Adem Geschrieben 18. April 2008 Teilen Geschrieben 18. April 2008 Ein konkretes Beispiel für Islamisierung/Religiösierung: Die Tamil Tigers auf Sri Lanka verüben mehr Selbstmordanschläge als Hamas. Dennoch wird vor allem letztere Organisation medial in den Vordergrund gerückt und zusätzlich als „radikal-islamisch“ markiert – als wäre das von Relevanz. Wenn wir also heute meinen, wir müssten Koran und Islam studieren, um die Welt zu verstehen, sind wir reingefallen. In dieses Bild passen auch die Vorgänge rund um die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die Innenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen hat und die offiziell dazu beitragen soll, dass Islam und Muslime als selbstverständlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft angesehen werden. Offiziell! Ihre Agenda konstruiert jedoch einen Gegensatz zwischen dem Muslimsein und der Demokratischen Grundordnung, den es in der Realität so gar nicht gibt bzw. der auf den Katholizismus ebenso zutreffen würde – etwa die Relevanz des religiösen Votums aus Rom und die Notwendigkeit, Gottes- und Menschengesetz in Einklang bringen zu müssen. Von Anfang an waren die öffentlichen Hauptsitzungen der DIK von Skandalen begleitet, die für Aufregung sorgten. Diese überschatteten jeweils termingerecht die Konferenz und schürten Angst vor und Argwohn gegen Muslime, auf die nun besondere Aufmerksamkeit gelenkt war. Wer für die Inszenierungen verantwortlich zeichnet, ist nicht genau auszumachen: Jedenfalls hat kein Muslim die Absetzung der Idomeneo-Oper in einer Inszenierung, in der u.a. Mohammed geköpft wurde, verlangt. Innensenator Körting hatte einen ungeprüften Verdacht an die Intendantin des Theaters weitergegeben. Kurze Zeit darauf räumte er ein, dass es keine konkreten Verdachtsmomente gab. Der Ruch der Absetzung als Reaktion auf Protest von Muslimen blieb bestehen. Für die Aufregung um die zweite DIK-Sitzung war das Innenministerium verantwortlich, das erst knapp vor dem öffentlichen Termin das Sitzungsprotokoll verschickt hatte, so dass die muslimischen Vertreter dann nur noch öffentlich auf einige missverständliche Formulierungen darin reagieren konnten. Da weiterhin über das Verfahren innerhalb der Arbeitsgruppensitzungen der DIK nichts nach außen dringt (z.B. Festlegung der Agenda ausschließlich durch das BMI, Sicherheitsfragen nur für Nichtmuslime, nicht für Muslime uvm.) verwundert auch die Aufregung um eine weitere öffentliche Sitzung Mitte März nicht. Nun ist der Innenminister selbst dafür bekannt, in Bezug auf unsere muslimischen Bürger – aber nicht nur in Bezug auf sie – einen Wechselkurs zu fahren: Erst setzt er eine Verdächtigung in die Welt, dann dementiert oder beschwichtigt er. Das entstandene Misstrauen bleibt aber hängen – an der markierten und inzwischen misstrauisch beäugten Gruppe der Muslime. Was aber auch wiederum kein Spezifikum darstellt, sondern weit verbreitet zum politischen und gesellschaftlichen Alltag geworden ist. Erst wird laut denunziert und verleumdet, die Dementi folgen bereits wesentlich leiser. Durch immer neuen Sand in das gleiche Getriebe wird der Reaktionsmechanismus des Misstrauens gut eintrainiert. Kurz vor Weihnachten 2007 zitierte Wolfgang Schäuble aus einer Studie des Ministeriums, dass 40 Prozent der Muslime in Deutschland „fundamental orientiert“ und 6 Prozent gewaltbereit seien – nachdem er das Vorwort zur Studie mit folgender Behauptung eingeleitet hat: „der weltweit operierende islamistische Terrorismus ist heute eine der größten Gefahren für unsere Sicherheit“. Später wiegelte er mit dem lapidaren Hinweis ab, die Medien hätten seine Aussagen einfach übertrieben. In der Tat gab es einen antiislamischen Medienhype, der vorhersehbar war. So titelte der Spiegel: „Schäubles Muslim-Studie: 500 Seiten politischer Sprengstoff“ (20.12.2007) oder die Welt: „Plötzlicher Zuwachs bei den deutschen Islamisten“ (26.12.2007). Man übersah in der Aufregung, dass die an sich sehr gute Studie nicht nur differenzierte, sondern auch komplizierte Ergebnisse hervorbrachte. In Bezug auf die Studierendenbefragung ergab jedoch ein gravierender Fehler – ein Kategorienwechsel in der Befragung – ein falsches Ergebnis. Daraus resultierte der hohe Wert bei der „fundamentalen Orientierung“. So und so ähnlich geht es seit einigen Jahren. Der Innenminister verkündet regelmäßig „islamistische“ Terrorwarnungen, um dann anschließend darauf zu verweisen, wie sicher wir doch in Deutschland wären. Um die „Sicherheit“ hingegen zu steigern, müsse er allerdings ein paar Grundrechte einschränken. