Webmaster Posted October 26, 2008 Share Posted October 26, 2008 Sechzehnter Brief - Stellungnahme zu Politikern »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.« »Man sagte zu ihnen, dass die Menschen sich grade gegen die Menschen gesammelt haben. Fürchtet euch vor ihnen. Doch das bestärkte sie im Glauben und sie sagten: "Es genügt uns Allah und Er ist unser bester Anwalt (Vekil)."« (Sure 3, 173) Dieser Brief verdeutlicht den Sinn der Ayah: »Sprich mit sanften Worten zu ihm!« (Sure 20, 44) und ist deshalb nicht in scharfe Worte gesetzt. Er ist die Antwort auf eine Frage, die in wörtlichem oder übertragenem Sinne von vielen gestellt wurde. Es ist mir keineswegs angenehm, diese Antwort zu geben und eigentlich wollte ich es gar nicht. Ich hatte mein ganzes Vertrauen (tevekkül) in Gott den Gerechten gesetzt. Weil man mich aber nicht mir selbst und in meiner Welt in Frieden leben lassen, vielmehr mir das Gesicht zur Welt (dünya) hin drehen wollte, will ich hier nun in »Fünf Punkten« eine Erklärung abgeben; nicht jedoch als der Neue Said, sondern erzwungenermaßen in der Sprache des Alten Said; und das nicht um meinetwillen, sondern um meine Freunde wie auch meine Worte (Sözler) vor den Weltleuten mit ihren Verdächtigungen und Nachstellungen zu retten und den wirklichen Sachverhalt sowohl meinen Freunden als auch den Leuten von Welt und den Leuten von Urteil Klarheit zu verschaffen. Erster Punkt: Es wurde gesagt: Warum hast du dich aus der Politik zurückgezogen? Warum zeigst du dich so wenig entgegenkommend? Antwort: Vor neun oder zehn Jahren hatte sich der Alte Said einmal ein wenig mit Politik befasst. Doch der Dienst, den er dem Glauben und der Wissenschaft mit der Politik hatte erweisen wollen, erwies sich als eine vergebliche Mühe und so musste er einsehen, dass dieser Weg zweifelhaft und schwierig und für ihn ein unnötiger Weg ist, dass er für seine wichtigsten Aufgaben ein Hindernis und ein gefährlicher Weg ist. Das meiste (an der Politik) ist Lüge und es besteht die Möglichkeit, dass man, ohne es zu bemerken, zum Werkzeug in der Hand des (nichtislamischen) Auslands wird. Zudem wird, wer sich mit der Politik beschäftigt, entweder für sie oder gegen sie sein. Wollte ich für sie sein, wäre, da ich kein Beamter oder Abgeordneter bin, die Beschäftigung mit der Politik eine nutz- und zwecklose Sache. Man benötigt mich nicht, sodass ich mich vergeblich mit ihr beschäftige. Wollte ich aber in den Reihen der Opposition Politik machen, müsste ich dies entweder in Gedanken tun, oder aber die Macht dazu haben. Täte ich es in Gedanken, so wäre ich dazu nicht vonnöten. Denn die Problematik ist allgemein bekannt. Jeder kennt sie so gut wie ich. Zweckloses Gerede aber ist zugleich auch sinnlos. Wollte ich aber mit Macht Widerstand leisten und den Lauf der Dinge herausfordern, dann bestünde die Möglichkeit, Tausende von Sünden zu begehen, um eines Zweckes willen, dessen Erreichung unsicher ist. So würden um eines Einzelnen willen viele ins Unglück gestürzt. Weil aber das Gewissen sich weigert, wegen ein, zwei Möglichkeiten unter zehn Möglichkeiten eine Sünde zu begehen und Unschuldige mit in eine Sünde hineinzureißen, hat es der Alte Said aufgegeben, zu rauchen, Zeitungen zu lesen, Politik zu betreiben, oder auch nur bei privaten Zusammenkünften über derartige weltliche Dinge wie die Politik zu reden. Ein sicheres Zeugnis dafür ist, dass ich seit acht Jahren keine einzige Zeitung mehr gelesen habe oder mit hätte vorlesen lassen. Hätte mich jemals wieder irgendeiner eine Zeitung lesen sehen, oder gehört, wie mir jemand daraus berichtete, so möge er hierher kommen und es sagen. Dagegen hatte der Alte Said vor acht Jahren noch täglich vielleicht acht Zeitungen gelesen. Außerdem wird meine ganze Lebens- und Verhaltensweise seit fünf Jahren mit großer Aufmerksamkeit unter die Lupe genommen... Wer bei mir jemals bemerkt haben sollte, ich hätte etwas anklingen lassen, was nach Politik schmeckt, der möge es sagen! Denn der Gedanke eines Menschen, der so hochempfindlich ist wie ich, der nach dem Motto: »Der größte Betrug liegt in der Aufgabe des Betruges.« einsam, furchtlos und alleine lebt, kann nicht acht Jahre lang, ja noch nicht einmal acht Tage verborgen bleiben. Hätte er die Lust verspürt, den Wunsch gehabt, Politik zu treiben, hätte das einen Donnerschlag gleich einem Kanonenschuss ausgelöst, ohne dass es dabei noch irgendwelche Nachforschungen oder Untersuchungen gegeben hätte. Zweiter Punkt: Warum hält sich der Neue Said so streng von jeglicher Politik zurück? Antwort: Er möchte sich um ein Ewiges Leben, das mehr als eine Milliarde Jahre währt, bemühen und es sich verdienen und es nicht für ein irdisches Leben von ein, zwei Jahren dahingeben, das sinn- und zwecklos mit einer Einmischung (in die Politik) verbunden ist. Deshalb flieht er für den Dienst am Glauben und am Qur´an, der der wichtigste, notwendigste, reinste und wahrhaftigste Dienst ist, so unbeirrbar vor der Politik. Denn er sagt: Ich werde alt. Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe. Weil dies nun so ist, ist die wichtigste Aufgabe für mich, mich um ein Ewiges Leben zu bemühen. Das Ewige Leben zu verdienen ist das allererste Mittel und der Schlüssel zur Ewigen Glückseligkeit der Glaube. Es ist notwendig, dass ich mich um ihn bemühe. Um mich aber auch den anderen Menschen als Wissenschaftler nützlich zu erweisen, möchte ich meinen Dienst versehen als einer der dem (islamischen) Gesetz verpflichtet ist. Natürlich könnte ich diesen Dienst auch im gesellschaftlichen und sozialen Leben tun. Doch bin ich dazu nicht befähigt. Doch in stürmischer Zeit ein unverfälschter Dienst nicht gewährleistet. Deshalb habe ich diesen Gedanken wieder fallen gelassen und gebe nur dem Gedanken an einen Dienst im Glauben, der der wichtigste, notwendigste und reinste Dienst ist, den Vorzug. Mögen diese Glaubenswahrheiten, die ich mir selbst erworben habe und diese geistigen Heilmittel, welche ich selbst ausprobiert habe, auch noch anderen Menschen zugänglich sein! Für sie lasse ich das Tor offen. Vielleicht nimmt Gott der Gerechte diesen Dienst an und macht mir daraus eine Buße für meine Sünden. Es hat niemand, der gesteinigte Satan ausgenommen, das Recht, sei er nun ein Gläubiger oder ein Leugner, einer von den Getreuen oder einer von den Gottlosen, das Recht, gegen einen solchen Dienst etwas zu unternehmen. Doch Glaubenslosigkeit ist eine Sache, die sich nicht mit anderen Sachen vergleichen lässt. In Sachen Ungerechtigkeit, leichter Verfehlungen oder schwerer Sünde findet sich ein wenn auch abscheulich, teuflicher Wohlgeschmack. Doch in der Glaubenslosigkeit findet sich in gar keiner Weise irgendein Wohlgeschmack. Sie ist Schmerz über Schmerz. Sie ist Finsternis über Finsternis. Sie ist Qual über Qual. Einen solch lichtvollen Dienst aufzugeben, wie es der Glaube ist und das Bemühen um ein unendliches und ewiges Leben, sich im Alter auf nutzlose und gefährliche Spielereien zu werfen, was das für einen Menschen wie mich, der einsam und zurückgezogen für seine früheren Sünden Buße tun muss, für ein Unverstand, eine Unvernunft, eine Unklugheit und in welchem Grade ein Wahnsinn ist, das vermag selbst noch ein Wahnsinniger zu verstehen. Wenn du sagst: »Warum sollten der Dienst am Glauben und am Qur´an mir die Politik verbieten?