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Selâmün aleyküm!

 

Letzen Freitag nach dem Freitagsgebet in unserer Moschee vor Ort erhielten wir einen Flugblatt mit einer Einladung am 18. März zum Gedenken an die Schlacht von Gallipoli und dessen Sieg in der Dürener Fatih Moschee. Also beschlossen mein Vater und ich hinzugehen.

Mir war schon längst bekannt, dass aus der Dürener Moschee seit 20 Jahren der Muezzin dreimal am Tag nach draußen den Gebetsruf abhält. Also bekamen wir auch eine einmalige Gelegenheit, das für uns bis dahin als Wunschdenken existierende spektakulärste Ereignis in Deutschland mitzukriegen. Wie geplant fuhren wir am Sonntag nach Düren. Ich war schon freudig aufgeregt, dass ich keine Hemmschwelle mehr hatte, in einer Pizzeria und nachher in einer Tankstelle nach dem Weg zur Moschee zu fragen. Und endlich bekamen wir dann das hohe Minarett der Dürener Fatih Moschee zu Sicht: Ein Riese, das ankommende Autofahrer schon bei weiter Entfernung zu begrüßen scheint. Die Dürener Fatih Moschee…eine ehemalige Fabrik in altem roten Backsteinbau, dessen Verwaltungsgebäude in eine Moschee mit diversen Räumlichkeiten umfunktioniert wurde. Auf dessen Uhrturm wurde nachträglich ein Minarett mit Lautsprechern hinzumontiert. Anscheinend wurde auch eine Etage nachträglich hinzugebaut, auf welchem der große Gebetsraum der Moschee sich befindet. Die große alte Fabrikhalle gleich nebenan aber blieb weiterhin verwahrlost und dient Moscheebesuchern als Parkhaus.

Um 14:00 Uhr begann im Konferenzsaal der Moschee das Gedenkprogramm.

 

Die Schlacht von Gallipoli (türkisch besser bekannt als Çanakkale Savaþý…eine der dramatischsten Schlachten während des ersten Weltkriegs, das bei dessen Gedenken noch heute viele Menschen tief bewegt. Zum Gedenken an jene Schlacht wurde die große Moschee in Sydney (Australien) im Stadtteil Auburn Auburn Gallipoli Mosque genannt. Nach jener Schlacht wurde der Satz „Gallipoli ist unpassierbar“ bekannt…aber das alles ist eine andere Geschichte...

 

Gegen 16:00 Uhr kurz vor dem Nachmittagsgebet verließ ich die Veranstaltung und entfernte mich 150 Meter von der Moschee, weil ich den Ruf des Muezzin mit meiner Digitalfotokamera auf Video aus dieser Entfernung aufzeichnen wollte. Jedoch kam zu meiner Enttäuschung zu dem erwarteten Zeitpunkt kein Gebetsruf zu hören. Verwundernd ging ich zurück und stellte fest, dass das Programm überzogen wurde. Erst kurz vor dessen Ende lief ich wieder zurück zu dem Platz wo ich mein Video aufzeichnen wollte. Und wieder Nichts… Ich platzte vor Ungeduld, ich war kurz davor, durchzudrehen. So mancher vorbeifahrender Autofahrer muss sich gewundert haben, was ich die ganze mit einer Kamera in der Hand an der selben Stelle mache. Einer sprach mich sogar darauf an. Mir waren bereits die Hände kaltgefrohren, doch war fest entschlossen, so lange auszuharren, bis ich den Gebetsruf zu hören bekomme. Ich rechnete sogar damit, dass man wegen der Veranstaltung sogar den Nachmittagsezan ausfallen lassen wird. Ich war kurz davor, zu resignieren – es vor kurz vor 17:00 Uhr – als plötzlich „Allahu ekber Allahu ekber!“ erschallte. „Allah!“ fuhr es aus mir.

„Allâhu ekber Allâhu ekber!...Eþhedü ellâ ilâhe illallâh!......“

Ich fühlte nur noch große Ungläubigkeit. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. So selbstverständlich wie in der Türkei war der Gebetsruf laut und deutlich, und zudem wunderschön und an umliegende Häuser schallend, zu hören! Aber ich war nicht in der Türkei und fühlte mich auch nicht wie dort. Es war mitten in Deutschland, mitten in einer deutschen Kleinstadt, mitten im deutschen Alltag, mitten im deutschen Verkehr, inmitten deutscher Nachbarschaft!...Bildete ich mir das alles nur ein?...Nein! Es war keine Einbildung! Es war real!...Jaja, ich war noch in Deutschland, unweit war ein Lidl-Supermarkt zu sehen…einfach unglaublich! Hier lief etwas ab – und das hemmungslos, was im übrigen Bundesgebiet leider Empörungen hervorruft.

