur geringen Mühe seiner Geschöpfespflicht millionenfach fürchterlichen Strapazen ausgesetzt hat. Er flieht vor dem Stich der Mücke und liefert sich dem Biss der Schlange aus. Und noch zahlreiche andere Beispiele könnten mit den drei obigen aufgeführt werden, um den Sinn der Worte zu verdeutlichen:

 

 

»Wahrlich, ihre Herzen sind wie mit Rost befleckt.« (Sure 83, 14)

Zweite Anmerkung: Wie hinsichtlich der Bedeutung von Schicksal und Glaube schon im »Sechsundzwanzigsten Wort« erläutert wurde, haben die Menschen aus den drei folgenden Gründen kein Recht, sich über Unglück und Krankheit zu beschweren:

 

Erster Grund: Gott der Gerechte hat dem Menschen den Körper angezogen wie ein Kleid und macht an ihm Seine Kunst sichtbar. Er hat den Menschen zu einem Modell gemacht, an dem Er dieses Kleid – des Menschen Körper – zuschneidet, umformt und ändert, um die Erscheinungen Seiner verschiedenen Namen zu zeigen. Und ebenso wie der Name »Heiler« die Existenz von Krankheit voraussetzt, bedingt auch der Name »Versorger« das Vorhandensein des Hungers, und so auch die anderen Namen in dementsprechendem Sinn.

 

 

»Der Eigentümer des Eigentums verfügt über Sein Eigentum, wie Er will.«

Zweiter Grund: Durch Unglück und Krankheit wird das Leben geläutert, vervollkommnet, gestärkt, entfaltet, bringt seine Frucht, erreicht Vollkommenheit, erfüllt seine Lebensaufgabe... Ein Leben, das man eintönig auf seinem Ruhelager verbringt, gleicht weniger dem absolut Guten des Seins als vielmehr dem absolut Bösen des Nichtseins und neigt dazu hin.

 

Dritter Grund: Dieses unser diesseitiges Haus ist ein Ort der Prüfung, ein Dienstgebäude und nicht ein Ort für Vergnügungen, Lohn und Belohnung. Und weil es ein Dienstgebäude ist und eine Stätte der Anbetung, entsprechen Krankheiten und Unglücksfälle – soweit sie nicht den Glauben beeinträchtigen und in Geduld ertragen werden – dem Dienst und der Anbetung, ja, unterstützen noch darin. Und weil sie jede Stunde der Anbetung zu einem ganzen Tag machen, sollte man dafür dankbar sein, statt zu klagen. Es gibt ja zweierlei Arten der Anbetung; die positive und die negative. Was mit positiver Anbetung gemeint ist, ist bekannt. Die negative Art aber ist die, das der Mensch, wenn ihn Unglück oder Krankheit trifft, seine Schwäche und Hilflosigkeit verspürt, sich seinem barmherzigen Herrn Zuflucht suchend zuwendet, Seiner gedenkt, zu Ihm fleht und Ihm solcher Art eine aufrichtige Anbetung darbringt. In diese Anbetung vermag sich keine Heuchelei einzuschleichen, sie ist rein. Wenn man dann geduldig ist, an den Lohn der Plage denkt und dafür dankt, so wird jede Stunde wie ein ganzer Tag der Anbetung gelten. Das kurze Leben wird ein langes Leben. Manchmal gilt sogar eine einzige Minute der Anbetung so viel wie ein ganzer Tag. Einmal war ich sehr besorgt wegen einer furchtbaren Krankheit, die einen meiner Mitbrüder namens Muhadschir Hafis Ahmet befallen hatte. Da wurde ich in meinem Herzen ermahnt: »Beglückwünsche ihn! Für ihn gilt jede Minute wie ein Tag der Anbetung.« Und so ertrug er denn auch seine Krankheit mit Geduld und Dankbarkeit.