« so sage ich: Die Wahrheiten des Glaubens und des Qur´an sind in der Tat jede einzelne wie ein Juwel. Hätte ich mich mit der Politik besudelt, müssten die einfachen Leute, die sich doch so leicht verführen lassen, über diese Juwelen in meiner Hand denken: »Ist das vielleicht politische Propaganda, um Anhänger zu gewinnen?« Sie würden diese Diamanten für gewöhnliche Glassplitter ansehen. Sobald ich also mit der Politik in Berührung käme, wäre das so, als würde ich diesen Juwelen Unrecht tun und ihren Wert herabmindern. Nun also, Ihr Weltleute! Warum lasst Ihr mich nicht zufrieden? Gebt Ihr keine Ruhe? Lasst mich nicht wo wie ich bin? Wenn Ihr aber sagt: »Auch unsere Scheiche müssen sich manchmal mit unseren Angelegenheiten befassen. Und auch du wirst manchmal ein Scheich genannt...« Ich aber sage Euch: Meine Herren! Ich bin kein Scheich. Ich bin ein Hoca. Beweis dafür ist, dass ich seit vier Jahren hier bin. Hätte ich auch nur einem einzigen Menschen Ordensunterricht (tarikat) erteilt, hättet ihr das Recht, mich zu verdächtigen. Doch wisst ihr, dass ich jedem, der zu mir gekommen ist, gesagt habe: Glaube ist nötig; Islam ist nötig; für Ordensunterricht ist es nicht die Zeit. Wenn ihr sagt: »Man nennt dich Said-i Kürdi (=Kurde). Vielleicht vertrittst du einen rassistischen Standpunkt. Das aber dient nicht unserer Sache.« Ich aber sage: Meine Herren! Was der Alte Said und was der Neue Said geschrieben haben, liegt offen vor. Ich bezeuge, dass ich bekanntlich, entsprechend dem unbedingten Erlass (ferman): »Die Religion des Islam (islamiyet) hat die Merkmale vorislamischer Zeit (cahiliyet) ausgelöscht.« seit alter Zeit Nationalismus und Rassismus, welche eine Art fränkischer (=in Europa endemischer) Krankheit in Europa darstellen, als ein mörderisches Gift angesehen habe. Und Europa hat diese fränkische Krankheit in den Islam hineingeworfen, um ihn zu spalten und zu teilen und denkt nun, dass es ihn so leichter hinunterschlucken könne. Dass ich mich schon seit langem darum bemühe, diese fränkische Krankheit zu heilen, das wissen meine Schüler und alle, die mit mir in Berührung gekommen sind. Wenn die Sache aber nun so ist, was ist dann wohl der Grund dafür, meine Herren, dass sie jedes Ereignis zum Vorwand dafür nehmen, mich zu belästigen? Wenn ein Soldat im Osten einen Fehler begeht und man bestraft dafür einen Soldaten im Westen und bereitet ihm Schwierigkeiten, bloß weil er auch in der Wehrmacht dient... oder aber, wenn ein Kaufmann in Istanbul ein Verbrechen begeht und man misst nun auch einem Händler in Bagdad eine Art von Schuld zu, weil auch er dem Stande der Kaufleute angehört, und wenn Ihr mich wegen eines jeden Vorfalles in dieser Welt belästigt, nach welchem Gesetz geht das dann? Welches Gewissen urteilt hier? Welcher Vorteil wird dadurch gewonnen? Dritter Punkt: Freunde, die an meine Ruhe denken und meine Haltung befremdlich finden, mit der ich jedem Übel in schweigender Geduld begegne, stellen sich folgende Frage: »Wie kannst du diese Umstände und all die Schwierigkeiten, die über dich gekommen sind, ertragen? Denn früher warst du doch so jähzornig und so auf deine Ehre bedacht und konntest noch nicht einmal eine harmlose Kränkung verkraften.« Meine Antwort: Ich möchte Euch zwei kleine Erlebnisse und Geschichten zu Gehör bringen. Daraus könnt Ihr die Antwort entnehmen. Erste Geschichte: Vor zwei Jahren hatte sich ein Direktor in meiner Abwesenheit grundlos in abschätziger Weise und mit beleidigenden Worten gegen mich ausgesprochen. Man teilte mir das später mit. Da stieg die Natur des Alten Said wieder in mir hoch und überwältigte mich fast eine Stunde lang. Danach aber ergriff durch die Barmherzigkeit Gottes des Gerechten eine Wahrheit mein Herz, vertrieb aus ihm jede Missstimmung, löschte meine Ansprüche gegenüber diesem Mann und ich trug ihm nichts mehr nach. Diese Wahrheit aber war die folgende: Ich sprach zu meiner Seele: Wenn seine Beschimpfungen und die Fehler, die er bloßgestellt hat, mich selbst, meine Person (schahis) und meine Seele (nefis) betreffen, so möge Allahs Wohlgefallen über ihm sein, dafür, dass er die Ungebührlichkeiten meiner Seele ausgesprochen hat. Hat er recht gesprochen, so wird meine Seele zur Zucht führen und mir helfen, mich vor dem Stolz zu bewahren. Hat er aber falsch gesprochen, so ist er mir eine Hilfe, mich vor Heuchelei und trügerischem Ruhm zu bewahren, der die Grundlage aller Heuchelei ist. Ich habe in der Tat noch keinen Frieden mit meiner Seele geschlossen, denn ich habe meine Erziehung noch nicht vollendet. Sagte mir jemand, es säße ein Skorpion an meinem Hals oder auf meiner Brust, oder zeigte er darauf, so sollte man deswegen nicht gekränkt, vielmehr dafür dankbar sein. Beziehen sich jedoch die Beleidigungen dieses Mannes auf mich in meiner Eigenschaft als Diener am Glauben und am Qur´an, so betrifft mich dies nicht. Diesen Mann überlass ich dem Herrn des Qur´an, der mich in Seinen Dienst genommen hat. Er ist der Allmächtige (Aziz) und Allweise (Hakim). Wäre es aber nur, um mich zu beschimpfen, beleidigen, erniedrigen, so träfe mich auch dies nicht. Als ein Verbannter, ein Gefangener, ein Fremdling, dem die Hände gebunden sind, fällt es mir nicht mehr zu, selber meine eigenen Ehre wieder herstellen zu wollen. Es ist dies vielmehr die Aufgabe derer, die mich als Regierungsräte und Ratsherren in diesem Dorf, dieser Stadt, diesem Vilayat als ihren Gast im Auge behalten sollen. Die Beleidigung eines Gefangenen, der sich in der Hand irgendeines Menschen befindet, betrifft dessen Herrn und diesem obliegt die Verteidigung. So sind nun einmal die Tatsachen und so kam auch mein Herz zur Ruhe. Ich sagte: »Ich stelle meine Sache Allah anheim. Denn fürwahr, Allah schaut auf Seine Diener und Verehrer.