…„Eþhedü enne Muhammede’r-Rasûlullâh!...“

Wissen die anwesenden Deutschen aus der Nachbarschaft eigentlich, was dieser Satz bedeutet?

…„Hayyeales-Salâh!...“

Mitten in der deutschen Öffentlichkeit werden die Grundpfeiler des islamischen Glaubens so hemmungslos laut verkündet. Ein unbeschreibliches, aber angenehmes Gefühl kam in mir hoch, als wenn der Gebetsruf direkt mich anspricht, mich mit seinen warmen Worten anzieht. Mir kamen die Bilder aus den ganzen emotionalen Debatten über Moscheebauten und Ruf des Muezzins in Deutschland vor die Augen. In dem so intensiven Moment kam mir all das plötzlich absurd und obsolet vor. Als wenn das alles nun dumm dastehen würde. Als wenn man jenen Leuten, welche angeben, gegen Moschee und Muezzinruf zu sein, sagen möchte: „Kommt! Kommt hierher nach Düren, und seht es selbst!“ Ach ja, und wie verhielt sich eigentlich die deutsche Nachbarschaft in Düren? Nun, ihr war (und ist) der Gebetsruf so gut wie egal. Es wäre ihr egal, ob es in Düren den öffentlichen Gebetsruf aus der Moschee gibt oder nicht. Sie kümmerten sich weiterhin um ihre alltäglichen Angelegenheiten. Es schien so, dass sie an den Ruf des Muezzin längst gewohnt sind und es selbstverständlich nehmen. Keine Empörung wurde laut, so meine subjektive Wahrnehmung. Ich dachte mir: Gut so! Die deutsche Nachbarschaft verhält sich vorbildlich. Wie wäre es eigentlich, wenn der Ruf des Muezzin auch im übrigen Bundesgebiet so vonstatten ginge? Ich sage es euch: Es wäre nicht viel anders als in Düren! Nach anfänglicher Überraschtheit und Ungewohntheit wäre den Deutschen der Ruf des Muezzin so gut wie egal, so wie es in Düren der Fall ist. Und wie es den Serben und Kroaten in Bosnien, den Mazedoniern in Mazedonien etc. egal ist. Fakt ist, dass wir in einem Land leben, in der in Zukunft mehr Muslime leben werden, ob es die Leute nun wollen oder nicht. Und Düren ist hier ein Vorbild für das gesamte Bundesgebiet. Obwohl die Dürener Fatih Moschee angeblich die Erlaubnis bekommen hat, fünfmal am Tag zum Gebet zu rufen, so soll die Moscheeverwaltung doch beschlossen haben, den Ezan am Morgen und in der Nacht auf Dauer auszusetzen, aus Respekt vor der deutschen Nachbarschaft. Aber in jenen beiden Zeiten dürfen, soweit ist weiß, auch nicht die Glocken der christlichen Kirchen läuten. Mein Fazit: Der Gebetsruf (Ezan) ist in Deutschland also in der Praxis doch möglich. Sämtliche Empörungen sind deshalb unbegründet. Zudem lockt der öffentliche Ruf des Muezzin in Düren die Neugier der durchreisenden Deutschen, wenn sie beim Vorbeifahren an der Moschee von jenem für sie seltsamen, aber faszinierenden Spektakel überrascht werden. Alles in allem wird sich am Leben der Deutschen mit dem öffentlichen Ruf des Muezzin nichts ändern. Sämtliche Befürchtungen werden sich nicht bewahrheiten, so wie sie sich in Düren nicht bewahrheitet haben. Mir wäre jetzt lieber, nach Düren-Birkesdorf zu ziehen als nach Berlin-Neukölln. In Berlin-Neukölln ist die Moschee im Gegensatz zur Moschee in Düren zwar ein Prachtbau, aber was nützt so ein Prachtbau, wenn es nicht den Zweck erfüllt, öffentlich zum Gebet zu rufen? :-)

 

Als der Gebetsruf in Düren schließlich zu Ende ging, konnte ich immer noch nicht glauben, was ich da erlebt habe. Es war der erste öffentliche Ruf des Muezzin aus einer Moschee in Deutschland, den ich jemals erlebt habe. Ich meinte zu mir: „Also, das muss ich mir noch einmal anhören!…“ Letztendlich lief ich zur Moschee, um am Nachmittagsgebet teilzunehmen.

