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Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime in Deutschland. Von Yasin Alder

(iz). In der Wahrnehmung weiter Teile der Mehrheitsgesellschaft sind Islam und Muslime in Deutschland noch immer etwas fremdes; etwas, das noch nicht wirklich als zu Deutschland gehörend, als Normalität betrachtet wird. Der Islam wird noch nicht als einheimische Religion betrachtet. In einer der vergangenen IZ-Ausgaben wurde selbstkritisch reflektiert, was auch die Muslime dazu beigetragen haben könnten, dass diese Sicht noch so stark bestehen bleibt.

 

Im Folgenden soll es nun um einige Gedanken dazu gehen, wie Muslime eine Identität entwickeln können, die sie „mit beiden Beinen“ sowohl im Islam als auch in der deutschen Gesellschaft stehen lässt, sodass sie sich stärker hier verwurzelt und beheimatet fühlen. Zu hoffen ist, dass dies dann auch auf nichtmuslimischer Seite zu einer Änderung der vorherrschenden Wahrnehmung führt.

 

Rauf Ceylan, Professor für Islamische Religionswissenschaft an der Universität Osnabrück, betrachtet das Thema aus wissenschaftlicher Perspektive. „Ausgrenzungs- und Selbstausgrenzungsprozesse bedingen einander. Daher berufen sich auch viele muslimische Jugendliche noch auf ihre ‘ethnische Wurzeln’ wie zum Beispiel die türkischen Jugendlichen. Erst die Zuschreibungsprozesse produzieren also so genannte kulturelle Unterschiede und fördern wiederum eine ethnische Re-Definition“, erklärt er das Phänomen der Persistenz der Ethnizität unter den Muslimen mit Migrationshintergrund.

 

Von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, welche ja die Definitionsmacht inne habe, erwartet Ceylan, dass Muslime immer als Teil dieser Gesellschaft kommuniziert werden, wie es der ehemalige Bundesinnenminister Schäuble bei der Deutschen Islam Konferenz auch getan habe. Den Muslimen rät er, sich einbürgern zu lassen und sich als Teil dieser Gesellschaft zu verstehen. „Muslime sollten sich nicht immer nur in problematischen Kontexten in Gespräch bringen oder als Bittsteller, sondern auch zeigen, dass sie dieser Gesellschaft etwas bieten können“, so Prof. Ceylan. „Ein Muslim kann problemlos in einer multikulturellen, polykontextuell verfassten (post)modernen Gesellschaft mit seiner Identität leben. Hier leben deutsche Christen, Juden, deutsche Atheisten, und warum nicht auch deutsche Muslime?“ An die Adresse der muslimischen Dachverbände gerichtet fordert Prof. Ceylan, dass diese sich viel stärker öffnen müssten: „Ich unterscheide zwischen den Dachverbänden und den lokalen Vereinen. Die lokalen muslimischen Vereine sind im Öffnungsprozess viel weiter als die Dachverbände. Die Veränderungen finden von unten nach oben statt. Dies muss auch bei den Dachverbänden ankommen.“ Als wesentliche Faktoren sieht er dabei auch die Imame: „Sie sind Integrations- und Schlüsselfiguren in der muslimischen Community. Sie sind wichtige gesellschaftliche und politische Multiplikatoren. In vielen islamischen Ländern dieser Erde genießen sie meistens mehr Autorität und Vertrauen als staatliche Institutionen, teilweise auch in Deutschland. Nach wie vor kommen Imame aus dem Ausland, um die deutsch-muslimische Community zu betreuen. Daher müssen wir in Deutschland dafür sorgen, dass die Imame hierzulande ausgebildet werden.“

 

Die Absicht klären

Ahmad Gross von der Islamischen Gemeinschaft am Park Sanssouci (IGAPS) in Potsdam, einer Gemeinschaft mit hohem Anteil deutschstämmiger Muslime, gibt zu bedenken, dass man als Muslime zunächst einmal sich ganz grundlegend über seine Absichten klar werden muss: „Wir müssen als Muslime immer wieder unsere Absicht reinigen und auf das Höchste fokussieren. Was ist die Absicht (Nijjat), der Sinn unseres Lebens, unseres Hierseins in Europa?“ Die Anbetung des Schöpfers und die Versorgung der Familie gehörten selbstverständlich zu den wichtigsten Aufgaben eines Muslims. Ahmad Gross sieht aber noch andere Aufgaben für hier lebende Muslime: Ein Muslim sollte „nach den pflichtgemäßen Akten der Anbetung wie Gebet oder Zakat zusätzlich auch jenen Nichtmuslimen um ihn herum, die etwas brauchen, von seinem nützlichen Wissen, von seiner Glaubens-Fülle, von seinem Reichtum etwas anbieten“, sagt Gross.