« Also habe ich dieses Ereignis so hingenommen, als wäre es nie geschehen und es wieder vergessen. Leider stellte es sich dann später doch noch heraus, dass der Qur´an ihm nicht verziehen (helal) hatte... Zweite Geschichte: In diesem Jahr habe ich von einem Zwischenfall gehört. Nachdem sich dieser Zwischenfall ereignet hatte, hörte ich zwar nur kurz von diesem Geschehnis, wurde jedoch so behandelt, als wäre ich ernsthaft in dieses Geschehnis verwickelt gewesen. Ich tausche schon seit langem keine Nachrichten mehr aus. Wenn ich es dennoch tue, schreibe ich höchst selten einmal an einen Freund über Glaubensdinge. Selbst an meinen Bruder habe ich in vier Jahren nur einen einzigen Brief geschrieben. Ich habe diese Beziehungen sowohl mir selbst untersagt, als auch die Weltleute ihn mir untersagt haben. Nur ein, zwei Freunde konnte ich einmal in der Woche wiedersehen. Was die Gäste im Dorf – ein, zwei im Monat – betrifft, so sprachen sie mit mir ein, zwei Minuten über ein religiöses (ahiret) Thema. Hier in dieser Fremde, wo es für Leute wie mich, einen Fremdling, der allein ist und keine Menschenseele kennt, nicht möglich ist, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, bin ich von allen Menschen ausgeschlossen und alle Dinge sind mir verboten. Ich habe sogar vor vier Jahren eine halb verfallene Moschee wieder in Stand setzen lassen. Doch trotzdem man mir in meiner Heimat die Urkunden für meinen Dienst als Prediger und Imam ausgestellt und ausgehändigt und ich dort in dieser Moschee vier Jahre meinen Dienst als Imam versehen hatte (möge Allah diesen Dienst von mir annehmen), konnte ich in diesem letzten gesegneten Monat Ramadan nicht mehr in diese Moschee gehen. Mein Gebet habe ich manchmal allein verrichtet. So bin ich der fünfundzwanzig Sevab (=Verdienste) und Wohltaten eines in der Gemeinschaft verrichteten Gebetes verlustig geblieben. So habe ich denn auch diese beiden Ereignisse, von denen ich betroffen wurde, genau so wie vor zwei Jahren das Verhalten, das dieser Beamte mir gegenüber an den Tag legte, geduldig ertragen und ausgeharrt. Und wolle es Gott, dass ich es auch in Zukunft so halten werde. Dabei denke ich und sage ich mir: Wenn dieses Leid, diese Plage, diese Unterdrückung, wie sie mir von Leuten zugefügt werden, meine Seele (nefs) betreffen, die so voller Fehler und Mängel ist, so trage ich nichts nach. Vielleicht wird meine Seele dadurch eine bessere Haltung (hal) annehmen. Und es ist zudem auch noch eine Buße für die Sünden. Ich habe in diesem irdischen Gasthaus sehr viele Vergnügungen genossen. Wenn man mich nun ein ganz klein wenig misshandelt, so bin ich auch wiederum dankbar dafür. Wenn mich die Weltleute unterdrücken, weil ich dem Glauben und dem Qur´an diene, so ist es nicht meine Sache, mich dagegen zu verteidigen. Das überlasse ich dem Allgewaltigen (Cebbar) in Seiner Allmacht (Aziz). Falls die Absicht darin besteht, die mir überwiesene allgemeine Aufmerksamkeit von mir abzulenken, um jenen eitlen Ruhm zu zerbrechen, der unbegründet und Ursache zur Heuchelei ist und die Aufrichtigkeit (ihlas) zerstört, dann möge das Erbarmen (rahmet) mit ihnen sein. Denn ich denke, dass es für Menschen wie mich schädlich ist, in den Blickpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu geraten und in den Augen der Leute ein berühmter Mann zu sein. Leute, die mit mir in Verbindung stehen, wissen, dass ich keine Ehrerbietung für meine Person wünsche, vielmehr sie verabscheue. Ja, ich habe dies sogar einem achtbaren Freund, der mir etwas bedeutet, vielleicht fünfzig Mal verwiesen. Falls sie beabsichtigen, mich zu diffamieren, mich in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzuwürdigen, um damit die Wahrheiten des Glaubens und des Qur´an, dessen Dolmetscher ich bin, zu treffen, so ist dies vergeblich. Denn die Sterne des Qur’an kann man nicht hinter einem Vorhang verstecken. »Wer seine Augen verschließt, kann selbst nichts sehen, kann andere nicht in Nacht stürzen.« Vierter Punkt: Antwort auf einige Fragen, die auf irrigen Vorstellungen beruhen. Erste Frage: Weltleute fragen mich immer wieder: »Wovon lebst du? Wie findest du dein Auskommen ohne zu arbeiten? Wir wollen in unserem Lande keine Leute, die faul herumsitzen und sich auf anderer Leute Kosten durchbringen!...« Antwort: Ich bin sparsam und mein Leben ist gesegnet. Ich nehme von niemandem außer meinem Versorger (Rezzak) etwas an, keine Gefälligkeiten und nichts, was mich zu Dank verpflichten könnte, und habe mir das auch für die Zukunft vorgenommen. Es braucht in der Tat ein Mann, der von hundert Para, ja sogar von vierzig Para täglich lebt, von anderen keine Gefälligkeiten anzunehmen. Auf diese Frage einzugehen, war überhaupt nicht meine Absicht. Denn eine Erklärung abgeben zu müssen, die in den anderen vielleicht den eindruck erweckt, stolz und selbstgefällig zu sein, ist mir besonders peinlich. Doch Weltleute haben mich in einer Weise verdächtigt und ausgefragt, dass ich nun sagen muss: Es ist ein Prinzip, das ich in meinem ganzen Leben stets eingehalten habe, schon von meiner Kindheit an, nichts von den Leuten anzunehmen (auch nicht, wenn es Zekat sein sollte), auch mein monatliches Gehalt nicht anzunehmen (nur ein, zwei Jahre wurde ich an der Daru-l´Hikmeti-l´Islamiye unter dem Druck meiner Freunde dazu gezwungen, es anzunehmen), nicht für mein monatliches Auskommen eine Dankesschuld auf mich zu laden. Meine Landsleute und auch die mich anderen Orts kennen, wissen das. In diesen fünf Jahren meiner Verbannung haben sich viele Freunde sehr darum bemüht, mir ihre Geschenke aufzudrängen. Ich habe sie nicht angenommen. Wenn sie mich dann fragen: »Wie kannst du dich unter diesen Umständen noch über Wasser halten?« antworte ich ihnen: »Ich lebe durch Gottes Segen (bereket) und Seine Freigiebigkeit (ikram).« Obwohl meine Seele eigentlich jegliche Verachtung verdient hätte und dass man ihr alle Treue aufkündige, habe ich dennoch jenen Segen erfahren, welcher in der Versorgung durch Gottes Freigiebigkeit besteht und ein Wunder (keramet) des Dienstes am Qur´an ist. Dem Geheimnis (der Ayah): »Doch erzähle von der Gnade deines Herrn!« (Sure 93, 11) folgend, möchte ich die Gnadengeschenke, die Gott der Gerechte mir erwiesen hat, erwähnen. Möge es eine Art von Danksagung sein, wenn ich hier einige Beispiele erzähle! Doch wenn ich es auch tue, damit es eine Danksagung sein solle, so fürchte ich doch, selbstgefällig und stolz zu erscheinen und so des Segens verlustig zu gehen. Denn wenn einer, sich selber rühmend, einen geheimen Segen ausposaunt, so verursacht er damit dessen erlöschen. Doch was hilft das, ich muss es dennoch sagen. Erstens: Seit sechs Monaten komme ich mit einem Scheffel (35,27 kg) Weizen aus. Es reicht für sechsunddreißig Brote. Es ist noch etwas davon da, noch nicht alles aufgebraucht. Wie lange es noch reichen wird, weiß ich nicht. * Zweitens: In diesem gesegneten Monat Ramadan haben mir nur zwei Häuser Essen gebracht. Und beide haben mich krank gemacht. So habe ich verstanden, dass es mir verboten ist, Speisen von anderen zu essen. Übrigens berichtete mir Abdullah Tschawusch, der Herr des Hauses und das Oberhaupt dieses ganzen gesegneten Hauses, mein getreuer Freund, der sich den ganzen Ramadan über um meine Verpflegung kümmerte, und er bezeugte, dass mir drei Laib Brot und eine Kiyye (1283 g) Reis genügten. Dieser Reis ging sogar erst fünfzehn Tage nach dem Ramadan zu Ende. Drittens: Auf dem Berg genügte mir und meinen Gästen eine Kiyye Butter für drei Monate, obwohl wir doch jeden Tag Butterbrote gegessen haben. Einer meiner gesegneten Gäste hieß Suleyman. Mein Brot und auch sein Brot gingen zu Ende. Es war an einem Mittwoch, als ich zu ihm sagte: »Gehe und bringe Brot!