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Im Schatten böser Vorurteile

 

Necla Kelek will sich einen Islam neu erfinden. Ihr Buch "Himmelsreise" zeigt gut, warum ihr viele aufgeklärte Muslime darin nicht folgen.

 

Vor Jahren, als ich eine Interviewserie mit türkischstämmigen Frauen der zweiten Generation durchführte, fragten meine Gesprächspartnerinnen immer wieder, ob ich denn Necla Kelek kenne. Ihr erstes Buch Die fremde Braut war gerade erschienen, bereits damals war sie in vielen Zeitungen und Talkshows präsent. Und mehr als eine der von mir befragten Frauen erzählte mir irritiert, dass sie an sich eine paradoxe Reaktion feststellte: »So wie Kelek auf alle Türken schimpft, hab ich das Gefühl, ich muss die verteidigen. Ich versteh selber nicht ganz, warum. Wir sind nicht mal gläubige Muslime. Aber wenn ich diese Frau reden höre, geh ich sofort in Opposition.« – »Ich würde nie ein Kopftuch tragen«, sagte eine andere. »Ich würde sogar sagen, ich bin Feministin. Aber so geht das nicht. Damit hilft sie uns überhaupt nicht!« Wer ist also diese türkischstämmige Autorin Necla Kelek, die für so viele ihrer Landsleute ein rotes Tuch ist? Die aus Menschen, die oft genug selbst an und innerhalb ihrer türkischen oder muslimischen Gemeinden Kritik geübt haben, plötzlich Verteidiger derselben macht?

 

 

 

Gerade hat Necla Kelek unter dem Titel Himmelsreise ihr neuestes Buch vorgelegt. Wie die früheren vier Bücher verfolgt auch dieses die Absicht, zu belegen, dass der Islam sich nie über das Stadium einer patriarchalen Stammesideologie weiterentwickelt habe, er sei ein System der »Apartheid« zur Unterdrückung der Frau. Dazu diskutiert Kelek, die Soziologin, islamische Quellen, räumt allerdings im gleichen Atemzug ein, dass es ihr nicht um die Quellen gehe. Schließlich könne sie kein Arabisch und sei keine Islamwissenschaftlerin. Das wäre auch völlig in Ordnung, stellte sie nicht im wiederum nächsten Abschnitt kühne Thesen über eben jene Quellen auf, von denen sie eben noch sagte, dass sie sie eigentlich nicht interessierten! Wenn Kelek ihren Status als Erfolgsautorin verdient hat, dann genau deswegen: weil sie eine Meisterin der unbelegten Behauptung, der sinnentstellenden Paraphrase und des aus dem Kontext gerissenen Zitats ist.

 

Einer Sisyphusaufgabe kommt es daher gleich, die sachlichen Fehler der Himmelsreise zurechtzurücken. Im Folgenden nur eine kleine Auswahl. Beispielsweise suggeriert Kelek, die erste verbindliche, lesbare Ausgabe des Korans stamme aus dem Jahr 1923. Tatsächlich aber existiert in der Bibliothek des Topkapi Serails in Istanbul ein Exemplar aus dem 7. Jahrhundert nach Christus, es ist gut erforscht und liegt inzwischen sogar im Faksimiledruck vor. Kelek behauptet: »Wer sich von seiner Religion abkehrt, den tötet, sagt der Koran.« Das ist schlicht und einfach falsch. Man braucht sich nur einmal anhand eines Koranindex die knapp zwanzig Stellen zu »Abtrünnigen« anzusehen. Um ihre Auffassung zu untermauern, der Islam kenne »die Vorstellung der Erlösung« nicht, schreibt Kelek: »Zusammenfassend stellt der Koran fest: »Die Seele gebietet mit Nachdruck das Böse.« Jedoch handelt es sich hier um die Worte des Propheten Joseph, die im vollen Zitat lauten: »Und ich erkläre mich nicht selbst für unschuldig. Die Seele gebietet ja mit Nachdruck das Böse, es sei denn, mein Herr erbarmt sich. Mein Herr ist voller Vergebung und barmherzig« (12:53).

 

Geradezu kindlich muten Sätze an wie: »Frauen dürfen ins Paradies, aber dort nur in den Schatten und auch nur als Ehefrauen.« An keiner Stelle lässt der Koran Zweifel daran, dass Männer und Frauen vor dem Jüngsten Gericht gleichermaßen zur Verantwortung gezogen und entlohnt werden. »Siehe, Ich lasse keine Tat von euch verloren gehen, sei es von einem Mann oder einer Frau. Die einen von euch stammen ja von den anderen… Ich will ihre Missetaten vergeben, und wahrlich, Ich will sie in Gärten führen, durcheilt von Bächen, als Lohn von Allah…« (3:195). Oder: »Wer aber Rechtes tut, sei es Mann oder Frau, und gläubig ist, jene sollen ins Paradies eingehen und nicht um eine Rille im Dattelkern Unrecht erleiden« (4:124).