 

Dritte Anmerkung: Wie wir schon verschiedentlich erklärt haben, wird jeder Mensch, der über sein vergangenes Leben nachdenkt, laut oder in seinem Herzen »ach!« oder »oh!« ausrufen, d.h., er wird es entweder bedauern oder »Elhamdu-li’llah!« sagen. Bedauern erwächst aus den Schmerzen, die von dem Ende früherer Freuden herrühren, die man aufgeben musste. Denn am Ende der Freude steht der Schmerz. Manchmal zieht eine vorübergehende Freude einen beständigen Schmerz nach sich. Darüber nachzudenken bedeutet einen Schmerz zu eröffnen (gleich einer Wunde), aus dem Bedauern (wie Eiter) fließt. Die dauernde geistige Freude jedoch, welche nach dem Aufhören des vorübergehenden Kummers folgt, den er in seinem bisherigen Leben erfahren hat, lässt den Menschen sagen: »Elhamdu-li’llah!«. Wenn der Mensch über diese natürliche Haltung hinaus nun noch an den Lohn – die Frucht seines Leidens – denkt, die ihn im Jenseits erwartet, und daran, dass sein kurzes Leben infolge der Leiden als ein langes Leben gilt, so wird er nicht nur geduldig sondern auch dankbar sein und sagen:

 

 

»Lob sei Allah für jeden Umstand, in dem auch immer ich mich befinde, wenn nur nicht in dem des Unglaubens oder des Irrtums.«

Ein bekanntes Sprichwort sagt: »Das Unglück währt lange«. Ja, Leidenszeit ist lange Zeit; aber nicht, weil sie quälend lange währt, wie man gewöhnlich glaubt, sondern weil sie die gleiche Frucht trägt wie ein langes Leben.

 

Vierte Anmerkung: Wie wir schon im Ersten Kapitel des »Einundzwanzigsten Wortes« erklärt haben, ist die Kraft der Geduld, die Gott der Gerechte dem Menschen verliehen hat, ausreichend, um jedes Unglück zu ertragen, wenn sie nicht für leere Befürchtungen verschwendet wird. Aber der Mensch verschwendet unter dem Druck leerer Befürchtungen die Kraft seiner Geduld für die Beschäftigung mit der Vergangenheit und der Zukunft, bildet sich ein, dieses vorübergehende Leben sei von ewiger Dauer, verliert die Geduld und hat keine Kraft mehr, gegenwärtiges Unglück noch länger zu ertragen. Und so beginnt er zu klagen. Es ist, als klage er – Gott verhüte es! – Ihn, den Gerechten, vor den Menschen an. In völlig ungerechtfertigter, ja, geradezu wahnsinniger Weise beklagt er sich und beweist seine Ungeduld. Denn die Ruhe am Ende jeden Tages bleibt, auch wenn er unglücklich war; wenn der Schmerz vergangen ist, bleibt mit seinem Entschwinden Freude zurück; wenn die Sorge vorüber ist, bleibt der Lohn. Darum sollte man sich nicht beklagen, sondern freudig danken, nicht mit allem hadern, sondern zufrieden sein. Denn das vergängliche Leben, das vergangen ist, wird um des Unglücks willen einem ewigen, gesegneten Leben gleich. Sich in schwermütigen Erinnerungen an vergangene Schmerzen zu verlieren und einen Teil seiner Kraft auszuharren, darauf zu verschwenden, ist Narrheit. Und was die kommenden Tage betrifft, so sind sie noch nicht gekommen. Schon jetzt an Krankheit und Unglück künftiger Tage zu denken, Ungeduld zu zeigen und zu klagen ist Dummheit. »Morgen, übermorgen werde ich Hunger haben, Durst haben«, zu sagen und dann heute immerzu Wasser zu trinken, Brot zu essen, was für eine närrische Dummheit ist das! Desgleichen ist es eine solche Torheit, wollte man schon jetzt über kommender Tage Krankheiten und Leiden nachdenken, die es im Augenblick noch gar nicht gibt, sich darüber Sorgen machen, ungeduldig sein, sich selbst gegenüber entgegen aller Notwendigkeit so grausam sein, dass sie jedes Recht auf Barmherzigkeit und Mitleid aufhebt.