« Es gab aber zwei Stunden weit im Umkreis niemanden, von dem man hätte Brot holen können. Er sagte zu mir: »Ich habe den Wunsch, die Freitagsnacht bei dir auf dem Berge im Gebet zu verbringen.« Ich gab ihm zur Antwort: »Wir vertrauen auf Gott. Bleib also.« Danach stiegen wir beide, ohne dass wir dazu eine Veranlassung gehabt hätten, oder es dafür einen Grund gegeben hätte, immer weiter wandernd bis zum Gipfel eines Berges hinauf. Bei uns hatten wir eine Kanne mit etwas Wasser. Auch hatten wir ein bisschen Zucker und etwas Tee bei uns. Ich sagte: »Mein Bruder, mach ein wenig Tee.« Während er damit beschäftigt war, den Tee zuzubereiten, saß ich unter einer Zeder, die sich hoch über einem Bach erhob. Traurig dachte ich bei mir: »Wir haben noch etwas schimmeliges Brot. Es reicht heute abend noch für uns beide. Wie sollen wir das zwei Tage lang machen und wie soll ich das diesem Mann in seiner Herzensreinheit beibringen?« Während ich noch darüber nachdachte, wendete ich meinen Kopf, und es war mir, als drehte sich mir der Kopf wie von selbst, und da sah ich: In den Zweigen der Zeder über mir lag ein riesengroßer Laib Brot für uns bereit. »Süleyman, eine Überraschung (müjde)!« rief ich, »Gott der Gerechte hat für uns gesorgt.« Wir holten das Brot herunter, betrachteten es und sahen, dass Vögel oder andere frei lebende Tiere es nicht angerührt hatten. Seit zwanzig, dreißig Tagen war kein Mensch mehr auf diesen Gipfel gestiegen. Dieses Brot reichte uns beiden für zwei Tage. Während wir davon aßen und es fast schon aufgegessen hatten, kam (ein anderer) Süleyman, der mir schon seit vier Jahren ein wahrer und treuer Freund ist, von unten herauf mit Brot. Viertens: Diese Jacke, die ich hier jetzt trage, habe ich vor sieben Jahren gebraucht gekauft. In fünf Jahren habe ich für Oberkleidung, Unterwäsche, Schuhe und Strümpfe viereinhalb Lira ausgegeben. Es genügten mir der Segen Gottes, die Sparsamkeit und Seine Barmherzigkeit. So gibt es diesen Beispielen entsprechend noch viele dergleichen Dinge und sehr viele Erscheinungsweisen göttlichen Segens. Die Bewohner dieses Dorfes kennen viele von ihnen. Es soll aber niemand meinen, dass ich all dies erzähle, um mich zu rühmen; vielmehr wurde ich dazu gezwungen. Und denken Sie bitte nicht, es habe sich mir eine Quelle aufgetan, weil ich ein so guter Mensch bin. Diese Segnungen sind entweder ein Gnadenerweis für die Lauterkeit der Freunde, welche zu mir kommen, oder ein Gastgeschenk für den Dienst am Qur´an, oder der segensreiche Gewinn der Sparsamkeit. Vielleicht ist es auch die Versorgung der vier Katzen, die bei mir sind und mit ihrem »Ya Rahim, Ya Rahim« ständig der Barmherzigkeit Allahs gedenken (dhikr) und die in Form dieses Segens zu mir kommt, wovon dann auch ich meinen Nutzen habe. Wenn du aufmerksam ihrem melancholischen schnurren zuhörst, kannst du in der Tat verstehen, wie sie »Ya Rahim, Ya Rahim« rezitieren. Die Geschichte mit der Katze bringt mir die Sache mit dem Huhn in Erinnerung. Ich habe nämlich ein Huhn. Es brachte mir während des Winters, einer Eiermaschine gleich, mit sehr seltenen Unterbrechungen an jedem Tag ein Ei aus der Schatzkammer der göttlichen Barmherzigkeit. Ja, an einem Tag legte es sogar zwei Eier. Ich war erstaunt und fragte meine Freunde: »Gibt es so etwas?« Sie sagten: »Vielleicht ist es ein Gnadenerweis Gottes!« Im Sommer hatte dieses Huhn auch noch ein kleines Kücken ausgebrütet. Dieses begann dann zu Anfang des heiligen Monats Ramadan mit dem Eierlegen und setzte das vierzig Tage so fort. Weder ich, noch die, welche mir dienten, hatten einen Zweifel daran, dass dieser gesegnete Umstand (hal), sowohl seine Kleinheit, als auch der Winter, als auch der Ramadan ein Gastgeschenk (ikram) des Herrn war. Als dann seine Mutter das Eierlegen einstellte, begann es sofort wieder und ließ mich nicht ohne Eier. Die zweite irrtümliche Frage: Die Weltleute fragen mich: »Wie können wir uns darauf verlassen, dass du dich in unsere weltlichen Angelegenheiten nicht einmischen wirst? Wenn wir dich freilassen, wirst du dich vielleicht in unsere weltlichen Angelegenheiten einmischen. Woher sollen wir wissen, was du mit deiner Schläue im Schilde führst? Woher sollen wir wissen, ob du mit deiner Schläue nicht vielleicht nur so tust, als habest du die Welt verlassen und ob du Volkseigentum nur öffentlich nicht nimmst, es aber sehr wohl im Geheimen an dich bringst?« Meine Antwort: Ich wurde vor zwanzig Jahren vor ein Kriegsgericht gestellt. Und auch schon füher, in der Zeit vor der Hürriyet (=die Zeit der konstitutionellen Monarchie, genannt »Hürriyet« = Freiheit) waren meine innere und äußere Haltung vielen bekannt. Desgleichen zeigt auch meine Verteidigungsrede vor dem Gericht mit dem Titel: »Mein Zeugnis an zwei Schulen des Unglücks« ganz deutlich, dass ich mein Leben in der Weise verbracht habe, dass ich mich nicht dazu erniedrigt habe, irgendwelche Manöver anzuwenden oder einen Hinterhalt anzulegen, ja noch nicht einmal zu einer harmlosen Lobhudelei. Hätte es eine solche Lobhudelei gegeben, so wäre in diesen fünf Jahren schon eine Anmeldung angedient worden. Mit einer solchen Lobhudelei möchte ein Mann sich beliebt machen. Er nimmt sich nicht zurück. Er hat immer eine Hinterlist, irgedeinen Betrug im Sinn. Ich aber habe mich trotz schwerer Angriffe und Kritiken zu keiner Würdelosigkeit erniedrigt. »Ich vertraue auf Gott«, sagte ich und habe den Weltleuten den Rücken gekehrt. Wer zudem das Jenseits kennt und die Realitäten in dieser Welt erkannt hat, wird da nicht bedauern, kehrt nicht wieder in die Welt zurück, strebt nicht nach ihr. Nach fünzig Jahren opfert ein Mann, der ganz auf sich allein gestellt und an irdischen nicht interessiert ist, nicht sein Ewiges Leben um in dieser Welt ein, zwei Jahre für leeres Gerede und politische Kurpfuscherei zu opfern... opferte er es aber, wäre das keineswegs besonders intelligent, vielmehr irrsinniger Wahnwitz. Was aber sollte aus der Hand eines solchen wahnwitzigen Irren schon kommen, dass man sich mit ihm beschäftigen sollte? Was jedoch den Zweifel daran betrifft, ob ich nicht äußerlich zwar die Welt verlassen habe, mich ober doch innerlich noch nach der Welt sehne, so sage ich entsprechend dem Geheimnis: »Ich will mein Herz (nefs) nicht freisprechen von Schuld; denn das menschliche Herz (nefsu l-emmare: das Tier in uns) ist dem Bösen zugeneigt.