 

Wieder zu Hause angekommen, übertrug ich die Videoaufnahme vom Dürener Gebetsruf auf meine Festplatte. Doch zu meiner Enttäuschung musste ich feststellen, dass wegen Wind und z.T. Verkehrlärm die Tonqualität des Videos so gut wie den Bach runtergegangen ist. Aber egal, besser so als gar nicht. Natürlich musste ich das Video durch Bearbeitung auf die Zeitspanne des Gebetsrufs kürzen. Nun suche ich Wege, wie ich jenes Video im Internet veröffentlichen kann. Da kann ich einfach nicht verkneifen, den Dürener Muslimen den sanften Vorwurf zu machen, dass sie schon so lange in Düren leben und keiner von ihnen auf die Idee gekommen ist, den öffentlichen Gebetsruf auf Video aufzuzeichnen und im Internet zu veröffentlichen. Ich kann nur hoffen, dass ich mich da irre.

 

Schlussbemerkung: Zu Hause besitze ich eine Gebetsuhr von Eratec mit voreingestelltem Kalender, welche fünfmal am Tag zum Gebet ruft, mit guter Tonqualität, so, als wenn man es aus einem Kassettenspieler hören würde. Die Lautstärke habe ich so eingestellt, dass es in der in der ganzen Wohnung noch hörbar ist. Ein kleiner Trost, da wir hier zu Hause nicht so viel Glück haben wie in Düren. Aber es ist keinesfalls damit zu vergleichen! Es war ein ganz anderes Gefühl in Düren, mitten im deutschen Alltag den Ezan öffentlich zu hören. In meinem ganzen Leben habe ich den Ezan noch sie so intensiv erlebt oder genossen wie in Düren. Nicht einmal in der Türkei! Ob es an der heißen Sehnsucht in Deutschland liegt, den Ezan hören zu wollen, oder ob es daran liegt, dass für mich bis dahin etwas unmöglich oder als Illusion erscheinendes nun doch wahr geworden ist, oder ob es daran liegt, dass es ein Gefühl von Triumph ist, unseren Glauben ausleben zu dürfen, in Anbetracht all der Demütigungen durch die Medien und Fanatiker; oder alles zusammen, weiß ich nicht. Es geht mir nicht darum, gegen Deutsche zu protzen, nach dem Motto: „Ätsch! Wir dürfen zum Gebet rufen!“ Denn Protzen ist, was der Islam ächtet. Mir geht es darum, dass ihr nachempfinden könnt, was ich empfunden und erlebt habe. Jedenfalls ist für mich ein Traum wahr geworden, und ich sehe nun optimistischer in die Zukunft, was den Ruf des Muezzin in Deutschland angeht: Wenn es also in Düren so wunderbar klappt, so klappt es dann auch früher oder später auch im restlichen Bundesgebiet. Wir wollen uns das nicht erkämpfen, sondern es einfach tun. Ich weiß, dass ich hier einigen Leuten vielleicht auf den Nerv treffe. Und vielleicht wird es auch Leute außerhalb geben, welche meinen Beitrag hier verzerren, verdrehen und in den Dreck ziehen werden. Aber trotz allem – ich kann mich nicht oft genug wiederholen – will ich jenen Leuten sagen, dass sie nach Düren gehen und es selbst sehen sollen, bevor sie sich ein Urteil bilden. Auch meinen muslimischen Geschwistern empfehle ich, einmal nach Düren zu reisen, um jenes wunderbare Spektakel mitten im kalten Deutschland erleben zu können. Unweit der Dürener Moschee befindet sich auch eine (oder zwei) christliche Kirche(n), die von der Moschee aus ersichtlich ist (sind). Immerhin ein Zeichen dafür, dass friedliches Nebeneinander und Koexistenz doch möglich ist, ohne gleich einen Wirbel zu machen. :-)

 

Vesselam!

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