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Lebensmittel für Muslime

Mit Allah an der Fleischtheke

Von Daniela Schröder

 

AFP Reuters AP zur Fotostrecke

 

Lebensmittelkonzerne wittern einen neuen Milliardenmarkt: Produkte, die nach den Regeln des Islam hergestellt werden, verkaufen sich in Frankreich und Großbritannien bestens. Doch in Deutschland fürchten Händler Ärger mit Tierschützern.

 

Gehlenberg ist ein verschlafenes Dorf im Süden des Oldenburger Landes. Gut 1600 Einwohner, Vereinshaus, Kirche, Kriegerdenkmal, die Gaststätte heißt "Hütten Bernd". An den Straßen mehrere Kruzifixe und eine winzige Kapelle. In einer weißen Fabrikhalle am Rand des erzkatholischen Ortes aber läuft an drei Tagen pro Woche alles nach den Regeln des Propheten Mohammed. Das Familienunternehmen Meemken produziert dort ein breites Sortiment an Wurst, die islamischen Ernährungsregeln entspricht. Fast hundert Tonnen korankonforme Salami, Brat- und Fleischwurst liefert der Betrieb jede Woche an Lebensmittelhändler im In- und Ausland.

 

 

 

ANZEIGEInternationale Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder Unilever bieten schon seit Jahren eine Vielzahl von Produkten an, die im Sinne des Koran als unbedenklich gelten. " Halal" auf Arabisch und "helal" auf Türkisch bedeutet "das Zulässige, das Erlaubte", der Begriff bezieht sich auf die gesamte Lebensweise der Muslime. Die richtige Ernährung spielt dabei jedoch eine Hauptrolle. Dass sich mit dem religiös geprägten Konsumverhalten gut verdienen lässt, erkennen allmählich auch deutsche Unternehmen. Gerade in unsicheren Zeiten verlockt der Gedanke, sich einen neuen Markt zu erschließen.

 

Der ist in Deutschland größer als bisher angenommen. Einer jüngsten Studie zufolge leben in der Bundesrepublik zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime. Und weil sie in der Regel mehr Kinder haben als Nichtmuslime, ist Wachstum in der Zukunft programmiert. Bereits heute macht Halal rund 17 Prozent des weltweiten Nahrungsmittelumsatzes aus, heißt es beim World Halal Forum in Malaysia.

 

Das Potential sei längst nicht ausgeschöpft, sagen die Branchenkenner, kein Segment auf dem Lebensmittelmarkt wachse so schnell wie Halal: 2004 habe der weltweite Umsatz mit islamkonformen Lebensmitteln 587 Milliarden Dollar betragen, 2010 sollen es bereits 641 Milliarden Dollar sein. Für Europa sagen die Experten im kommenden Jahr einen Umsatz von 67 Milliarden Dollar voraus.

 

Händler fürchten Ärger mit Tierschützern

 

Die Handelsketten in Ländern mit vielen muslimischen Einwohnern haben sich auf deren Komsumwünsche bereits eingestellt: In Frankreich bieten die Casino-Supermärkte halal produzierte Fleisch- und Wurstwaren, in England sind es Tesco und Sainsbury. Französische Feinkostläden führen Halal-Gänseleberpastete und die britische Drogeriekette Boots verkauft halal hergestellte Babynahrung.

 

In deutschen Supermärkten aber ist das Angebot mau. Besonders vor Fleisch und Wurst aus Halal-Schlachtung schrecken viele Händler zurück, da sie Ärger mit Tierschützern fürchten. Ohne Betäubung zu schlachten ist in Deutschland grundsätzlich verboten, den meisten Muslimen aber gilt ein betäubtes Tier bereits als tot und sein Verzehr daher als Verstoß gegen das Aas-Verbot im Koran. Um das Problem zu umgehen, kaufen viele deutsche Halal-Produzenten ihr Fleisch im Ausland.

 

Doch auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft ist das Thema Schächten umstritten. "Man muss verstehen, aus welcher Zeit die Regeln des Propheten stammen und darf sich nicht blind an traditionelle Vorgaben halten", sagt etwa Yusuf Çalkara vom Europäischen Halal-Zertifizierungsinstitut in Hamburg. Andere Zertifizierer dagegen lehnen es ab, Fleischbetriebe zu prüfen. "Industriefleisch ist nie halal", sagt Mahmoud Tatari von Halal Control in Rüsselsheim. Laut islamischen Regeln dürfen die Tiere weder Stress noch Qualen ausgesetzt sein, doch diese Vorschrift werde in der Massenproduktion nicht erfüllt.