« (Sure 12, 53), dass ich mich (nefs) nicht für schuldlos erklären will... denn das Tier in mir (nefs) verlangt ja nach all dem, was doch nicht gut ist. Aber in dieser vergänglichen Welt, in diesem behelfsmäßigen Gasthaus, in meinem vorgerückten Alter, ein ewiges, unvergängliches Leben und die Ewige Glückseligkeit innerhalb einer kurzen Lebensspanne für ein wenig Genuss zu zerstören, ist nicht Art eines Menschen von Verstand. Weil es aber nicht die Art eines Menschen von Verstand ist, hat sich dieses Tier in mir (nefsu l-emmare), mochte es nun wollen oder nicht, dem Verstand unterworfen. Dritte irrtümliche Frage: Die Weltleute fragen mich: Liebst du uns? Sind wir dir genehm? Wenn du uns liebst, warum bist du uns dann böse und kümmerst dich nicht um uns? Wenn wir dir nicht genehm sind, bist du unser Gegner. Gegner aber werden von uns niedergeworfen. Meine Antwort: Hätte ich nicht nur euch, sondern auch eure Welt geliebt, so hätte ich mich nicht aus der Welt zurückgezogen. Ihr seid mir nicht genehm und eure Welt gefällt mir auch nicht. Aber da mische ich mich nicht ein. Denn ich habe eine andere Zielsetzung. Mein Herz ist von anderen Dingen erfüllt. An andere Dinge zu denken, bleibt in meinem Herzen kein Platz mehr übrig. Eure Aufgabe ist es, auf die Hand zu achten (d.h. auf das, was tatsächlich geschieht) und nicht das Herz zu beurteilen. Denn eure Angelegenheit ist das Regierungsgeschäft und die allgemeine Sicherheit im Lande. Mischt sich jemand nicht in eure Angelegenheiten ein, welches Recht habt ihr dann noch, zu verlangen, er solle euch auch noch mit dem Herzen lieben?... Ihr mischt euch in Herzensangelegenheiten ein. In der Tat will ich und wünsche ich den Frühling zu dieser Winterzeit. Aber ich kann ihn nicht herbeiführen, ja es noch nicht einmal versuchen. In ähnlicher Weise wünsche ich auch die Erlösung der Welt und bete darum und wünsche Erlösung für alle Menschen in dieser Welt. Aber ich kann sie nicht herbeiführen... Denn das liegt nicht in meiner Hand. Tatsächlich kann ich es noch nicht einmal versuchen... Denn das ist weder meine Aufgabe, noch bin ich dazu überhaupt in der Lage. Vierte irrtümliche Frage: Die Weltleute sagen zu mir: Wir haben schon so viel Schwierigkeiten bekommen, dass wir niemandem mehr Vertrauen schenken können. Wie können wir deiner sicher sein, dass du dich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen wirst, sobald sich dir nur eine entsprechend günstige Gelegenheit dazu bietet? Meine Antwort: Die oben angeführten Punkte sollten euch diese Sicherheit geben. Zudem habe ich mich auch nicht in eure Angelegenheiten eingemischt, als ich noch inmitten meiner Freunde und Verwandten, die mir auf mein Wort folgten, lebte und die Ereignisse aufregend genug dazu waren. Jetzt, wo ich einsam und verlassen und ganz auf mich allein gestellt als ein Fremdling schwach und hilflos in der Verbannung lebe, isoliert von allen Menschen, die sich mit ganzer Kraft nach einer anderen Welt sehnen und von jeder Nachricht abgeschnitten lebe, hier, wo es nur wenige Freunde und Glaubensbrüder gibt, die selten genug und von weit her um des Glaubens und einer besseren Welt willen zu mir kommen und wo einer dem anderen fremd ist und sich die Menschen mit misstrauischen Blicken betrachten, mich in eure gefährlichen weltlichen Angelegenheiten einzumischen, wäre in mehrfacher Hinsicht Wahnsinn... Fünfter Punkt: Betrifft fünf kürzere Fragen: Erstens: Die Weltleute fragen mich: Warum übernimmst du nicht unsere Art zu leben und uns zu bekleiden, kurz, den Stil unserer Kultur und die Form unserer Zivilisation? Willst du damit zum Asdruck bringen, dass du gegen uns bist? Ich halte dem entgegen: Meine Herren! Mit welchem Recht erwarten Sie von mir, dass ich von Ihnen lernen soll, was Kultur und Zivilisation ist? Haben doch gerade Sie mich von jeglichem Recht auf Zivilisation ausgeschlossen und dazu gezwungen, fünf Jahre rechtlos in einem Dorf zu leben, eine Kontakt- und Nachrichtensperre über mich verhängt. Allen Verbannten haben Sie erlaubt, in den Städten mit ihren Freunden und verwandten zusammenzukommen. Sie haben ihnen danach die Ausweispapiere ausgehändigt, mich aber ohne Grund isoliert und, von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, keinen Verkehr mit meinen Landsleuten zugelassen. Das heißt doch wohl, dass Ihr mich nicht zu Euren Untertanen und Volksgenossen zählt. Wie könnt Ihr da noch von mir erwarten, dass ich die Gesetze Eurer Zivilisation übernehmen werde? Die Welt habt Ihr mir zu einem Kerker gemacht. Von einem Mann, der im Kerker sitzt, kann man aber derartige Dinge nicht erwarten. Die Türe zur Welt habt Ihr mir verschlossen. Ich aber habe an die Pforten einer anderen Welt (ahiret) angeklopft. Gottes Barmherzigkeit hat mir aufgetan. Wie aber kann man von einem Mann, der schon an den Pforten jener Welt (ahiret) angeklopft hat, die doch so schwierigen Sitten und Gebräuche dieser Welt erwarten? Erst wenn Ihr mir meine Freiheit wiedergegeben und das Recht gegeben habt, wieder in meine Heimat zurückzukehren, erst dann mögt Ihr wünschen, dass ich Eure Sitten übernehmen solle... Zweite Frage: Die Weltleute sagen zu mir: Wir haben ein offizielles Amt, dass dafür zuständig ist, über den Glauben (din) und die Wahrheiten des Islam zu unterrichten. Du aber, in wessen Vollmacht betreibst du denn religiöse Propaganda? Denn da du nun einmal zur Verbannung verurteilt worden bist, hast du auch kein Recht mehr, dich in diese Angelegenheiten einzumischen. Meine Antwort: Das Recht und die Wahrheit unterliegen keiner Beschränkung. Wie kann man Glaube (iman) und Qur´an einer Beschränkung unterwerfen? Ihr könnt eure weltlichen Prinzipien und Gesetze einer Beschränkung unterwerfen. Doch die Glaubenswahrheiten und die Grundsätze des Qur´an können nicht nach Art der öffentlichen Angelegenheiten und gleich einem irdischen Geschäft, das man gegen Entgelt verrichtet, in eine Form gepresst werden. Denn diese Geheimnisse, die eine Gnadengabe Gottes sind, können nur reinen Herzens (niyet) empfangen werden. Diese Segnungen erlangt man nur, wenn man sich aus diesen irdischen Geschäften zurückzieht und nur dadurch, dass man über allen weltlichen (nefs) Genüssen nach Erlösung strebt. Darüber hinaus hat mich sogar Ihre eigene öffentliche Behörde, damals, als ich noch in meiner Heimat lebte, zum Prediger bestellt und anerkannt. Ich habe damals diese Predigerstelle angenommen, auf mein Gehalt aber verzichtet. Eine entsprechende Urkunde trage ich bei mir. Mit dieser Urkunde kann ich überall als Prediger oder Imam tätig werden. Denn meine