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Er verblieb in der gleichen Logik, als er am 27. Februar 2008 in Berlin auf seiner Fachtagung zum „Islambild in Deutschland“ die Medien für deren aufbauschende Berichterstattung kritisierte – und gleichzeitig außerhalb der Tagung forderte, alle deutschen Zeitungen sollten aus Protest gegen die Morddrohungen gegen den dänischen Zeichner Westergaard die so genannten Mohammed-Karikaturen nachdrucken. Dies alles ist kein Zufall, sondern es hat System. Unsere Medien sind dabei anvisiert, als Vehikel eines gewollten Kulturkampfes diesen anzuheizen. Und es funktioniert – aber so subtil, dass wir es nicht einmal bewusst wahrnehmen müssen, wie sich der antiislamische Spin überall einschleicht. Ein aktuelles Beispiel liefert wiederum Wolfgang Schäuble in einem „Streitgespräch“ mit Ralf Giordano, das in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 02.03.2008 abgedruckt wurde: Schäuble tritt als „Verteidiger“ (des Angeklagten „Islam“) auf und dabei sieht es so aus, als müsse er zugeben, dass es „Probleme mit der Integration“ gebe – obwohl die Arbeitsgruppensitzungen der Islamkonferenz (die Autorin ist Mitglied der Arbeitsgruppe 3) unter anderem zu der Erkenntnis führten, dass diese Probleme nicht islamspezifisch, sondern anderen sozialen Faktoren zuzurechnen sind. Jedoch sagt Schäuble in dem besagten Interview nicht explizit, dass die ganze Diskussion eine Schieflage hat und von falschen Prämissen ausgeht, sondern setzt ans Ende seiner Äußerungen gar den Satz: „Wir sollten jedenfalls klar unterscheiden zwischen den Integrationsproblemen, die wir haben, und den Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus.“ So faktiziert man also en passant „islamische Integrationsprobleme“. Warum immer wieder diese stereotype Verstärkung eines falschen Zusammenhangs? Warum immer wieder aufs Neue die Dämonisierung des Islams – mal im Kleinen, mal im Großen? 80 Prozent der Deutschen sind gegen den „Krieg gegen den Terror“, gegen Kampfeinsätze in Afghanistan und gegen die Ausweitung des Krieges allgemein sowie gegen die Beteiligung deutscher Soldaten. Sie wären vermutlich auch gegen die Umfunktionierung der NATO und gegen die Verpflichtung der EU auf weitere Militarisierung – wenn unsere Medien sie darüber informieren würden. Unsere regierenden Politiker verfolgen hingegen eine andere Politik und darum wird massiv Kriegspropaganda betrieben – u.a. mit Hilfe eines antiislamischen Feindbilds. Wenn keine realen „islamistischen“ Aktivitäten zu befürchten sind, dann werden fiktive Warnungen und Bedrohungsszenarien in die Welt gesetzt, indem man unkritisch ungeprüfte „Nachrichten“ aufgreift. Sogar „Informationen“ des libanesischen Geheimdienstes erreichen dann Glaubwürdigkeit, so dass die so genannten „Kofferbombenattentäter“ libanesischer Nationalität nicht etwa wegen des Libanonkrieges im Sommer 2006 einen Anschlagsversuch auf die Deutsche Bahn unternommen hätten – sondern angeblich wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen. Wieder eine Verschiebung in Richtung „Der Islam ist Schuld!“ Dabei sollte sowieso jede Art von Anschlag als gleich verabscheuenswürdig eingestuft werden, egal aus welchen Motiven und von wem verübt. Die Bevölkerung wird durch immer neue Hiobsbotschaften vor allem aus der Islam(isti)schen Welt in Atem gehalten. Das Islambild ist inzwischen extrem verzerrt und spricht viele an: Entweder, es wächst die Bereitschaft, den „gefährlichen Feind“ zu bekämpfen und sich zu „verteidigen“ oder aber man fühlt sich verpflichtet, die „arme, unterdrückte muslimische Frau“ oder gar alle Muslime vom Islam zu befreien. Über Jahrzehnte wurde das „Feind“bild Islam und auch der Mythos von der ausnahmslos unterdrückten muslimischen Frau durch gezielte Propaganda, unzählige Missverständnisse und wohlmeinende Feministinnen und Pseudo-Feministen aufgebaut – so dass inzwischen etliche Ereignisse vorschnell in die „islam(ist)ische Verschwörungstheorie“ eingeordnet werden. Dies ist nicht eindeutig steuerbar, aber auch kein Zufall. Und für diejenigen durchschaubar, die