 

Auch Regeln wie das Anrufen Allahs beim Schlachten eines jeden Tieres sehen die Zertifizierer unterschiedlich streng. Manchen reicht bei maschinellem Schlachten ein Ruf vom Tonband, starten muss es jedoch ein Muslim. Wegen der unterschiedlichen Auslegungen der Koranregeln haben sich Deutschlands gläubige Muslime bisher nicht auf einheitliche Halal-Standards einigen können. Weil aber die Islamgläubigen hierzulande verschiedenen Organisationen angehören, fehlt eine übergeordnete Aufsicht für ein gemeinsames Prüfsiegel. Entsprechend groß ist der Markt der Halal-Zertifizierer, die Rohstoffe, Herstellung, Reinigung und Zulieferer kontrollieren.

 

Der Wursthersteller Meemken hat das Audit gerade erfolgreich abgeschlossen. Seine 60 Halal-Artikel machen bereits mehr als die Hälfte der gesamten Produktion aus. Bisher belieferte der Betrieb Handelsketten im europäischen Ausland, jetzt stehen auch deutsche Filialen des Discounters Netto auf der Kundenliste.

 

"Bei Halal wachsen wir überproportional"

 

Noch werden die Maschinen penibel gereinigt, damit an den Halal-Tagen keine Spuren von Schweinefleisch in die Würste gelangen. Eine neue Anlage soll die Produktion bald trennen. "Wir werden den Bereich auf jeden Fall weiter ausbauen", sagt Geschäftsführer Rolf Meemken. "Bei Halal wachsen wir überproportional."

 

Auch der Geflügelhersteller Wiesenhof lässt seine Produkte bereits seit Jahren als islamkonform zertifizieren. Ob ein Halal-Logo auf der Ware klebt, das entscheiden Großhändler und Supermarktkette jedoch selbst. "Deutsche Unternehmen sind zu vorsichtig", sagt Levent Akgül von der Ethno-Marketing-Agentur Akkar Media in Hannover. "Sie kennen die andere Kultur nicht und können die Risiken nicht abschätzen." Außerdem fürchte sich der deutsche Lebensmittelhandel davor, mit Halal-Ware in den Regalen nichtmuslimische Kunden abzuschrecken, sagt Akgül. In Deutschland Werbung für islamkonforme Produkte zu machen, sei für heimische Unternehmen daher tabu.

 

Wohl nicht mehr lange. "Der Halal-Trend ist nicht aufzuhalten", sagt Peter Grothues, Chef des Bereichs Ernährung bei der Kölnmesse. Dort präsentieren auf der Lebensmittelausstellung Anuga im Oktober mehr als 800 Aussteller ihre halal hergestellten Produkte. Der Großteil kommt aus dem Ausland, viele exportieren schon seit Jahren nach Deutschland. Noch gibt es ihre Produkte vor allem im Onkel-Ahmed-Laden um die Ecke. "Doch Halal ist eine ziemliche Hausnummer und wird für den Handel ein immer wichtigerer Pfeiler", heißt es beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels.

 

Hohe Kaufkraft

 

Kein Wunder, allein die Kaufkraft der Deutsch-Türken liegt bei rund 20 Milliarden Euro im Jahr. Am Geschäft mit religiösen Regeln lässt sich daher gut verdienen, Nestlé etwa macht mit Halal-Produkten schon jetzt mehr Umsatz als mit Bioware.

 

Denn es geht nicht nur um Fleisch und Wurst. 'Halal' können alle Lebensmittel sein, vom Käse ohne tierische Enzyme bis zu Keksen, Gewürzen und Kaffee, wenn die Hersteller ihre Produktionsanlagen mit alkoholfreien Mitteln putzen. Vor kurzem kamen Haribo-Gummibärchen mit Rindergelatine auf den Markt, und auch Apfelsaft gibt es explizit in Versionen, die nicht mit Schweinegelatine gefiltert wurden.

 

"Aber der Halal-Markt ist längst nicht gesättigt", sagt Derya Altay vom Bundesfachverband des Türkischen Groß- und Einzelhandels. "Wo der deutsche Verbraucher aus zig Sorten auswählen kann, hat der muslimische Käufer gerade mal zwei oder drei zur Wahl."

 

Für die deutsche Industrie würde sich auch der Blick über den Tellerrand lohnen, sagt Altay. Mahmoud Tatari zertifiziert übrigens auch Hotels, Gaststätten und Krankenhäuser als halal.

 

 

Spiegel Online, 06.10.2009

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