Verbannung ist zu Unrecht erfolgt. Überdies sind ja all die Verbannten längst schon heimgekehrt und diese meine Urkunde hat Wert und Gültigkeit immer noch behalten. Zweitens: Durch die Glaubenswahrheiten, welche ich niedergeschrieben habe, wollte ich nur unmittelbar meine eigene Seele (nefs) ansprechen. Ich habe nicht jedermann dazu eingeladen. Vielmehr suchen diejenigen, deren Seele (ruh) ihrer bedarf und deren Herzen verwundet sind nach diesen Heilmitteln im Qur´an und finden sie dort. Zu meinem Lebensunterhalt habe ich nur die Risala über die Auferstehung drucken lassen, und zwar noch vor der Einführung der neuen Schrift. Sie wurde auch von diesem ehemaligen Gouverneur (vali), der sich mir gegenüber ungerecht verhalten hat, geprüft. Doch blieb diese Risala unbeanstandet, weil er nichts darin finden konnte, was einer Kritik wert gewesen wäre. Dritte Infragestellung: Manche meiner Freunde haben sich ganz offensichtlich von mir distanziert, weil ich bei den Weltleuten in Verdacht geraten bin und weil sie nun ihrerseits bei diesen Weltleuten gut angesehen sein möchten; ja sie kritisieren mich vielleicht. Doch sind diese Weltleute schlau genug, diese äußerliche Zurückhaltung und die kühle Distanziertheit solcher Leute mir gegenüber nicht als ein Zeichen der Treue gegenüber den Weltleuten anzusehen, sie vielmehr als eine Art von Heuchelei, als eine Gewissenlosigkeit zu betrachten und verfolgen solche Freunde daher mit bösen Blicken. Ich halte dem entgegen: Oh Ihr meine Freunde im Glauben! Wenn ich dem Qur´an diene, so braucht ihr euch deswegen nicht gleich von mir zurückzuziehen und vor mir davonzulaufen! Denn von mir droht auch inscha-a´llah keine Gefahr. Denn selbst angenommen, es würde sich irgend etwas Schlimmes ereignen, oder mir ein Unrecht zustoßen, so könntet ihr euch doch nicht retten dadurch, dass ihr euch vor mir zurückzöget. Denn in diesem Falle hättet ihr das Unglück und den Schlag, der euch getroffen hat, nur noch um so mehr verdient. Und was ist denn eigentlich passiert, dass ihr so sehr euren Wahnideen verfallen seid? Vierte Frage: In dieser Zeit meiner Verbannung sehe ich, dass manche Menschen, die in den Sumpf der Politik hineingeraten sind, sich selbst aber gerne ein wenig herausheben möchten, mich mit Blicken betrachten, als stünde ich auf der gegnerischen Seite, so als ob auch ich so wie sie in den Strom dieser Welt mit hinein verwickelt wäre. Meine Herren! Der Strom, der mich bewegt, ist der Strom des Glaubens. Und der Strom, der sich mir entgegenstellt, ist der Strom des Unglaubens. Eine andere Strömung ist für mich nicht von Interesse. Männer, die sich zu einer solchen Arbeit für Lohn verdingen, mögen sich vielleicht selbst für entschuldigt halten. Mich aber ohne allen Lohn, in patriotischem Übereifer, aus einer Haltung der Parteilichkeit oder Gegnerschaft heraus anzugreifen und zu schikanieren, ist ein ganz besonders übler Fehler. Denn wie ich bereits weiter oben bewiesen habe, habe ich mich auf die Politik dieser Welt überhaupt nicht eingelassen. Ich habe all meine Zeit und mein ganzes Leben auf die Glaubenswahrheiten und den Qur´an beschränkt und nur ihm allein gewidmet. Und weil dies nun einmal so ist, möge doch derjenige, der mich in dieser Weise schikaniert und sich mir entgegenstellt, denken, dass er im Namen seiner Gottlosigkeit und Glaubenslosigkeit so handelt und damit den Glauben angreift. Fünfte Frage: Die Welt ist nun einmal vergänglich. Außerdem ist das Leben nun einmal kurz. Außerdem gibt es nun einmal viele wichtige Aufgaben. Außerdem muss man sich nun einmal das Ewige Leben hier verdienen. Außerdem ist nun einmal diese Welt nicht ohne Besitzer. Außerdem hat nun einmal diese unsere irdische Herberge einen Lenker und Leiter von großer Weisheit und Freigiebigkeit. Außerdem bleibt nun einmal das Gute und das Schlechte nicht ohne seinen Lohn. Außerdem gibt es nun einmal entsprechend dem Geheimnis von »Gott verlangt von keiner Seele (nefs) mehr, als sie zu tragen vermag.« (Sure 2, 286) keine unerträglichen Belastungen. Außerdem ist nun einmal ein gefahrloser Weg immer einem gefährlichen Weg vorzuziehen. Außerdem reichen nun einmal Freundesbande und Standesverpflichtungen nur bis zum Rand des Grabes... Der Glücklichste aber ist sicherlich derjenige, der das Jenseits nicht um des Diesseits willen vergisst, der das Jenseits nicht dem Diesseits zum Opfer bringt, der das Ewige Leben nicht um des irdischen Lebens willen zerstört, der sein Leben nicht mit nutzlosen Dingen vertändelt, der sich selbst nur als einen Gast betrachtet und der sich den Weisungen seines Gastherrn entsprechend verhält. Er wird heil und sicher das Tor seines Grabes öffnen und in die Ewige Glückseligkeit eingehen. * Anhang zum »Sechzehnten Brief »Im Namen dessen, außer dem es fürwahr kein Ding gibt, das Ihn nicht dankend lobpreist.« Die Weltleute verdächtigen mich, einen armseligen Fremdling, ohne jeden Grund. In ihrer Phantasie meinen sie, ich sei stark wie tausend Mann und halten mich unter vielen Vorbehalten gefangen. Sie haben mir nicht erlaubt, ein, zwei Nächte an einem Ort in der Gegend von Bedre oder auf einem Berg in der Nähe von Barla zu bleiben. Ich habe sie sagen gehört: »Said hat die Macht von fünfzigtausend einfachen Soldaten. Darum können wir ihn nicht frei lassen.« Ich halte dem entgegen: Oh ihr unglückseligen Weltleute! Warum versteht ihr die Dinge dieser Welt noch immer nicht, obwohl ihr euch doch mit all eurer Kraft für eure weltlichen Angelegenheiten einsetzt? Ihr urteilt einem Geisteskranken gleich. Wenn ihr in Bezug auf meine Person irgendwelche Befürchtungen habt, so können doch fünfzigtausend Soldaten nicht, nein, es kann vielleicht schon ein einzelner Soldat fünfzig Mal mehr an Arbeit verrichten als ich. Denn er kann vor der Tür zu meiner Kammer Posten beziehen und zu mir sagen: »Hier kommst du nicht mehr raus!