 

Wie Kelek auf die Idee kommt, die Frauen hätten im Jenseits alleine im Schatten herumzusitzen, lässt sich leider nicht eruieren, da sie stets auf Stellenangaben verzichtet; im Allgemeinen jedenfalls steht »Schatten« im Rahmen nahöstlicher Jenseitsvorstellung für etwas Positives, ähnlich wie das Wasser und die grünen Gärten (siehe etwa 4:47).

 

Im Grunde ist dieses Buch nur solchen Lesern zuzumuten, die sich in der Materie bereits auskennen. Alle anderen könnten seinen Inhalt für wahr halten, und das wäre fatal. Noch bezeichnender als Keleks sachliche Fehler ist allerdings, wie sie sich äußert. Vielleicht liegt hierin der Grund, warum sie so viele verprellt, die mit muslimischem Hintergrund aufgewachsen sind. Man spürt sofort, dass zu vieles nicht stimmt, dass der Tonfall zu schrill ist. Dass in diesen Büchern nicht nachgedacht, sondern gewettert wird und dass sie weniger geeignet sind, beim Leser Informationsbedürfnisse zu befriedigen, als Ressentiments zu bestätigen. Tatsächlich lässt Kelek kein antiislamisches Klischee ungenutzt. Mohammed habe seine Frauen »beschlafen« und das mythische Material des Alten Testaments nach Art eines »Überfalls« oder »Raubs« entwendet. Weil der Islam die Vorstellung vom Kreuzestod Jesu ablehne, sei er immerfort auf »Blutopfer« angewiesen. »Sexualisiert und gewalttätig« sei »das« muslimische Leben im Alltag.

 

»Der Pfadfinderspruch ›Immer bereit!‹ ist auf sexuellem Gebiet das, was das Ideal eines muslimischen Mannes ausmacht.« Tatsächlich?

 

Doch auch die Frauen, die Kelek angeblich von diesen Männern befreien will, werden von ihr höchst abfällig beschrieben. »Ich stellte mich zu zwei türkischen Frauen, die sich, kopfschüttelnd und ›wah, wah‹ und ›uff, uff‹-Laute ausstoßend, auf Türkisch unterhalten.« Üblicherweise sagt man nur von Tieren, dass sie »Laute ausstoßen«. Einen respektvollen Austausch auf Augenhöhe initiiert eine solche Annäherung nicht.

 

Ohnehin ist unklar, ob Kelek über Schulterschlüsse mit Populisten wie Henrik M. Broder oder mit dem FAZ- Herausgeber Frank Schirrmacher hinaus fähig ist, mit irgendjemandem Koalitionen zu schmieden. Man könnte ja annehmen, sie sei stets auf der Suche nach Verbündeten, um den Islam zu reformieren und insbesondere den Frauen zu helfen. Doch die selbst ernannte Frauenbefreierin Kelek vertraut offenbar nur einer aufrechten Kämpferin: sich selbst. Die denkbar moderne Journalistin Hatice Akyün verunglimpft sie als »Ulknudel der Integration«, ihre Bücher nennt sie »Schmonzetten aus dem lustigen Migrantenstadel«. Die für die Frauenbildung und -aufklärung außerordentlich engagierte Ayten Kilicarslan verfemt sie auf haarsträubende Weise. Lamya Kaddor, die soeben ein höchst lesenswertes Buch über ihre Arbeit als islamische Religionslehrerin veröffentlicht hat (Muslimisch, weiblich, deutsch!, C. H. Beck), wird nicht erwähnt, und wenn Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime die fünf Grundpflichten jedes Muslims beschreibt, verspottet Kelek dies als »Islam light«.

 

Damit greift sie eine rhetorische Wendung der Rechten auf, die im Internet mehrere Websites zur »Beobachtung« des Islams unterhalten. Weil es aus Sicht solcher extremer Islam-Feinde nur gewalttätigen Islam geben kann (oder darf), ist per definitionem jeder nicht gewalttätige Islam Täuschung und Lüge. Ebenso kann es für Kelek den modernen Islam, den sie angeblich fordert, noch nicht einmal ansatzweise schon geben, er müsste überhaupt erst begründet werden, argumentiert Kelek. Vermutlich durch sie. »Wir Muslime«, schreibt sie auf der letzten Seite des Buches völlig überraschend, »müssen den Zweifel zulassen und die Philosophie wieder in ihre Funktion als kritischen Dialogpartner der Religion einsetzen.« Kurz, die Welt hat nur auf Kelek gewartet, insbesondere die islamische Welt. Nach der Lektüre der Himmelsreise mit ihren hanebüchenen Verzerrungen und Gehässigkeiten versteht man allerdings, warum sich kaum ein Muslim Necla Keleks Führung anvertrauen will.

 

Die Zeit, 26.03.2010

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