 

Damit ist die Da’wa gemeint, die „Information über und annehmbare Einladung zum Islam“, wie Gross es beschreibt. „Unsere Lebensprioritäten als Muslime müssen die Nachbarn, die Stadt, in der wir leben, mit einschließen. Wenn wir unsere - nichtmuslimischen - Haus- und Straßen-Nachbarn nicht grüßen, sie nicht zu uns einladen, oder sie gar als Luft zu behandeln, so riskieren wir den Verlust von Allahs Wohlwollen“, sagt der Leiter der IGAPS. Man müsse immer wieder zu dieser höchsten Absicht zurückkehren. Weiterhin betont er auch die Wichtigkeit, als Muslime nicht vereinzelt, sondern Teil einer lokalen Gemeinschaft von Muslimen zu sein. „Vertrauen schaffen - Adel und Barmherzigkeit ausstrahlen“, rät er weiterhin. Muslime sollten auch eine Begeisterung für ihren Din ausstrahlen. „Will man mit seinen nichtmuslimischen Mitbürgern nicht nur sprachlos nebeneinander her existieren, sondern in einen gegenseitig anregenden Austausch gelangen, so ist es ein Segen, wenn man als Muslim irgend einen Enthusiasmus, eine Begeisterung, eine Liebe für irgend etwas mit einem Nichtmuslim teilen kann. Gemeinsame Neigungen schaffen Vertrauen. Nur auf Basis von Vertrauen kann ein echter Austausch und letztlich auch die Vermittlung von nützlichem Wissen stattfinden.“

 

Gross geht noch einen Schritt weiter und unterzieht auch das äußere Erscheinungsbild von Muslimen hierzulande einer kritischen Reflexion. „Nichtmuslimen fällt es leichter, sich auf uns einzulassen, wenn sich unsere Kleidung und äußeres Auftreten dort europäischen Gepflogenheiten anpasst, wo sie schön und würdevoll sind. Warum sollten wir als Muslime in Europa mit orientalischer Kleidung und Rübezahl-Bart Nichtmuslime unnötig verschrecken und so von den gemeinsamen Bedürfnissen aller Menschen ablenken?“ Freilich könnte man nun auch argumentieren, dass die Mehrheitsgesellschaft auch in der Lage sein sollte, eine gewissermaßen vom Mainstream abweichende Kleidung zu akzeptieren - in anderen westeuropäischen Staaten wie unter anderem Großbritannien ist es keine Seltenheit, auch männliche Muslime mit typischen traditionellen Kopfbedeckungen oder Gewändern zu sehen. Nur ist dies eben auch keineswegs zwingend und in der gegenwärtigen Situation in Deutschland vielleicht weniger angebracht, auch aus den von Gross genannten Gründen.

 

Die Sprache des neuen Heimatlandes zu erlernen, stelle eigentlich schon aus islamischer Sicht eine Selbstverständlichkeit dar, da dies einer prophetischen Aufforderung entspriche, und sollte eigentlich von der Mehrheitsgesellschaft nicht erst noch eingefordert werden müssen, meint Gross. „Als Muslime haben wir einen entscheidenden prophetischen Wissens- und Verhaltensvorsprung. Muslime haben eigentlich gar keine Forderungen an Nichtmuslime; wir haben ein Angebot für sie. Und die Hand, die gibt, ist über der Hand, die nimmt, wie es im Hadith heißt“, fasst er zusammen.