« Wenn ihr euch vor meiner Berufung fürchtet, wenn ihr Angst habt, weil ich der öffentliche Ausrufer des Qur´an bin und die Kraft des Glaubens in mir ist, dann bin ich fünfzigtausend Soldaten nicht gleichzusetzen. Da irrt ihr euch! Angesichts meiner Berufung bin ich so stark wie fünfzig Millionen von ihnen. Das sollt ihr wissen! Denn in der Kraft des Weisen Qur´an fordere ich mitsamt all euren Gottlosen auch ganz Europa heraus. Denn durch den Glauben (iman), dessen Lichter (envar) ich überall verbreitet, habe ich ihre positiven Wissenschaften, diese feste Burg, welche sie als Natur bezeichnen, zunichte gemacht. Die größten unter den atheistischen Wissenschaftlern habe ich dahin geführt, dass sie (in ihrem Unverständnis) noch unter die Tiere hinabgerutscht sind. Wolltet ihr all eure Atheisten mitsamt dem ganzen Europa zusammenrufen, so könntet ihr mich durch die Führung Allahs, der mir den Erfolg verleiht, doch nicht in auch nur einer einzigen Fragestellung von meiner Berufung abbringen. Sie werden inscha-a´llah nicht den Sieg davontragen!... Weil dies aber nun einmal so ist, mische ich mich nicht in eure weltlichen Angelegenheiten ein. Doch sollt auch ihr euch nicht in meine Angelegenheiten einmischen, welche das Jenseits betreffen. Zudem ist diese eure Einmischung auch vergeblich. Was Gott bestimmt hat, lässt sich nicht abwenden mit des Armes Kraft. Was der Herr entzündet hat, lässt sich nicht auslöschen mit des Mundes Blasen. Über mich nähren die Weltleute in ganz ausnehmender Weise völlig irrige Vorstellungen, als ob sie mich fürchteten. Sie bilden sich ein, ich wäre, was ich gar nicht bin und selbst wenn ich es wäre, bildete es doch nicht den Gegenstand einer politischen Verfehlung und wäre gar kein Grund zur Anklage, Dinge wie die Würde eines Scheichs, Größe, Vornehmheit, Adel, ein Stammesfürst zu sein, Einfluss und eine persönliche Ausstrahlung zu besitzen, viele Anhänger zu haben, mit seinen Landsleuten Umgang zu pflegen, sich für die Ereignisse in dieser Welt zu interessieren, ja sogar politisch aktiv zu sein und das selbst auf Seiten der Opposition, Dinge, die gar nicht auf mich zutreffen und über die sie dennoch in Aufregung geraten. Ja, während sie schon darüber reden, diejenigen zu amnestieren, die noch im Gefängnis sitzen oder schon wieder draußen sind und die doch nach ihrer Meinung gar nicht für eine Amnestie in Frage kommen, verbieten sie mir selbst nahezu alles. Ein Mann von schlechtem Ruf und obzwar sein Ruhm schon vergänglich war, hat einmal das folgende schöne unvergängliche Wort geprägt: Wenngleich auch das Unrecht eine Kanone hätte, eine Kugel hätte, eine Burg hätte, So besitzt doch die Gerechtigkeit einen unbeugsamen Arm, ein Antlitz, das sich nicht abwendet. Dementsprechend sage auch ich: Wenngleich auch sich auf Seiten der Weltleute die Souveränität findet, die Majestät sichtbar wird, die Macht zum Ausdruck kommt, so besitzt doch durch den Segen des Qur´an sein Diener ein unbeirrbares Wissen und ein Wort, das man nicht zum Verstummen bringen kann, einen untrüglichen Sinn und ein unauslöschliches Licht. Viele meiner Freunde haben mir ebenso wie der Kommandant, der mich überwachte, immer wieder die Frage vorgelegt: Warum kommst du nicht um einen Ausweis nach, stellst keinen Antrag? Meine Antwort: Es gibt fünf, sechs Gründe dafür, dass ich einen solchen Antrag nicht stelle und auch gar nicht stellen darf. Erstens: Ich habe mich in die weltlichen Angelegenheiten der Weltleute nicht eingemischt, sodass ich nun in ihrer Schuld stünde und bei ihnen vorstellig werden müsste. Ich bin ein Schuldner der göttlichen Allmacht (Qader) und habe mich gegen sie versündigt, sodass ich nun bei ihr vorstellig werden muss. Zweitens: Ich habe mit absoluter Sicherheit geglaubt und erkannt, dass diese Welt eine Herberge ist, die sich schnell verwandelt. Deswegen ist sie keine wahre Heimat. Das ist überall das gleiche. Da ich aber nun einmal nicht ewig in meiner Heimat (Bitlis) bleiben kann, bringt es auch gar nichts ein, sich vergeblich darum zu bemühen, dorthin zu gelangen. Es ist nun einmal jeder Platz einer Herberge gleich. Ist aber der Herr dieser Herberge in Seiner Barmherzigkeit mir freundlich gesinnt, so ist mir jedermann freundlich gesinnt und jeder Platz ist mir ein freundlicher Ort. Ist Er mir aber nicht freundlich gesinnt, so lastet mir jeder Ort auf der Seele (qalb) und jedermann ist mein Feind. Drittens: Ein Anmeldeantrag kann nur im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Doch seit sechs Jahren hat man mich stets nur mit Willkür behandelt und außerhalb der Gesetze gestellt. Nach dem Gesetz für die Verbannten wurde ich nicht behandelt. Man hat mich so betrachtet, als sei ich vom bürgerlichen Recht, ja sogar von den Menschenrechten ausgeschlossen. Es ist daher einfach widersinnig, im Namen des Gesetzes bei denen einen Antrag auf Anmeldung einzureichen, die sich selbst gesetzwidrig verhalten. Viertens: In diesem Jahr hat der Herr Distriktsdirektor in meinem Namen einen Antrag eingereicht, mit der Bitte, mir für einige Tage in Bedre, einem zur Stadtgemeinde von Barla gehörigen Stadtbezirk, Aufenthalt und Luftveränderung zu gestatten. Man hat mir diese Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt. Wenn aber bereits bei derart unwichtigen Angelegenheiten ein Antrag abgelehnt wird, wie kann ich denn dann bei solchen Leuten noch vorstellig werden? Wollte ich bei ihnen noch einen Antrag einreichen, wäre dies eine fruchtlose Erniedrigung in einer entwürdigenden Lage. Fünftens: Gegenüber Leuten, die Unrecht für Recht hinstellen, sein Recht zu fordern und bei ihnen vorstellig zu werden, ist eine Ungerechtigkeit. Es wäre eine Respektlosigkeit gegenüber der Gerechtigkeit. Eine solche Ungerechtigkeit und eine solche Respektlosigkeit gegenüber dem Recht will ich nicht begehen und damit Friede *. Sechster Grund: Die Schwierigkeiten, die Weltleute mir bereiten, haben keine politischen Grunde. Denn diese Leute wissen, dass ich mich nicht in die Politik einmische, dass ich die Politik fliehe. Vielleicht gehen ihre Schikanen bewusst oder unbewusst auf die Rechnung ihres Atheismus, weil ich doch dem Glauben (din) verbunden bin. Wenn dies aber so ist, dann hieße, bei ihnen vorstellig zu werden, sich mit Bedauern vom Glauben (din) abzuwenden und statt seiner dem Atheismus in die Arme zu werfen. Wollte ich aber bei ihnen vorstellig und kniefällig werden, so würde mich dennoch die Allmacht (Qader) Gottes in ihrer Gerechtigkeit durch ihre eigene Hand bestrafen. Denn sie schikanieren mich ja, weil ich ein im Glauben (diyanet) gebundener Mensch bin. Denn nach (Gottes) Bestimmung (Qader) werde ich gepeinigt, weil mein religiöses Leben (diyanet) und meine Aufrichtigkeit (ihlas) fehlerhaft sind und ich ab und zu einmal versucht habe, mich bei Weltleuten beliebt zu machen. Wenn dies aber so ist, dann gibt es hier und jetzt keine Rettung vor dieser Pein. Wollte ich aber bei diesen Weltleuten vorstellig werden, so sagte mir Gottes Bestimmung (Qader): »Du Heuchler! Verkoste nun die Strafe dafür, dass du dich zu ihnen hin gewandt hast!« Wenn ich mich aber ihnen nicht zuwende, dann sagen die Weltleute: »Du willst uns nicht kennen. Nun denn, so lass es und plage dich weiter!