 

Kurz gesagt: So, wie Dankbarkeit die göttlichen Gnadengaben vermehrt, so vermehrt Klagen das Leid und macht jeden Anspruch auf Barmherzigkeit hinfällig.

Im ersten Jahr des ersten Weltkrieges wurde ein frommer Mann aus Erzurum von einer schrecklichen Krankheit befallen. Ich besuchte ihn und er beklagte sich bitterlich: »Seit hundert Tagen habe ich nicht mehr geschlafen und keine Nacht ein Auge zu bekommen.« Ich war sehr bekümmert. Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich sagte:

»Bruder, diese hundert qualvollen Tage sind nun wie hundert Tage voll Glück. Denke nicht mehr an sie und beklage dich nicht. Betrachte sie vielmehr mit Dankbarkeit. Und was die kommenden Tage betrifft, so sind sie noch nicht gekommen. Vertraue auf die Gnade deines Herrn in der Überfülle Seines Erbarmens. Weine nicht, bevor man dich schlägt. Fürchte dich nicht vor dem Nichts. Verleihe nicht dem Nichtsein den Anstrich des Seins. Bedenke die jetzige Stunde. Deine Kraft der Geduld reicht für diese Stunde. Handle nicht wie ein wahnsinniger Kommandant, dem zu seiner Rechten der linke Flügel einer feindlichen Streitkraft zu Hilfe kam und ihn mit frischen Kräften unterstützte, und der, noch bevor der Feind mit dessen rechtem Flügel an seiner linken Seite angegriffen hatte, so verfährt, dass er seine Streitkraft von der Mitte aus nach rechts und links ausschwärmen lässt und so seine Mitte schwächt, sodass der Feind ihn mit einer nur unbedeutenden Streitkraft vernichtend in der Mitte schlägt! Handle nicht so wie er, mein Bruder! Konzentriere alle deine Kräfte auf diese Stunde! Denke an die Barmherzigkeit Gottes und den Lohn im Jenseits und daran, wie dein kurzes vergängliches Leben eine lange und dauerhafte Form erhält! Statt dich so bitter zu beklagen, sei froh und dankbar!«

Sehr erleichtert sagte er: »Elhamdu-li’llah« Meine Krankheit ist nur noch ein Zehntel dessen, was sie vorher war.«

 

Fünfte Anmerkung: Dieser Punkt umfasst drei Dinge.

 

Zum Ersten: Ein Unglück, das wirklich ein Unglück ist, das Schaden bringt, ist ein Unglück, das dem Glauben Schaden bringt. Wenn ein Unglück dem Glauben schadet, soll man immer zum Thron Gottes seine Zuflucht nehmen und zu Ihm um Hilfe rufen. Ein Unglück aber, das den Glauben nicht berührt, ist gar kein Unglück, wenn man es vom Standpunkt der Wahrheit betrachtet. Manchmal handelt es sich dabei um eine Warnung der Barmherzigkeit (Gottes). Wenn ein Hirte einen Stein unter seine Schafe wirft, die eine fremde Weide betreten wollen, spüren sie, dass dies eine Warnung ist, die sie davor bewahren soll, Schaden anzurichten. So kehren sie willig um.

Genauso ist vieles von dem, was äußerlich betrachtet ein Unglück wäre, teils eine Warnung Gottes, teils eine Ermahnung, teils eine Buße für die Sünden; manch ein Unglück rüttelt den Menschen in seiner Unachtsamkeit auf, schenkt ihm eine Art Bewusstsein göttlicher Gegenwart. Was jene Art von Unglück betrifft, das wir Krankheit nennen, so handelt es sich dabei nicht um ein Unglück, sondern vielmehr, wie schon gesagt, um eine besondere Zuwendung Allahs, die ihn reinigt. Nach einer Überlieferung heißt es: »So, wie man von einem Baum die reifen Früchte herunterschüttelt, so fallen von einem Kranken die Sünden ab, wenn er vom Fieber geschüttelt wird.«

