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Im Streit über den Sonderimpfstoff für Politiker und Beamte gerät die Bundesregierung immer stärker in die Kritik - wiegelt aber ab: Alle Präparate gegen die Schweinegrippe seien ähnlich, beteuert das Gesundheitsministerium. Kanzlerin Merkel will sich den normalen Volksimpfstoff verabreichen lassen.

 

Berlin - Eigentlich ist Angela Merkel in diesen Tagen mit den Koalitionsverhandlungen gut beschäftigt. Doch seit dem Wochenende muss die CDU-Chefin sich mit einem Thema herumärgern, dass sie bislang so gar nicht auf dem Plan hatte. Die umstrittene Sonderimpfung für Politiker und hohe Beamte gegen die Schweinegrippe, die der SPIEGEL enthüllte, sorgt für reichlich Aufregung.

 

Und so steht seit Montag fest: Merkel will mit gutem Beispiel vorangehen und auf das Luxusserum verzichten. Die Kanzlerin werde sich, wenn überhaupt, das ganz "normale" Mittel verabreichen lassen, das auch dem Rest der Bevölkerung zur Verfügung stehe, teilte ein Sprecher mit. Basta.

 

Ob diese demonstrative Geste der Regierungschefin ausreicht, um den geballten Unmut über die Extrawurst für die Politiker einzudämmen, ist fraglich. Die Regierung gerät wegen der Sonderbestellung aus dem Bundesinnenministerium weiter unter Druck. Etliche Verbände und Experten kritisieren das Vorgehen. Auch die Opposition ist empört: "Die Menschen lassen sich doch nicht mit etwas impfen, vor dem die Herren Beamten Angst haben. Wenn man Menschen verunsichern will, muss man es so machen", sagte Ulrich Maurer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, zu SPIEGEL ONLINE: "Das ist nackter Irrsinn."

 

Wenn es mal wirklich ernst werde, sei die Bereitschaft in der Bevölkerung nun vermutlich gering, sich impfen zu lassen, meint Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen: "Da hat die Bundesregierung Mist gebaut." Das Verhalten der Regierung nennt er "leichtfertig" - sie habe sich von der Pharmaindustrie offenbar über den Tisch ziehen lassen, als sie über den Wirkstoff für die breite Bevölkerung verhandelt habe. Die Grünen sähen die Massenimpfungen noch immer mit großer Skepsis. Man habe alles getan, um diese Skepsis zu vergrößern.

 

Das Bundesgesundheitsministerium weist die Kritik empört zurück. "Es gibt keinen guten und keinen schlechten Impfstoff", sagt Ministeriumssprecher Klaus Vater. Auf dem Markt befänden sich inzwischen drei Präparate gegen Schweinegrippe - alle seien "wirksam, sicher und zuverlässig". Wer anderes behaupte, zerstöre das "Vertrauen in die Leute, die das Geschäft seit vielen Jahren bestreiten." "Völlig unzutreffend" seien Berichte, die von einem "Sonderimpfstoff" sprechen, meint auch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm - und der Vertreter des Verteidigungsministeriums nennt entsprechende Meldungen "Legenden".

 

Die Regierung ist in Aufregung. Kein Wunder - trifft doch die Impfdebatte die noch amtierende genauso wie die künftige schwarz-gelbe Koalition an einer äußerst empfindlichen Stelle: In keinem anderen Bereich tobt ein ähnlicher "Zweiklassenstreit" wie in der Gesundheitspolitik. Und das seit Jahren: Ob bei den Leistungen der privaten und gesetzlichen Krankenkassen, dem Gesundheitsfonds oder den Praxisgebühren - stets geht es um die Frage, wie sozial gerecht es in Deutschland zugeht.

 

 

"Es gibt keine verstärkertypischen Nebenwirkungen"

 

Entsprechend vehement versucht die Regierung den Eindruck zu vermeiden, beim Thema Schweinegrippen-Impfung sei ihr das Gerechtigkeitsgefühl vollends abhanden gekommen. Fraglich ist, ob sich der Eindruck überhaupt noch einfangen lässt. Nicht weil das Innenministerium einen anderen Wirkstoff bestellte, als den, der für die Massenimpfung der Bevölkerung vorgesehen ist. Sondern weil es vom US-Hersteller Baxter den Impfstoff Celvapan kaufte, der ohne Wirkverstärker auskommt und deshalb als verträglicher gilt, als das Konkurrenzprodukt Pandemrix, mit dem die Massenimpfung bestritten werden soll. Minimal zwar, aber medizinisch eben durchaus relevant, wie Studien belegen.

 

Das findet Ulla Schmidts Sprecher Klaus Vater zwar nicht: "Es gibt keine verstärkertypischen Nebenwirkungen." Aber Regierungssprecher Ulrich Wilhelm stellt vorsichtshalber mal klar, dass das Serum ja nur Soldaten, Bundespolizisten und Mitglieder von Krisenstäben erhalten sollten und nicht sämtliche Mitglieder der Bundesregierung.

 

Nur: Wie kam es überhaupt zu den unterschiedlichen Bestellungen? Keine Absicht, meint die Regierung. Das spezielle Serum sei nicht etwa bestellt worden, weil es weniger Nebenwirkungen hervorrufe, sondern wegen eines schon lange bestehenden Vertrags, so Wilhelm. So habe die Bundesregierung einen Rahmenvertrag mit dem US-Hersteller geschlossen, für den Fall, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Pandemie feststellt - und zwar schon am 14. Oktober 2008. Über mögliche Wirkverstärker oder Zusatzstoffe sei in der Vereinbarung aber nichts zu finden.

 

Viel besser macht das die Sache nicht. Denn wenn alles so absehbar gewesen ist, wie behauptet, hätte die Regierung die Brisanz auch frühzeitig erkennen und Zweierlei machen können: Nämlich entweder die Extrabestellung stoppen oder die absehbare Debatte mit einer vernünftigen Kommunikationspolitik vorab verhindern.

 

 

Opposition fordert Wahlfreiheit für Bürger

 

Die nachträgliche Verteidigungsstrategie der Koalition scheint jedenfalls nicht so recht zu fruchten. Sowohl Grüne als auch Linke fordern, die breite Bevölkerung solle sich ebenso wie Spitzenbeamte und Politiker zwischen den verschiedenen Präparaten entscheiden können. "Diejenigen, die sich gegen die Schweinegrippe impfen lassen möchten, sollten die Wahl haben - genauso wie die Mitglieder der Bundesregierung", fordert Jürgen Trittin.

 

Große Chancen auf Realisierung hat die Forderung indes nicht. Am Montagmorgen haben bereits erste Dosen des Massenimpfstoffs Pandemrix das Dresdner Werk des Herstellers GlaxoSmithKline verlassen, um in die Bundesländer versandt zu werden. Jeden Tag sollen jeweils vier Länder die Lieferungen erhalten. Bereits am kommenden Montag könnten die ersten freiwilligen Impfungen beginnen.

 

 

Veit Medick und Katharina Peters, Spiegel, 19.10.2009

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