sich mit der Arbeit von Think-Tanks, PR-Agenturen und Lobbying-Gruppen befassen. Das Konzept des „Clash of Civilizations“ hat Bernard Lewis entworfen und 1990 in einer Rede vorgestellt, die im Atlantic Monthly (in: The Roots of Muslim Rage) veröffentlicht wurde. Obwohl als Analyse getarnt, ist das ausgeklügelte Programm offensichtlich: Allen Muslimen wird ein Hass auf die „freiheitliche Moderne“ unterstellt sowie bestimmte (unabänderliche und sonderbare) Eigenschaften. Eine „archaische Islamische Welt“ wird als Gegenüber und Gegner eines (US-geführten) „modernen Westens“ aufgebaut. Um die Vormachtstellung der USA über den Zerfall der Sowjetunion hinaus zu sichern, wird ein Kulturkampf inszeniert und über das Feindbild Islam werden zunächst Ölressourcen gesichert, um schließlich Asien und China als Zielpunkte der Machtkontrolle zu dominieren. Zbignew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater unter Carter, Robert Dreyfuss, Autor von The Devil’s Game, F. William Engdahl, der über die wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten aufklärt, und das PNAC-Paper (Project of a New American Century) bestätigen diese Strategie. Wer also heute meint, wir müssten Koran und Islam studieren, um die Welt zu verstehen, ist reingefallen. Die Islamfokussierung relevanter Debatten lenkt von den eigentlichen Zusammenhängen ab. Erst langsam sickern bereits lange vorliegende Erkenntnisse durch, etwa dass sich Muslime allenfalls gegen den empfundenen Ausschluss von der Moderne zur Wehr setzen (Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit; Frankfurter Rundschau 28.2.2008). Und auch Deutschland soll aktiv an Kulturkampf und realem Krieg beteiligt werden – wie Europa insgesamt (s. Interview mit Henry Kissinger im Spiegel vom 18.2.2008). Wie man durch das Säen von Misstrauen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen diese Politik bedient, führt nicht nur Wolfgang Schäuble erfolgreich durch und vor. Während er in seiner Rede vom 27. Februar 2008 viele wohlmeinende Dinge sagt, verwirrt er gleichzeitig mit einem Zitat aus Goethes West-Östlichem Divan. Es bleibt vage, ob die Textstelle an die Medien oder die Muslime gerichtet ist: „Guten Ruf musst Du Dir machen, Unterscheiden wohl die Sachen; Wer was weiter will, verdirbt.“ Auch hier und in jedem Fall: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Sollen Medien nicht zu viel wollen – und etwa ihrer Rolle als Vierter Gewalt nachkommen? Oder sollen Muslime ihren Ruf selbst verbessern, indem alle ausnahmslos vorbildliche Menschen werden, und nicht zu viel fordern. Ja, das Zitat enthielte dann sogar die Warnung, dass derjenige, der zu viel fordert, verderbe. Eine Drohung? Und was ist jeweils zuviel und wie soll er verderben? Wir sollten das sehr ernst nehmen, weil es zum bisher beobachteten Schlingerkurs passt. Die letzten Wahlergebnisse (Hessen, Bayern…) haben gezeigt, dass die Mehrzahl der Menschen in Deutschland nach wie vor nicht die ausländerfeindlichen und antiislamischen Auswürfe einiger Wahlkampfstrategen honorieren. Angesichts der Pläne unserer Politiker, Legitimation und Bereitschaft für weitere Kriegseinsätze in der Welt zu erreichen und auf ein expansionistisches und militärisches Wirtschaftswachstum zu setzen, ist mit einem weiteren Anheizen des Kulturkampfthemas zu rechnen. Immer atemloser werden die Indizien für eine „islamische Weltverschwörung“ eingestreut – teils inszeniert, teils realiter und lediglich vorschnell und verallgemeinernd interpretiert, teils übersehend, dass es auch Reaktionen auf die gespürte und geschürte Ablehnung sind. Wir Bürger müssen uns überlegen, ob wir nicht lauter gegen die Kriegstreiberei Stellung nehmen und unsere Grundwerte wirklich verteidigen, statt sie stellvertretend in Bezug auf andere zu diskutieren. Denn der Verdacht liegt nahe, dass es unserer politischen Klasse immer weniger um das Gemeinwohl und schon gar nicht um den Volkswillen geht. Für unsere Medien steht ebenso eine wichtige Entscheidung an: Wollen sie in ihrer Mehrheit die Rolle als Vehikel des Konfliktschürens und der Kriegspropaganda mitspielen oder nehmen sie Partei für die weltweit wachsende Friedensbewegung?! Sabine Schiffer von der "Zukunft" Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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