Hasret Eyyub (Friede sei mit ihm) hat in seinem Bittgebet, um des Dienstes und der Anbetung willen, um seine Genesung gebetet und nicht um seiner eigenen Bequemlichkeit willen, als ihm sein Herzensgebet und Gottesgedenken schwer wurden. Auch unsere Intention bei diesem Bittgebet sollte in erster Linie die Heilung unserer inneren, seelischen Wunden sein, die von der Sünde herrühren. Wegen körperlicher Krankheiten sollten wir nur dann (zu Gott) unsere Zuflucht nehmen, wenn sie uns Dienst und Anbetung erschweren, aber nicht indem wir Einwände erheben und anklagen, sondern mit einer demütigen Bitte um Hilfe sollten wir unsere Zuflucht (bei Gott) suchen. Wenn wir also Seine Herrschaft über uns angenommen haben, müssen wir auch die Dinge annehmen, die uns von Seiner Herrschaft gegeben werden. Einwände gegen Schicksal und Bestimmung zu erheben, gewissermaßen »ach« und »oh weh« sagend anzuklagen und mit dem Schicksal zu hadern, hieße Seine Barmherzigkeit zu beschuldigen. »Wer mit dem Schicksal hadert, zerbricht sich seinen Kopf auf einem Amboss. Wer die Barmherzigkeit Gottes beschuldigt, bleibt von der Barmherzigkeit ausgeschlossen.« Wer seine schon gebrochene Hand dazu benutzt, um mit dieser Hand Rache zu nehmen, zerbricht sie ja noch mehr. Ebenso verdoppelt ein Mensch, der – von einem Unglück betroffen – mit Protest, Anklage und Angst reagiert, sein Unglück.

Zum Zweiten: Materielles Unglück wächst, wenn man es als groß betrachtet, und wird klein, wenn man es als klein ansieht. Zum Beispiel: Ein Mensch hat in der Nacht einen Traum. Misst er ihm eine Bedeutung bei, bläht er sich auf; misst er ihm keine bei, löst er sich auf. Will man einen Bienenschwarm abwehren, so wird er nur noch angriffslustiger, während er sich zerstreut, wenn man ihn nicht beachtet. Auch materielles Unglück wächst, wenn man es als groß und bedeutsam ansieht. Es dringt mit der Angst in den Körper ein, nistet sich im Herzen ein, verursacht so ein seelisches Unglück, nährt sich daraus, pflanzt sich fort. Wird aber die Angst durch Übereinstimmung mit dem Schicksal und Gottvertrauen zum Erlöschen gebracht, so wie man einen Baum von seiner Wurzel trennt, dann wird auch das Unglück leichter und leichter werden, so wie ein Baum vertrocknet, dessen Wurzeln abgetrennt wurden, bis man es schließlich nicht mehr als Unglück empfindet. Um dieser Wahrheit Ausdruck zu verleihen, habe ich einmal das folgende gesagt:

 

Lass du Ärmster deine Klagen! Vertraue auf Gott vor dem Unglück! Denn wisse, dass ein Fehler ist, zu klagen, sich im Unglück noch zu plagen.

Hast du gefunden den, der dich plagte, wisse: Glück und Freundschaft und ein Geschenk umhüllt dir die Plage.

So lass denn nun dein Klagen! Danke! Es lächeln die Rosen. Es freut sich die Nachtigall.

Findest du Ihn nicht, dann wisse, dass die Welt liegt in Qualen, Vernichtung in ihr, Zerstörung in ihr.

Es droht dir eine Welt voll Unglück ( = Hölle) ! Was klagst du über dein kleines Missgeschick? Komm doch, vertraue!

Voll Vertrauen lache ihr ins Gesicht, der Plage! Auch sie wird lachen, die Plage. Wird lächelnd sich umwandelnd dir entschwinden.