« Siebenter Grund: Es ist bekannt, dass die Aufgabe eines Beamten darin besteht, denjenigen, welche gesellschaftlichen Schaden zufügen, keinen Platz einzuräumen und denen, welche ihm dienen, Hilfe zu gewähren. Dennoch kam jener Beamte, bei dem ich unter Kuratel gestellt wurde, während ich einmal einem alten Mann, der als Gast zu mir gekommen war und schon am Rande des Grabes stand, die Süße des Geheimnisses (latif) darbot, das der Glaube (iman) im »La ilaha illa´llah (Niemand und nichts ist anbetungs- und verehrungswürdig außer Gott allein)« in sich enthält, trotzdem er lange Zeit nicht mehr bei mir gewesen war, zu mir, so als habe er mich gerade eben auf frischer Tat ertappt und als ob ich ein Verbrechen begangen hätte. Er hat diesen armen alten Mann, der mir aufrichtig (ihlas) zuhörte, frustriert und leer ausgehen lassen und mich selbst auch noch in Wut gebracht. Dabei gab es hier noch einige andere Leute, denen er gar keine Beachtung schenkte. Als es schließlich so weit kann, dass sie in ihrer Sittenlosigkeit im gesellschaftlichen Leben des Dorfes ihr Gift verstreuten, hat er auch noch begonnen, ihnen seine Sympathie und seine Anerkennung zu bezeigen. Dabei ist doch allgemein bekannt, dass ein Mann, und säße er auch für hundert Verbrechen im Kerker, jederzeit mit den Wache habenden Beamten sprechen kann, seien sie nun Offiziere oder einfache Soldaten. Doch schon seit einem Jahr gehen sowohl der Befehlshaber als auch der wachhabende Beamte von der Nationalregierung, also zwei hohe Persönlichkeiten, jedes Mal an meiner Zelle vorüber, ohne sich auch nur im geringsten um mich zu kümmern oder gar nach mir zu erkundigen. Ich hatte zunächst einmal vermutet, das läge vielleicht daran, dass sie mir feindlich gesinnt sind. Später wurde mir dann klar, dass sie in ihrem Wahn vor mir davon laufen, als wollte ich sie verschlingen. Eine solche Regierung, die aus derartigen Leuten zusammengesetzt ist und solche Beamten beschäftigt, überhaupt noch eine Regierung nennen zu wollen, sie als Meldebehörde anzuerkennen und dort vorstellig zu werden, widerspricht dem gesunden Menschenverstand, ist eine fruchtlose Erniedrigung. Der Alte Said hätte mit (dem französischen Dichter) André dazu gesagt: »Wasser des Lebens in Erniedrigung ist wie die Hölle; Hölle in Ehren ist ein Ort, stolz darauf zu sein.« Es gibt den Alten Said nicht mehr. Der Neue Said aber hält es für sinnlos, mit den Weltleuten Umgang zu pflegen. Möge ihre Welt sie den Kopf kosten! Mögen sie mit mir machen, was sie wollen! Am Tag des Großen Gerichtes wird er mit ihnen vor den Richter kommen, sagt er und schweigt. Der Verweigerung, meine Anmeldung vornehmen zu lassen, achter Grund: Entsprechend dem Grundsatz: »Die Folge gesetzloser Liebe ist gnadenloser Hass.« wird die Allmacht (Qader) Gottes in ihrer Gerechtigkeit mich durch die ungerechte Hand dieser Weltleute bestrafen, wenn ich ihnen meine Sympathie erweise, obwohl sie derer doch gar nicht würdig sind. So denke ich denn, dass ich diese Strafe verdient habe und schweige. Denn als ich während des Ersten Weltkrieges Kommandeur eines Freiwilligenregimentes war, habe ich mich zwei Jahre lang eingesetzt und gekämpft. Ich habe unter dem Befehl vom Enver Pascha und seinem Obersten Kommandanten wertvolle Schüler und Freunde geopfert. Ich wurde verwundet und gefangen. Nach meiner Entlassung aus der Gefangenschft habe ich mich durch meine »Sechs Schritte (Hutuvat-i Sitte)« und andere, ähnliche Werke in Gefahr gebracht und zu der Zeit, als die Engländer Istanbul besetzt hielten, die Engländer vor den Kopf gestoßen. So habe ich damals denen, die mich heute schikanieren und grundlos gefangen halten, Hilfe geleistet. So lohnen sie mir heute diese meine Hilfe auf diese ihre Weise. All die Strapazen und Schwierigkeiten unter denen ich in russischer Gefangenschaft drei Jahre lang gelitten, haben mit hier meine »Freunde« in drei Monaten zugefügt. Denn die Russen haben mir damals, als ich noch Kommandant eines kurdischen Freicorps war und obwohl sie mich als Kosakenmörder und Gefangenenschlächter betrachteten, nicht verboten, Unterricht abzuhalten. So habe ich damals den meisten der neunzig Offiziere, die meine Kriegskameraden waren, Unterricht erteilt. Einmal kam auch der russische Kommandant und hörte mit zu. Weil er kein türkisch verstand, glaubte er, ich gäbe politischen Unterricht. So verbot er mir dies zunächst, erteilte mir aber später doch wieder die Erlaubnis. Auch haben wir noch im selben Winter einen Raum als Moschee hergerichtet. Ich habe dort als Imam gedient. Man hat uns nicht dabei gestört. Man hat Besuche mir nicht untersagt. Eine Nachrichtensperre gab es nicht. Doch meine heutigen »Freunde«, obwohl sie doch meine Landsleute und Mitgläubigen sind und Männer, denen im Glauben einen Dienst zu erweisen ich mich bemühe und die doch wissen, dass ich mich nicht für Politik interessiere und um weltliche Angelegenheiten nicht kümmere, haben mich nicht nur drei, nein sechs Jahre lang gefangen gehalten, mich grundlos schikaniert und mir jeden Umgang verboten. Sie haben mir den Unterricht verboten, obwohl meine Papiere in Ordnung sind, ja sogar Privatstunden in meinem eigenen Zimmer untersagt und mich von der Außenwelt abgeschottet. Ja sie haben mir sogar ungeachtet meiner Urkunden und Diplome meinen Gebetsraum verboten, den ich mir selbst hergerichtet hatte und in dem ich vier Jahre lang Imam gewesen bin. Ja, sie erlaubten mir jetzt noch nicht einmal, den drei Leuten, die meine Glaubensbrüder sind und mit mir eine feste Gemeinschaft bilden, ganz privat Imam zu sein, damit mir der Lohn des Gemeinschafsdienstes versagt bleibe. Selbst wenn irgendjemand gegen meinen eigenen Willen etwas Gutes zu mir sagt, wird der Beamte, der mich überwachen soll, blass vor Neid und rot vor Wut und ergreift gewissenlos Maßnahmen, um meinen Einfluss zu brechen und schikaniert mich in der Absicht, bei seinen Vorgesetzten besser angeschrieben dazustehen. Bei wem anders soll also nun ein Mann in meiner Lage vorstellig werden, denn bei Gott dem Gerechten? Wenn der Richter selber zugleich auch der Ankläger ist, bei wem denn soll man da noch seine Klage vorbringen? Komm nun und sprich zu mir, was ich in diesem Falle sagen sollte!? Was du auch sagen magst... ich halte dem entgegen: Es gibt unter diesen meinen Freunden viele Heuchler. Ein Heuchler ist schlimmer als ein Ungläubiger. Darum verursachen sie mir Qualen, die mir die Russen nicht zugefügt haben. Oh ihr Unglückseligen! Was habe ich euch denn getan oder tue ich denn? Ich erweise auch einen Dienst zur Rettung eures Glaubens und für eure Ewige Glückseligkeit! Mein Dienst war also nicht lauter und rein. Weil ich ihn nicht um Allahs willen verrichtet habe, ist nun eine Gegenreaktion eingetreten. Im Gegenzug kränkt ihr mich nun bei jeder Gelegenheit... Sicherlich werden wir uns vor dem Großen Gericht wiedersehen!... »Es genügt uns Allah und Er ist unser bester Anwalt (wakil), unser bester Herr (maula) und unser bester Helfer (nasir).« sage ich! »Der Beständige ist Er, der bleibt und besteht.« Said Nursi Link to comment Share on other sites More sharing options...
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