 

Prioritäten setzen

Auch die deutsche Muslimin Silvia Horsch aus Berlin sieht als wesentliches Merkmal einer islamischen Identität an erster Stelle den Bezug zu Allah. „Das ist der größere Maßstab, an dem man sich ausrichtet, statt an Menschen, von denen man meint, dass sie die eigene Gruppe darstellen. Man sollte das nicht verwechseln mit einer kulturellen Zugehörigkeit, die ohnehin immer sehr stark konstruiert ist - und im Falle einer türkischen oder arabischen Kultur in Deutschland noch mehr konstruiert ist, da sie sich ja außerhalb der jeweiligen Länder befindet“, meint die promovierte Islamwissenschaftlerin. „Wenn man sich von diesem Leitkultur-Gerede beeinflussen lässt und die deutsche Gesellschaft als etwas vermeintlich homogenes wahrnimmt, das sich letztlich gegen den Islam stellt, dann wird einem die Entwicklung einer hier verwurzelten islamischen Identität kaum gelingen. Wenn man dies aber als Konstrukt erkennt und sieht, dass die deutsche Gesellschaft ja auch in sich sehr unterschiedlich ist, dann kann man in diesem ‘Patchwork-Teppich’ seinen legitimen Platz finden.“ Häufig werde so getan, als sei es eine völlig neue Situation, dass Muslime als Minderheit in einer mehrheitlich nichtmuslimischen Gesellschaft leben, doch habe es das historisch schon immer gegeben. Man sollte dies eher als etwas normales Ansehen und als eine Bereicherung, meint Horsch. „Wenn man sich als Muslime in der Minderheit beispielsweise in Fragen wie die von Halal und Haram zu sehr hineinsteigert, sodass es zu einem Abgrenzungsmechanismus führt, dann kann es auch negative Auswirkungen haben, auch wenn es im Grunde etwas positives ist.“

 

Vielfach sind Muslime im - gerade in Deutschland wichtigen - Vereinsleben unterrepräsentiert, wenn man von Sportvereinen einmal absieht. Es muss ja auch nicht der Karnevalsverein sein. Aber Vereine und Interessengruppen, die sich vor Ort für sinnvolle und wohltätige Dinge einsetzen, dies es zahlreich gibt, würden sich anbieten - von karitativen Projekten bis hin zu Naturschutzvereinen oder der freiwilligen Feuerwehr, um nur Beispiele zu nennen. Dadurch würde man auch zeigen, dass Muslime den Ort, an dem sie leben, tatsächlich als ihre Heimat betrachten, ihn überhaupt wahrnehmen und ein Interesse daran haben, sich auch für das Allgemeinwohl einzusetzen. In der Öffentlichkeitsarbeit der Moscheen sollte das Islamische im Vordergrund stehen und nicht das Kulturelle - es geht um muslimisch-nichtmuslimische Begegnungen und nicht türkisch-deutsche oder arabisch-deutsche. Dies müssen auch die Verbände endlich realisieren, denn sonst wird der Heimischwerdung der Muslime ständig entgegengearbeitet.

 

Man könnte vieles aufzählen, aber letztlich ist es eine Frage der inneren Haltung - versteht man sich zuerst als Muslime, die in Deutschland leben und ansässig sind, oder steht an erster Stelle die Herkunftsnationalität oder -ethnizität? Es ist eine Frage der Prioritäten. Dabei ist ganz klar, dass vor Allah das Muslimsein das entscheidende Kriterium ist.

 

www.islamische-zeitung.de

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  • 3 Wochen später...

Mir liegt folgendes am Herzen

auf der ganzen Welt läuft ein schmutzige Propaganda gegen Muslime. Wer denkt nicht sofort an Terroristen wenn er das Wort Moslem hört, selbst Muslime. Muslime bekommen sofort ein beklemmendes Gefühl und wissen nicht wie sie sich verteidigen, distanzieren , noch schlimmer entschuldigen sollen. Die Antwort lautet , GAR NICHT.

Dabei sind es Regierungen der Westlichen Länder hauptsächlich Regierung der USA die wahren Terroristen. Die Inszenieren sogar unglaubliches an das eigene Volk um das Ganze auf die Muslime aufzubürden und dann das nächste muslimische Volk zu Überfallen. Gestern Irak und Afghanistan heute Jemen und Saudi Arabien. Falls niemandem aufgefallen ist in Jemen und in Saudi Arabien haben US Flugzeuge bereits Bomben abgeworfen und Zivilbevölkerung getötet.

Ich frage mich wann ist Mekka und Medina dran?

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