 

Wenn man im Zweikampf den schrecklichen Feind anlächelt, wird er versöhnlich werden, wird seine Feindseligkeit lächerlich erscheinen, zusammensinken, vergehen. Wer dem Unglück mit Gottvertrauen begegnet, erreicht dies ebenso.

 

Zum Dritten: Jedes Zeitalter hat seine Besonderheit. In diesem Zeitalter der Gottvergessenheit hat das Unglück seine Form gewandelt. Zu bestimmten Zeiten und für bestimmte Menschen ist Unglück gar kein Unglück, sondern Wohlwollen Gottes. Da ich diejenigen, die von einer Krankheit oder einem Unglück betroffen sind, zur heutigen Zeit als glücklich betrachte – unter der Voraussetzung, dass ihr Unglück nicht ihren Glauben berührt – kommt es mir nicht in den Sinn, gegen Krankheit oder Unglück eingestellt zu sein. Und ich habe auch nicht das Gefühl, sie bedauern zu müssen. Denn immer wenn ein junger Kranker zu mir kam, stellte ich fest, dass er seine religiösen Verpflichtungen und auch das Jenseits viel ernster nahm als seine Alterskameraden. Hieraus schließe ich, dass Krankheit nicht ein Unglück ist für solche Menschen, sondern vielmehr eine Art Gnadengabe Gottes. Denn obwohl Krankheit in seinem ziemlich kurzen, vergänglichen irdischen Leben eine Belastung bewirkt, bringt sie ihm doch Gewinn für das ewige Leben, gilt als eine Art des Dienstes und der Anbetung. Würde er die Gesundheit finden, könnte er sicherlich im Rausche der Jugend und den Vergnügungen seiner Zeit nicht mehr die Einstellung bewahren, die er Zeit seiner Krankheit für sich gewonnen hatte, sondern würde sich vielleicht in Vergnügungen stürzen.

 

 

 

Schlusswort Gott der Gerechte hat den Menschen mit grenzenloser Schwäche und mit unendlicher Armseligkeit versehen, um Seine grenzenlose Macht und Seine unendliche Barmherzigkeit zu erweisen. Auch hat Er, um die zahllosen Ornamente Seiner Namen zu offenbaren, den Menschen in der Weise erschaffen, dass Er ihn wie eine Maschine gemacht hat, die unzählige Arten von Schmerz zu empfinden und zahllose Arten von Freude wahrzunehmen vermag. Und in dieser Maschine, die der Mensch ist, gibt es Hunderte von Teilen, deren jedes einzelne seinen eigenen Schmerz, seine eigene Freude, seine eigene Aufgabe hat und eine eigene Belohnung für sich empfängt. So wie im Kosmos, der einem großen Menschen gleicht, alle Namen Gottes hervortreten, so erscheint auch im Menschen als Mikrokosmos die Gesamtheit Seiner Namen. Und so wie Gesundheit, Wohlergehen, Freude und andere angenehme Dinge dazu führen, Dank zu sagen, so leiten sie auch die Maschine dazu an, ihre verschiedenen Aufgaben zu erfüllen. Dadurch wird der Mensch zu einer Art Dankesfabrik. Ebenso werden durch Unglücksfälle, Krankheiten, Schmerzen und andere erregende und bewegende Störungen die anderen Zahnräder dieser Maschine in Bewegung versetzt, in Schwung gebracht. Der Stoff der Hilflosigkeit, der Schwäche und Armseligkeit, der dem Wesen des Menschen zu Grunde liegt, wird verarbeitet. Nicht nur die Zunge, nein, jedes einzelne Teil des Körpers wird zu einer Ausdrucksform der Zuflucht und Hilfesuche. Es ist als würde der Mensch durch diese Störungen zu einer Schreibfeder, die bewegt wird, und in sich wiederum Tausende der verschiedensten Schreibfedern enthält. Er schreibt auf das Blatt seines Lebens oder die Tafel seiner Träume die Geschicke seines Lebens, verkündet den Namen Allahs und wird selbst zu einer göttlichen, gereimten Kasside (Lobgedicht), erfüllt so seine Geschöpfespflicht.

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